Feldversuch: Glücksspiel in Bayern:Jugendschutz ist Glückssache

Marktforscher haben zwei Jahre lang Minderjährige in ganz Bayern zum Test-Zocken geschickt - trotz Verbots wurden sie fast immer bedient. Jetzt wurde der Freistaat verurteilt.

Ekkehard Müller-Jentsch

Glücksspiel ist für Minderjährige verboten - und trotzdem ist das Taschengeld von Jugendlichen offenbar in vielen staatlichen Lottoannahmestellen willkommen. Marktforscher aus Gräfelfing haben zwei Jahre lang Minderjährige in München und anderen bayerischen Städten zum Test-Zocken geschickt. Das Ergebnis ist erschreckend: In vielen Filialen wurden die Jugendlichen wie Erwachsene bedient.

Lottospieler bei Lottoannahmestelle, 2009

Nicht alle Lottoannahmestellen nehmen es mit dem Jugendschutz so genau.

(Foto: Robert Haas)

Das Landgericht München I hat den Freistaat nun verurteilt, das zu unterlassen: Wenn es wieder passieren sollte, droht Bayern eine Ordnungsstrafe von maximal 250.000 Euro. Die gleichfalls im Urteil stehende Androhung einer "Ordnungshaft bis zu sechs Monaten", die theoretisch Lotto-Präsident Erwin Horak treffen würde, ist allerdings nur eine juristische Floskel.

Wer die Untersuchungen in Auftrag gegeben hatte, halten die Gräfelfinger Forscher strikt geheim. Passend nannten sie den Feldversuch "Mystery-Shopping"-Studie. Das Ergebnis wurde trotzdem der Münchner Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs bekannt. Und die klagte 2009 gegen den Freistaat. In dem Verfahren vor der 17. Kammer für Handelssachen kamen dann unangenehme Details auf den Tisch: Das hehre Ziel des Staates, mit seinem Monopol auf Glücksspiel die Spielsucht bekämpfen und Jugendliche vom Zocken abhalten zu wollen, entpuppte sich in weiten Teilen als Chimäre.

Beim ersten Test 2008 konnten 85 Prozent der jugendlichen Tester ohne Vorlage eines Ausweises eine Sportwette platzieren. 72 Prozent sind dabei gar nicht erst nach einem Ausweis gefragt worden. Und bei mehr als der Hälfte genügte die Ausrede vom vergessenen Ausweis. Auch bei Erwachsenen fiel der Test schlecht aus: 97 Prozent von ihnen wurden beim Oddset-Zocken nicht pflichtgemäß nach ihren Ausweisen gefragt. Ein zweiter Testlauf 2009 sah nicht besser aus.

Die Lotterieverwaltung wehrte sich in der Verhandlung vor allem auch mit dem Argument, dass die Testkäufe nicht verwertet werden dürften: "Die Ergebnisse sind durch unlautere Mittel erzielt worden." Die minderjährigen Tester hätten die jeweiligen Angestellten der Annahmestellen doch erst zu den Ordnungswidrigkeiten verleitet.

Das sahen die Richter aber ganz und gar nicht so: Die Tester hätten "ein völlig normales Kundenverhalten an den Tag gelegt" - sie wollten einfach am Glücksspiel teilnehmen. Zahlreiche in dem Verfahren befragte Zeugen hätten übereinstimmend bekundet, dass ihnen ohne Nachfrage nach Alter oder gar Personalausweis das jeweilige Glücksspiel verkauft worden sei. Keiner der Test-Zocker habe das jeweilige Personal erst durch Überreden oder Nachhaken zu einem Verkauf bewegen müssen, stellte das Gericht fest.

"Damit ist jedenfalls für eine Anstiftung zu einer Ordnungswidrigkeit seitens der Testkäufer überhaupt kein Raum", heißt es nun im Urteil. Nach Überzeugung der Kammer waren "die jeweiligen Verkäufer von vornherein dazu bereit, den Testkäufern dasjenige zu verkaufen, was diese nachfragten, und ihnen damit die Teilnahme an dem Glücksspiel zu ermöglichen". Dass es unter mehreren tausend Lottoannahmestellen auch einige schwarze Schafe gebe, meinten die Richter, "entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung".

Doch auch mit Erwachsenen hatten die Gräfelfinger getestet. Denn Spieler von Sportwetten - also Toto, Keno sowie Oddset - müssen die Nummer ihres Personalausweises registrieren lassen und sollen so laut Gesetz vor Spielsucht geschützt werden. Tester berichteten aber, dass es Fälle gegeben habe, in denen Tester unter Vorlage einer Kundenkarte Oddset spielen konnten, ohne dass anhand eines Personalausweises überprüft wurde, ob die Person mit dem Karteninhaber identisch ist und ob diese in der Sperrdatei auftaucht.

Sogar auf einen erfundenen Namen sei ihm eine Kundenkarte ausgestellt worden, erzählte ein Tester. Damit habe er mehrmals spielen können. Und als er diese ungültige Karte einem Jugendlichen weitergab, habe das Zocken auch bei diesem in unterschiedlichen Orten mehrmals funktioniert. Getestet wurde in mehr als 100 Annahmestellen in München, Ottobrunn, Augsburg, Nürnberg, Würzburg und Aschaffenburg. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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