De Maizière präsentiert Netz-Agenda:Das Internet wird konservativ

Ein Verfallsdatum für Daten, Online-Gegendarstellungen für jedermann und weniger Anonymität im Netz: Bundesinnenminister de Maizière gelingt es erstmals, eine konservative Internetpolitik für Deutschland zu formulieren.

Johannes Kuhn

Verkörpert Thomas de Maizière eine Modernisierung der deutschen Internetpolitik oder ist er nur ein "Schäuble im Schafspelz"? Es spricht für den CDU-Innenminister, dass deutsche Netzaktivisten bis heute über die Antwort auf diese Frage rätseln: Während die Vorgängerregierungen mit Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren das Netz zum Ort des politischen Widerstands gemacht hatten, suchte der ehemalige Kanzleramtsminister zur Verblüffung der Beobachter gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Dialog mit den Netzaktivisten.

Internet WWW Baustelle

Das Internet ist eine ständige Baustelle - Thomas de Maizière hat nun die konservativen Umbaumaßnahmen vorgestellt.

(Foto: iStock)

Da das Misstrauen jedoch immer noch groß ist und de Maizière bislang konkrete Aussagen zu seinen Plänen zur Internetpolitik vermieden hat, kam sein Auftritt am Dienstag in Berlin einer ersten Standortbestimmung gleich.

Nichts weniger als eine Rede zu "Grundlagen für eine gemeinsame Netzpolitik der Zukunft" hatte der Innenminister für seinen Auftritt im Lokschuppen des Technikmuseums versprochen - eine Blaupause für den Umgang der Union mit einem Medium, das bei Konservativen bislang eher Furcht als Begeisterung hervorgerufen hat.

"Das Phänomen Internet haben wir lange genug ignoriert, dann unterschätzt, dann überschätzt, vor allem aber bestaunt", sagte de Maizière gleich zu Beginn. Die Zeit des Staunens sei jedoch vorbei, obwohl "Spannungsverhältnisse und scheinbare Widersprüche" immer noch die Debatte bestimmten.

70 Minuten nahm sich de Maizière Zeit, um einige dieser Widersprüche aufzulösen und im Jahr 2010 als erster Unionspolitiker überhaupt eine kohärente Internetpolitik zu formulieren (hier die 14 Thesen als pdf) - die aufgrund ihrer konservativen Grundzüge im Netz jedoch weiterhin für heftige Debatten sorgen dürfte.

Freiheit im Internet

Das Internet soll nach de Maizières Ansicht den Menschen auch "die Freiheit geben, Dummheiten zu begehen, wenn sie anderen nicht schaden", dürfte jedoch nicht als "Ellbogenfreiheit" verstanden werden. Der Staat, so der Innenminister, muss einschreiten, wo die Freiheit missbraucht wird und hier vor allem im zivilrechtlichen Bereich Regeln schaffen. Als Beispiel nannte er das Recht auf Gegendarstellungen im Internet und auf die Löschung von anonymen Schmähungen. Neue Gesetze seien dafür nicht immer notwendig, oft genüge die Anwendung bestehenden Rechts und die Verbesserung des internationalen Vollzugs, wenn Inhalte auf Servern im Ausland lagern.

Die Rolle des Staats

Hier zeigen sich Widersprüche in de Maizières Ausführungen: Während er auf der einen Seite Selbstregulierung vor staatliche Regulierung setzt, würden einige seiner Vorschläge dem Staat größere Kontrollmacht geben: So plädiert der Minister für eine europaweite Erlaubnispflicht für Dienste wie Medikamentenversand, Ortungsdienste oder die Vermittlung von Krediten. Auch in Sachen Strafverfolgung müsse der Staat bestimmte Rechte erhalten (siehe Punkt "Identität").

Mehr Datenschutz und weniger Anonymität

Datenschutz

De Maizière sprach sich in seiner Rede für die Einführung eines Datenbriefs aus, in dem Unternehmen dem Bürger mitteilen, was sie über ihn gespeichert haben. Weil es bereits eine Meldepflicht für erhobene Daten gebe, sollten die Informationen darüber für den Bürger einfacher abzurufen sein.

Zudem forderte er, dass Internetnutzer die Möglichkeit erhielten, ihre Daten mit einem "Verfallsdatum" auszustatten. Mit diesem "digitalen Radiergummi" könnte das Internet das Vergessen erlernen. Experten sind sich allerdings uneins, ob und wie eine solche Idee umzusetzen ist.

Identität und Anonymität

Hier dürfte der CDU-Minister auf den größten Widerstand bei Internetaktivisten stoßen: In seiner Rede wies de Maizière immer wieder auf die Notwendigkeit hin, reale Personen im Netz identifizieren zu können. Dies sei sowohl für rechtsverbindliche Geschäfte und Abwicklung von Behördengängen im Netz, als auch für die Strafverfolgung unerlässlich."Eine schrankenlose Anonymität kann es im Internet nicht geben", so der Tenor, es gelte, eine "vernünftige Balance zu finden". Einen neuen Anlauf zu einem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung schloss er nicht aus. Die Identifizierung mit Hilfe von gespeicherten Verbindungsdaten müsse hohen rechtlichen Ansprüchen genügen, die Lücke bei der Strafverfolgung sei jedoch zu groß, um darauf verzichten zu können.

Netzneutralität und Providerhaftung

De Maizière bekannte sich in seiner Rede grundsätzlich zur Netzneutralität: Diese gehöre wie ein flächendeckender DSL-Zugang für die Landbevölkerung zum Grundversorgungsauftrag des Staates. Allerdings forderte er, Provider künftig zur Rechenschaft ziehen zu können, falls diese über ihre Server Viren oder andere Schadcodes verbreiten.

Eine Inhaltekontrolle durch Provider lehnte er ab - ob damit auch eine Kontrolle im Sinne einer Deep-Packet-Inspection gemeint ist, bei der jedes Datenpacket einzeln durchsucht wird, blieb jedoch unklar. Zu einer möglichen Wiederbelebung der Netzsperren äußerte er sich nicht: Im Koalitionsvertrag sei festgelegt, dass das Löschen von Inhalten bei der Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet im Mittelpunkt stehe. Maßnahmen, um Konsumenten stärker zu verfolgen, werde er in Kürze vorstellen.

Reaktionen auf die Rede

Cloud Computing

In der Speicherung von Daten auf Internetservern fern der eigenen Festplatte sieht de Maizière offenbar den größten Regulierungsbedarf. So sollte hier die Verschlüsselung sichergestellt und Nutzern die Möglichkeit gegeben werden, "mehr echte Verfügungsgewalt" über ihre Daten zu erhalten. Es sei häufig unklar, wer darauf Zugriff habe. "Klare Geschäftsgrundlagen" und eine Verpflichtung der Anbieter, für die Sicherheit dieser Daten zu sorgen, seien notwendig.

Die Street-View-Debatte

Die Bundesrats-Gesetzesinitiative zur genauen Regelung des Google-Straßenansichtsdienstes Street View lehnt de Maizière ab: Es mache keinen Sinn, "dass wir für jeden neuen Dienst ein neues und eigenes Gesetz schaffen".

Reaktionen

Im Internet sind die Reaktionen erwartungsgemäß gemischt: Zwar kritisieren viele Nutzer, dass die Aussagen des Innenministers nicht über Allgemeinplätze hinausgingen, andere loben hingegen den Auftritt als "guten Start". "De Maizière hat es geschafft, technisches Unwissen als Basis hinter sich zu lassen und eine konservative Netzpolitik aufgezeigt", ist ein Fazit, das auf Twitter gerade fleißig verbreitet wird.

Ob der Großteil der im Netz aktiven Internetnutzer mit dieser gemäßigt-konservativen Vision leben kann, wird sich an den Debatten der kommenden Wochen zeigen. Zumindest will das Bundesinnenministerium weiterhin Dialogbereitschaft signalisieren: Auf einer Internetseite können Nutzer die Thesen des Ministers bewerten und diskutieren.

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