Netzneutralität:Googles verwirrender Mautvorstoß

Einem Bericht zufolge bietet Google dem US-Mobilfunkanbieter Verizon an, für die bevorzugte Behandlung von Datenverkehr zu seinen Seiten Geld zu zahlen. In Wahrheit ist die Angelegenheit komplizierter.

Johannes Kuhn

Ein Artikel aus der New York Times beunruhigt gerade Netzaktivisten in aller Welt: Google, so schreibt das Blatt, verhandle gerade mit dem US-Telekomkonzern Verizon darüber, für die Bevorzugung von Daten seiner Dienste Geld zu bezahlen.

Das würde bedeuten, dass Verizon-Kunden beispielsweise Videos des Google-Portals YouTube künftig schneller aufrufen könnten als die von Konkurrenzplattformen wie Vimeo. Was in der freien Wirtschaft eine Unternehmenspartnerschaft wäre, hätte für das Internet brisante Folgen: Bislang nämlich machen Internetanbieter keinen Unterschied, was in einzelnen Datenpaketen steckt.

Dieses Prinzip der Netzneutralität gilt als Grundbaustein des freien Internets, sorgt es doch dafür, dass niemand bei gleicher Bandbreite Vorteile beim Surfen hat, weil er mehr bezahlt; gleichzeitig können dadurch Internetanbieter nicht einfach vermeintlich missliebigen Datenverkehr wie den von Tauschbörsen oder Streaming-Diensten abklemmen.

Auch Google galt bislang als Verfechter der Netzneutralität: Gemeinsam mit Unternehmen wie Sony oder Facebook sowie einigen Bürgerrechtsorganisationen ist der Konzern Mitglied der Open Internet Coalition. Dieser Verbund setzt sich dafür ein, dass möglichst viele Menschen schnellen Zugang zum Netz haben - die beteiligten Unternehmen profitieren davon, weil sie im Internet ihr Geld verdienen.

Auf der anderen Seite stehen die Internetprovider, die sich mit steigendem Datenvolumen bei gleichzeitig sinkenden Anschlusspreisen konfrontiert sehen. Neue Einnahmemöglichkeiten würden sich auftun, könnten die Provider von Firmen wie Google eine Art Maut für große Datenpakete wie Internetvideos verlangen. Hat Google sich also dieser Logik nun angeschlossen?

Wettbewerbsvorteil durch Wegzoll

Auf den ersten Blick scheint der Schritt absurd. Auf den zweiten könnte er Google einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschaffen: Das Unternehmen fährt Milliardengewinne ein und hat dementsprechend genügend Reserven in der Kasse. Das nötige Kleingeld, um für den Wegzoll zu bezahlen, könnte für den Suchmaschinenkonzern verkraftbar sein - wohingegen kleinere Konkurrenten sich eine solche Investition nicht erlauben könnten.

Die Folge: Die Marktkonzentration in Richtung großer Unternehmen würde zunehmen, Google könnte weiter Marktanteile gewinnen, neue Wettbewerber hätten kaum Chancen. Josh Silver von der Bürgerrechtsgruppe Free Press ließ deshalb gleich verlauten, dass "ein solcher Missbrauch des offenen Internets Googles Motto 'Tu nichts Böses' endgültig zu Grabe trägt".

Google äußerte sich zuerst nicht zu den Berichten, hat jedoch inzwischen dementiert, für priorisierten Datenverkehr zahlen zu wollen. Verizon hat allerdings die Verhandlungen bestätigt. Über diese schreiben auch andere Portale wie Bloomberg und der Branchendienst Cnet.

Die Vereinbarung, von der dort die Rede ist und die am Freitag vorgestellt werden soll, hat eine völlig andere Note: Demnach verpflichtet sich Verizon, den Transport bestimmter Daten nicht künstlich zu verlangsamen. Die Vereinbarung mit Google gilt den Berichten zufolge jedoch nicht für das mobile Internet.

Dies würde auch der Definition von Netzneutralität entsprechen, die Eric Schmidt erst am Mittwoch Journalisten während eines Gesprächs in den Block diktierte: Netzneutralität bedeute, dass Provider keinen Internetdienst gegenüber einem anderen bevorzugen dürfe, sagte Schmidt. Die Priorisierung von Datenformen schließe das nicht aus.

Übersetzt: Verizon darf keinen Unterschied zwischen einem YouTube- und einem Vimeo-Video machen, wohl aber entscheiden, ob Videodateien oder Voice-over-IP-Gespräche in seinen Leitungen Vorfahrt genießen.

Bilaterale Geschäfte gefährden das Prinzip

In der Praxis nehmen zeitkritische Daten wie Sprachdienste bereits heute den kürzesten Weg, weil es hier im Gegensatz zur Zustellung von E-Mails um Millisekunden geht. Doch dass zwei Unternehmen miteinander definieren, wie sie mit der Netzneutralität umgehen, könnte dennoch einen folgenschweren Präzedenzfall schaffen.

Bislang waren beide Konzerne in die Verhandlungen mit der Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) eingebunden, die eine Lösung für die gesamte Industrie suchen möchte. Seit dem Amtsantritt Obamas vertritt die FCC eine klare Position zugunsten der Netzneutralität.

Doch weil die Behörde nach dem jüngsten Urteil eines Bundesgerichts derzeit keine rechtliche Grundlage hat, Internetprovider für den Verstoß gegen die Netzneutralität zur Rechenschaft zu ziehen, können Provider und Inhaltsanbieter prinzipiell nun mit bilateralen Abkommen Tatsachen schaffen. Dabei müsste es nicht immer auf die Gleichbehandlung von gleichen Datenpaketen hinauslaufen - womit wiederum die Befürchtungen von Bürgerrechtlern bestätigt würden.

Um dies zu verhindern, versucht die FCC mit einem Trick, Breitbandanschlüsse in die gleiche Regulierungskategorie wie Telefonanschlüsse zu überführen. Dann würde es sich um eine "grundlegende Infrastruktur" handeln - und die Entscheidung über die Ausgestaltung des Datenverkehrs läge nicht mehr in der Hand von Privatunternehmen wie Verizon und Google.

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