Krise des Euro:Europa ist noch zu retten

Kippt Portugal? Und was ist mit Spanien? Das Projekt EU wird auch dann nicht untergehen, wenn der Euro scheitert. Doch die Gemeinschaft muss die Integration vertiefen.

Julian Nida-Rümelin

Die Währungskrise des Euro schwelt weiter. Irland hat sich nach anfänglichem Widerstreben unter den Euro-Rettungsschirm gestellt und damit die Lage für den Moment beruhigt. Portugal ist der nächste Kandidat, dann Spanien, eventuell Italien. Es würde eng werden unter dem jetzt aufgespannten Schirm. Die Krise des Euro hält an.

Bundestag Julian Nida-Rümelin

Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a. D., ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

(Foto: DPA/DPAWEB)

In dieser Situation ist es wichtig, klaren Kopf zu behalten und nicht erneut einer politischen Lebenslüge aufzusitzen. Die Formel von der Erweiterung und gleichzeitigen Vertiefung der EU war eine solche Lebenslüge, an der der Kontinent bis heute leidet. Eine Vertiefung wäre vor der Erweiterung wohl möglich geworden, eine Erweiterung nach der Vertiefung auch. Der Verzicht auf eine Vertiefung zum richtigen Zeitpunkt hat die EU in eine schwere Krise geführt, aus der sie sich bis heute nicht hat befreien können. Die Währungskrise ist ein besonders augenscheinlicher Teil davon.

Zunächst gilt es sich den einfachen Sachverhalt klarzumachen, dass Euro-Land nicht mit der Europäischen Union und die Europäische Union nicht mit Europa identisch ist. Nur ein Teil der EU-Mitglieder hat eine gemeinsame Währung, andere Mitglieder der Europäischen Union, darunter große wie Großbritannien und erfolgreiche wie Schweden, sind der gemeinsamen Währung nicht beigetreten. Einige kleinere Länder außerhalb der EU sind dagegen Teil des Euro-Raums. Dieser Unterschied korrespondiert jedoch nicht mit einem unterschiedlichen Grad der Integration. Darin liegt gerade das Problem.

In diesen Tagen wird auch dem Letzten offenbar, dass die Länder des Euro-Raums keine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben haben. Es fehlt an den dafür notwendigen Institutionen, und Vorstöße von Seiten Frankreichs, solche Institutionen zu schaffen, wurden von anderen Ländern - darunter besonders vehement und wirkungsvoll von Deutschland - zurückgewiesen. Eine gemeinsame Währung führt jedoch ins Desaster, wenn sie nicht von einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik getragen ist. Wer an der gemeinsamen Währung festhalten will, muss einen zusätzlichen Schritt europäischer Integration befürworten, muss mit einem Europa der zwei (und eventuell mehr) "Geschwindigkeiten" einverstanden sein.

Die jetzige Konstruktion eines gemeinsamen Währungsraumes ohne institutionelle Absicherung machte es möglich, sich Standortvorteile durch Steuerdumping zu verschaffen - wie die Erfahrungen mit Irland zeigen mit fatalen Folgen. Zudem gibt es ein starkes Interesse von Seiten der Wirtschaft, sich Subventionen dadurch zu sichern, dass Kommunen und Länder im Wettbewerb um die besten Investitionsbedingungen stehen. Eine im Euro-Raum einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik würde dieses Spiel und damit die ausufernde Subventionitis schlagartig beenden.

Moderaten Euro-Befürwortern war von Anbeginn bewusst, dass die Einführung des Euro allenfalls der erste Schritt sein kann zu einer wirtschafts- und finanzpolitischen Integration im Euro-Raum. Die bedingungslosen Euro-Befürworter lagen falsch und schreiben über ihre Irrtümer nun Bücher, in denen das nächste Fehlurteil präsentiert wird: Ein Süd- und ein Nord-Euro ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik würde die Probleme lediglich verdoppeln.

Vorbild Kerneuropa

Ich halte die Einschätzung für falsch, dass das Projekt Europa mit einem Scheitern des Euro zwangsläufig beendet wäre. Die Europäische Union, dieses weltweit einmalige Beispiel einer Integration von Nationalstaaten zu einer politischen Gemeinschaft sui generis, steht damit nicht auf dem Spiel. Die EU hat sich über vierzig Jahre ohne gemeinsame Währung gut entwickelt.

Es fehlte ihr zuletzt an konzeptioneller Substanz, aber die normativen Grundlagen einer europäischen politischen Identität sind gelegt. Europa steht weltweit für eine sozial gebändigte Ökonomie, eine staatliche Kulturverpflichtung und die Akzeptanz eingeschränkter nationaler Souveränität. Merkwürdigerweise leben die meisten Bewunderer dieser besonderen Form von Staatlichkeit in fernen Ländern, zum Beispiel in den USA (dort besonders in den liberalen Milieus der Ostküste), auch in China, wo sie eine der drei einflussreichen Strömungen der regierenden KP bilden. Europa ist mehr als Euro, Strukturfonds und Agrarsubvention, es ist durch eine gemeinsame Kultur- und Bildungstradition verbunden. Nur geeint wird es sich gegenüber anderen großen Kontinentalmächten wie USA, China, Indien behaupten können.

Was jetzt nottut, ist eine Weichenstellung, die die aktuellen Fehlentwicklungen stoppt und Neuperspektiven eröffnet. Die Europäische Union muss sich entscheiden, ob sie für einen Großteil ihrer Mitglieder an der gemeinsamen Währung festhält, gestützt auf eine institutionell verankerte gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik der beteiligten Länder, also eine echte Vertiefung vornimmt, und damit ein Europa der zwei Geschwindigkeiten akzeptiert oder ob es sich vom Projekt der Währungsunion verabschiedet. Weder die eine noch die andere strategische Option wahrzunehmen, würde das Projekt der Europäischen Union in der Tat ernsthaft gefährden. In der jetzigen Schockstarre zu verharren - dies wäre die eigentliche Gefahr für die Europäische Union.

Wir sollten das Zündeln mit dem Feuer unterlassen, es könnte einen Flächenbrand auslösen, den niemand wollte. Niemand sollte die Existenz der Europäischen Union mit dem Fortbestand des Euro verknüpfen. Auch dann, wenn sich der Euro unter den aktuellen Bedingungen nicht halten ließe, oder einzelne Länder aus dem Euro-Raum ausscheiden sollten, muss die Agenda sein, den nächsten Schritt der Integration zu gehen: Die "willigen" Nationen schließen sich zu einem Kerneuropa zusammen, mit gemeinsamer Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie vergleichbaren Standortbedingungen, einschließlich akzeptierter Mindestnormen der Sozial- und Kulturstaatlichkeit. Die gemeinsame Währung wäre dann eine logische Folge und keine problematische Hypothek.

Die skeptischen Nationen wie Großbritannien, aber wohl auch Polen würden diesem stärker integrierten Europa nicht angehören wollen. Es hängt dann vom Erfolg dieses Integrationsprojekts über die Jahre ab, ob es zum Modell des Kontinents werden kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: