Medizin:Schwangerschaftsdemenz, gibt es das wirklich?

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Schwangerschaftsdemenz gibt es zwar. Für das reale Leben bedeutet das aber nur kleinere Vergesslichkeiten. (Foto: Mascha Brichta/dpa)
  • Forscher haben entdeckt, dass die kognitiven Fähigkeiten werdender Mütter nachlassen.
  • Das könnte aber daran liegen, dass die Gedanken um das Wesentliche kreisen.

Von Werner Bartens

Sie streicheln sich versonnen den Bauch und wirken manchmal ziemlich entrückt. Sie sind vergesslicher als sonst und oft nicht bei der Sache. Schwangeren wird häufig ein besonderer Geisteszustand attestiert; "Baby Brain" heißt er im Englischen, im Deutschen wird er weniger charmant als "Schwangeren-Demenz" bezeichnet. Obwohl diese Diagnose in etwa mit dem Schweregrad des "Männer-Schnupfens" gleichzusetzen ist und fast nur schmunzelnd verwendet wird, gibt es konkrete Hinweise, dass die kognitiven Fähigkeiten von Frauen tatsächlich nachlassen, wenn sie ein Kind erwarten. Wissenschaftler aus Australien zeigen im Fachmagazin Medical Journal of Australia, dass die Hirnleistung von Schwangeren messbar beeinträchtigt ist.

Die Forscher um Sasha Davies von der Deakin University Melbourne hatten in einer Meta-Analyse Daten aus 20 Studien mit insgesamt mehr als 700 Schwangeren zusammengefasst, die mit fast ebenso vielen Gleichaltrigen verglichen wurden, die nicht schwanger waren. Dabei zeigte sich, dass die gesamte kognitive Leistung um etwa 28 Prozent eingeschränkt war und besonders das Gedächtnis, aber auch Entscheidungsfindung und Impulskontrolle während der Schwangerschaft litten. Die Beeinträchtigung zeigte sich besonders ausgeprägt im dritten Drittel der Schwangerschaft. Das Gedächtnis begann allerdings schon deutlich früher nachzulassen. Im Vergleich zum ersten Drittel traten bereits im zweiten Drittel signifikante Einschränkungen auf.

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Bei schwangeren Frauen geht das Volumen der grauen Substanz zurück

Da die Alltagstauglichkeit der Schwangeren jedoch weitgehend erhalten blieb, warnen die Wissenschaftler davor, ihre Ergebnisse zu überschätzen. Und auch wenn die Beeinträchtigungen "nicht nur statistisch, sondern auch klinisch signifikant" seien, würde das Leben in der realen Welt nur wenig darunter leiden. Allenfalls seien etwas häufiger kleinere Irrtümer oder Vergesslichkeiten zu beobachten, etwa das Versäumnis, einen Termin auszumachen oder wahrzunehmen.

Neurowissenschaftler aus Spanien und den Niederlanden hatten im vergangenen Jahr zwar Hinweise dafür gefunden, dass sich die Gehirnstruktur von Schwangeren verändert und beispielsweise das Volumen an grauer Substanz nachlässt. Allerdings hatten frühere Analysen ergeben, dass die Schwankungen des Gedächtnisses und anderer kognitiver Funktionen während der Schwangerschaft auch nicht viel größer seien als während anderer Wechselfälle des Lebens. Zudem gab es immer wieder Kritik an der Dauer der entsprechenden Studien, da zwar häufig Veränderungen der Hirnfunktion im Verlauf der Schwangerschaft untersucht worden seien, die kognitiven Fähigkeiten in den Jahren zuvor und danach aber viel zu selten mit in die Analyse eingingen.

Die Gedanken kreisen nicht mehr um den Beruf - sondern um das Wesentliche

"Frauen sollten sich nicht gleich einreden lassen, dass sie in der Schwangerschaft an Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen leiden", warnt die australische Psychologin Helen Christensen. Die körperliche Umstellung inklusive Schlafmangel und Erschöpfung könnten auch manche Unaufmerksamkeit erklären.

Außerdem regt Christensen dazu an, mögliche kognitive Veränderungen nicht nur als Defizit aufzufassen. Vielmehr gebe es Hinweise, dass Frauen sich in dieser Zeit vermehrt auf die Schwangerschaft konzentrieren, auf die Geburtsvorbereitung und die Zeit, wenn das Baby da ist. Wenn die Gedanken nicht mehr so stark um den Beruf oder den Partner kreisen, könne das auf eine erfreuliche Fokussierung auf das Wesentliche hinweisen - und müsse nicht gleich als drohende Demenz pathologisiert werden.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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