Deutsche Studenten in Österreich:Die Piefkeschwemme

Auch dieses Jahr drängen deutsche Studenten auf der Flucht vor dem Numerus clausus an Österreichs Hochschulen. Zugangsprüfungen und eine Notregelung sollen die Flut jetzt dämmen.

Michael Frank

In die Völkerwanderung, die sich in jedem Sommer über Deutschlands Südgrenze wälzt, mischt sich derzeit verstohlen ein Trupp Bildungsemigranten unter die Urlauber. An diesem Freitag halten Österreichs Medizinuniversitäten in Wien, Graz und Innsbruck ihre jährlichen Eignungsprüfungen ab. War der Zugang zu den Universitäten in dem Land bis vor kurzem noch völlig frei, sind Zugangsprüfungen nötig geworden, seit massenhaft studierwillige Deutsche nach Österreich drängen.

Eignungstest für ein Medizinstudium in Wien

Gut besucht: Studenten nehmen am Eignungstest für ein Medizinstudium in Wien teil.

(Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Doch auch ohne Tausende Deutsche, von denen nicht wenige den Numerus clausus im eigenen Land umgehen wollen, stehen Österreichs Hochschulen vor dem Kollaps.

Dort steigt der Ausländeranteil jährlich um 15 Prozent - und dies, obwohl "unsere Universitäten keineswegs exzellent sind", wie der Vorsitzende der Rektorenkonferenz, Hans Sünkel, anmerkt. In diesem Jahr drängen allein in Wien 10.434 Anwärter auf nur 1500 Studienplätze in der Medizin. Ein Drittel der Aspiranten ist deutsch. In Innsbruck streiten sich unter 2681 Bewerbern sogar 1764 Ausländer um die 400 Plätze. Und Graz nimmt für Psychologie zwei Jahre lang kurzerhand gar keine neuen Studenten mehr auf.

Eine Notregel erlaubt Österreich, den Großteil der Anfängerplätze in der Medizin für Einheimische zu reservieren. Für Österreicher stehen 75 Prozent der Plätze zur Verfügung; 20 Prozent gehen an Studenten aus EU-Ländern, fünf Prozent an Bewerber aus anderen Staaten. Das Argument: Die medizinische Versorgung der eigenen Bevölkerung sei sonst auf Dauer gefährdet, da ausländische Studenten meist nach ihrem Studienabschluss wieder heimgingen. Gäbe es diese nationale Quotenregelung nicht, sähe es für Studienanfänger aus Österreich düster aus: Bei der Eignungsprüfung schneiden deutsche junge Männer durchwegs besser ab als österreichische Männer und deutsche Frauen; Österreichs Mädchen hinken hinterher.

Aggressive Töne

Kritiker machen Mängel der Tests dafür verantwortlich. Beatrix Karl, Österreichs Wissenschaftsministerin (ÖVP), glaubt hingegen einen Grund im Alter der Bewerber zu erkennen: Parallel zu dem schiefen Ergebnis verläuft die Altersstruktur, und bei so jungen Menschen spiele ein Jahr Lebenserfahrung eine große Rolle.

Flagge

Immer der Flagge nach: Deutsche Studenten strömen ins Nachbarland.

(Foto: iStockphoto)

Der EU-Gerichtshof hat die Quotenregelung akzeptiert, nachdem er im Jahr 2005 die sogenannte Landeskinderregelung aufgehoben, den "Numerus-clausus-Flüchtlingen" Tür und Tor geöffnet und so den Notstand selbst verursacht hatte. Zuvor konnten Deutsche nur in Österreich studieren, wenn sie zu Hause einen Studienplatz nachweisen konnten.

Doch auch in Massenfächern, bei denen der Zugang nicht begrenzt ist und in die viele Österreicher drängen, sieht es nicht besser aus. Die Wiener Wirtschaftsuniversität sieht sich 7000 Bewerbern bei nur 1200 Plätzen gegenüber. Im Modefach Publizistik treten sich 12.000 Studenten auf die Füße, 3000 sind es im Fach Theaterwissenschaften. Aggressive Töne, die den Notstand nur den Deutschen ankreideten, verebben. Scharfe Kritik gibt es dafür an der Regierung: Wien zwinge die Universitäten, jeden Studienbewerber aufzunehmen, sagt Sünkel, ohne die Hochschulen mit dem nötigen Geld auszustatten.

Unklar ist, ob Gebühren, Zugangsbeschränkungen oder radikale Ausbaumaßnahmen die Lösung sind. Und alle fürchten die kommenden Jahre: Dann wird die Verkürzung des Gymnasiums in einigen deutschen Ländern die Bildungsvölkerwanderung erst richtig antreiben.

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