Studien zu Frauengehältern:Froh zu sein bedarf es wenig

Die Sache mit der Diskriminierung am Arbeitsplatz: Frauen genügt einer Studie zufolge ein niedrigeres Gehalt, um sich beruflich anerkannt zu fühlen. Dass Männer mehr verdienen, finden sie okay - ein besonderes Verständnis von "Gerechtigkeit".

Felix Berth

Frauen sind mit niedrigeren Einkommen zufrieden als Männer. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Untersuchungen von Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der Universität Bielefeld und der Universität Konstanz. Demnach meinen Frauen, dass ihnen "gerechterweise ein geringeres Bruttoeinkommen zusteht als Männern". Dieses Ergebnis dürfte die Debatte über hohe Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in Deutschland antreiben.

Studien zu Frauengehältern: Frauen sind mit weniger Geld zufrieden als ihre männlichen Kollegen.

Frauen sind mit weniger Geld zufrieden als ihre männlichen Kollegen.

(Foto: ap)

Personalchefs kennen das Phänomen: In Gehaltsverhandlungen treten Frauen bei gleicher Kompetenz vorsichtiger und zurückhaltender auf als Männer. Die Studien von Stefan Liebig, Jürgen Schupp und Thomas Hinz liefern nun einen empirischen Beleg dafür, dass dieser Eindruck korrekt ist. Die Wissenschaftler befragten im Rahmen des "sozio-ökonomischen Panels" 10.000 Erwerbstätige, ob sie ihr eigenes Einkommen für gerecht halten. Wer sein eigenes Einkommen als ungerecht einstufte, sollte angeben, welchen Betrag er (oder sie) angemessen fände.

Das Ergebnis überraschte die Wissenschaftler. Dem bekannten Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen - er liegt in Deutschland bei mehr als zwanzig Prozent - entspricht auch ein Unterschied der Ansprüche. "Das Einkommen, das Frauen für sich als gerecht ansehen, liegt sogar unter dem Einkommen, das die Männer real erzielen", sagt Jürgen Schupp vom DIW. Die Zurückhaltung der Frauen zeigte sich bei ungelernten Hilfskräften ebenso wie bei Akademikerinnen: Stets war das von Frauen als gerecht angesehene "Wunschgehalt" niedriger als das reale Gehalt vergleichbar qualifizierter Männer.

Bei einer zweiten, ebenfalls repräsentativen Untersuchung beurteilten Befragte die Einkommen von fiktiven Personen. Zum Beispiel sollten sie die Situation eines Arztes einschätzen: Der Mann ist 55 Jahre alt, arbeitet mit überdurchschnittlichem Engagement, ist Alleinverdiener und hat vier Kinder. Die Befragten hielten im Schnitt ein Bruttoeinkommen von 7750 Euro für gerecht. Wurde aus dem fiktiven Arzt jedoch eine Ärztin, sank das als angemessen bewertete Gehalt: Einer Frau in identischer Lebenssituation sprachen die Befragten im Schnitt nur 7300 Euro zu. Dabei war irrelevant, ob Frauen oder Männer das Urteil abgaben: "Selbst Frauen sind der Meinung, dass Frauen am Arbeitsplatz weniger verdienen sollen", sagt Schupp.

Politisch brisant sind diese Ergebnisse, weil sie einen neuen Akzent in der Diskussion über die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen setzen. Bisher wird die Einkommenskluft meist als Diskriminierung der Frauen durch Unternehmen gesehen. Zahlreiche Forscher analysieren seit Jahren, wie die Gehaltsdifferenzen zwischen Männern und Frauen entstehen. Sie suchen nach Erklärungen für den großen Unterschied, indem sie zahlreiche Faktoren betrachten - darunter die Ausbildung der Befragten, Unterbrechungen ihrer Berufstätigkeit, die Branche ihres Arbeitgebers oder die Größe des Unternehmens.

Selber schuld

Stets bleibt bei diesen Berechnungen ein "unerklärter Rest", der nicht durch objektive Faktoren erklärt werden kann - außer durch das Geschlecht. "Diskriminierung" lautet das Urteil dann, wobei dieser Vorwurf sich meist an die Unternehmen richtet: Sie würden Frauen ohne gerechtfertigten Grund schlechter bezahlen und müssten diese Praxis korrigieren.

Die neuen Ergebnisse, die am heutigen Dienstag veröffentlicht werden, ermöglichen einen veränderten Blick auf die Einkommenskluft. In einer radikalen Deutung - vor der die Autoren allerdings warnen - könnte man die Verantwortung für Gehaltsunterschiede nun den Frauen zuschieben: "Selber schuld, wenn sie mit so wenig Gehalt zufrieden sind", würde dieses Argument lauten. Jürgen Schupp vom DIW hält dieser radikalen These entgegen, dass die Einkommenskluft nicht durch individuelle Anstrengungen verringert werden kann: "Nötig wäre eine größere Transparenz bei den Gehältern, damit die rein geschlechtsspezifischen Unterschiede stärker sichtbar werden", sagt er.

Die neuen Ergebnisse machen es gleichwohl schwierig, die Schuld für Einkommensunterschiede alleine den Unternehmen zuzuschreiben: Firmen sind am Entstehen niedriger Frauengehälter zwar stark beteiligt, was sich auch in ihrem Zögern zeigt, die Gehaltsunterschiede von sich aus zu verringern oder Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Beteiligt sind freilich auch Frauen, die sich mit weniger zufriedengeben als Männer. Der Eindruck, dass die Arbeit von Frauen weniger wert ist als die von Männern, ist offenbar in der gesamten deutschen Gesellschaft verbreitet: bei Männern und Frauen, bei Angestellten und Chefs.

Ein Befund der Forscher deutet darauf hin, dass das Thema trotz der neuen Ergebnisse ein Politikum bleibt: Die überwiegende Mehrheit der Befragten war der Meinung, dass das Geschlecht eines Menschen die Höhe seines Einkommens nicht beeinflussen sollte. Den wenigsten Befragten war dabei wohl bewusst, dass ihre abstrakten Prinzipien den eigenen konkreten Urteilen über niedrige Frauengehälter widersprachen.

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