Universität: Seelsorge gegen Stress:Angst im Hamsterrad

Seelsorge und psychologische Beratung an der Universtität sind gefragt wie nie. Studenten kämpfen mit der Arbeitsbelastung, dem Leistungsdruck und den Ansprüchen an sich selbst - manchmal bis zum Burn-out.

Maria Holzmüller

Mittwochmorgen im Münchner Olympiadorf. Nebel liegt über den grauen Betonburgen, nicht einmal die Spitze des Olympiaturms ist von unten zu erkennen. Studenten eilen in Richtung U-Bahn-Haltestelle, an den Wänden kleben Partyplakate vom vergangenen Jahr und die Bauarbeiten an der Alten Mensa verursachen ratternde Hintergrundgeräusche.

Kündigung

"Viele halten das Tempo nicht mehr aus": Werner von Fürstenberg behandelt Arbeitnehmer, die an Burn-out erkrankt sind.

(Foto: iStock)

Es scheint in diesem Moment keinen anonymeren Ort in München zu geben - und doch versucht Petra Holler genau hier, Studenten aus ihrer Isolation zu holen.

Petra Holler ist Psychologin und leitet die psychotherapeutische und psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks München. Die großgewachsene Frau mit den langen blonden Haaren sitzt in einem kleinen Büro im ersten Stock eines der typischen Betonbauten des Olympiadorfes. Hier liest sie ihre E-Mails, nimmt Telefonanrufe entgegen und empfängt ratsuchende Studenten - eine Aufgabe, die sie sich mit sechs weiteren Psychologen teilt.

Die Arbeit mit Studenten habe sie schon immer gereizt, weil die jungen Leute durch eine der prägendsten Phasen ihres Lebens gingen, erzählt sie, räumt aber ein, dass das Studentenleben von heute mit dem ihrigen nicht mehr zu vergleichen sei. Die Bologna-Reform und ihre Lern-Module haben den Studienalltag verändert. War die Studienzeit vor 20 Jahren noch von Freiheit bestimmt, so prägen heute strikt durchgetaktete Bachelor-Stundenpläne den Tagesablauf.

Vielleicht ist genau das ein Grund dafür, dass immer mehr Studenten professionelle Hilfe bei Holler und ihren Kollegen suchen. "Die Leistungsanforderungen, der Druck, die Angst, den eigenen Erwartungen nicht zu entsprechen - das hat stark zugenommen", sagt Holler. Die Zahl der Studenten, die professionelle Hilfe suchen, steige. "Im Jahr 2000 führten wir 444 Beratungen durch, 2009 waren es schon 860", erzählt die Psychologin.

Diesen Trend beobachtet auch die evangelische Studentenpfarrerin Martina Rogler. Sie bietet Studenten der Ludwig-Maximilians-Universtiät Seelsorge an - und kommt inzwischen kaum mehr nach, wenn es darum geht, Anfragen zu bearbeiten: "Es kommen ungleich mehr Studenten als früher."

Ob es die Bologna-Reform mit ihren Bachelor- und Masterstudiengängen ist, die ihre Spuren in der Psyche der Studenten hinterlässt, können die beiden Frauen nur vermuten. "Es ist auffällig, dass die Zahl der psychisch belasteten Studenten seit der Einführung der neuen Studiengänge zugenommen hat, von daher ist die Hypothese naheliegend, dass es einen Zusammenhang gibt", sagt Holler.

Die Probleme der Studenten sind vielfältig. Es geht um Überforderung, Angstzustände, Suchtprobleme und zwischenmenschliche Schwierigkeiten. "Viele haben einfach Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein, Erwartungen nicht erfüllen zu können", sagt Psychologin Holler. Häufig klagten die Ratsuchenden über Erschöpfung und befänden sich in einem Burn-out-ähnlichen Zustand.

"Es gibt das ganze Jahr über Prüfungen, die Studenten haben so gut wie nie Ferien, und wenn, dann machen sie in der Zeit ein Praktikum. Viele, die zu mir kommen, sind völlig überfordert und haben oftmals die Freude am Leben verloren", berichtet Studentenpfarrerin Rogler auf der Couch in ihrem hellen Altbaubüro.

Übermächtige Angst vor Arbeitslosigkeit

Viele Anfragen erreichen sie per E-Mail - eine Kontaktmöglichkeit, die die Hemmschwelle für viele hilfesuchende Studenten senkt. Zugang zum Seelsorge-Briefkasten hat nur Martina Rogler persönlich. Früher oder später drängt sie jedoch auf ein persönliches Treffen. "Doch viele sind so im Hamsterrad gefangen, dass sie noch nicht einmal Zeit haben, sich Hilfe zu suchen und persönlich zu kommen", sagt sie. Ihr liegt es am Herzen, Studienanfängern keine Angst zu machen: "90 Prozent der Studenten kommen gut mit ihrer Situation zurecht", stellt sie klar.

GEDENKEN NACH TOD DURCH HUNDEATTACKE

Eine Folge von Bologna? Die Zahl der Studenten, die Hilfe bei psychologischen Beratungsstellen suchen, steigt.

(Foto: dpa)

Dass Studenten heute weit weniger Zeit für Freizeitaktivitäten haben, lässt sich jedoch nicht bestreiten. "Unsere Wochenend-Angebote haben wir radikal gekürzt. Es melden sich kaum noch Leute an", sagt Rogler. Klagen über die Arbeitslast und die wachsende Erschöpfung gehen mit dieser Entwicklung einher. "Hochphase ist immer zu Beginn des Semesters und im November/Dezember", sagt Rogler. Dann, wenn die Studenten vom neuen Semester geradezu überrollt werden.

Während diejenigen mit depressiven Stimmungen oder Traumata sich eher an die Psychologen des Beratungsdienstes wenden, suchen Studenten bei der Pfarrerin oft geistliche Begleitung, und "wollen eine ganzheitliche Klärung", wie sie sagt. Die Sinnfrage ist es, die Studenten häufig zu Rogler treibt, das "ich weiß nicht weiter, ich weiß nicht wer ich bin". Betroffen von diesen Schwierigkeiten sind Studenten aller Fächer. "Was die Identitäts- und Sinnsuche angeht, kommen aber besonders viele Mediziner und Juristen zu mir" sagt Rogler. Viele von ihnen studierten ihr Fach, weil es in der Familie eine lange Tradition gibt - eine innere Motivation fehle aber.

Empfängt sie einen Studenten bei sich, heißt es zunächst einmal zuhören - und im Laufe des Gesprächs gemeinsam nach Antworten zu suchen. Eine Behandlung kann bis zu einem Jahr dauern, "Spätestens dann frage ich noch mal nach, wie es geht", sagt Rogler. In Fällen von Psychosen oder schweren Depressionen leitet sie die Studenten an Psychologen weiter - die Zusammenarbeit mit Petra Holler ist eng. Auch sie stellt für die Studenten nach drei kostenlosen Sitzungen den Kontakt zu einem niedergelassenen Kollegen her.

Damit junge Menschen erst gar nicht professionelle Hilfe brauchen, geben die beiden Frauen Erstsemester-Studenten ein paar einfache Ratschläge: "Sucht euch schon am Anfang des Studiums Freunde, bildet ein Netzwerk, gründet Lerngruppen - und gönnt euch regelmäßige Pausen. Wer über die eigenen Verhältnisse wirtschaftet, ist schnell frustriert, weil er nicht schafft, was er sich vorgenommen hat", sagt Psychologin Holler. Studentenpfarrerin Rogler sieht das ähnlich: "Vergesst nicht zu leben! Macht euch nicht zum Knecht eures Studiums", rät sie.

Dass die Angst vor drohender Arbeitslosigkeit diese einfachen Vorgaben manchmal unmöglich erscheinen lässt, wissen die beiden Frauen. "Lücken im Lebenslauf wollen sich die wenigsten Studenten leisten. Für diejenigen, die erkennen, dass sie das falsche Studium gewählt haben, ist das besonders schlimm. Ihnen möchte ich verständlich machen, dass Umwege zum Leben gehören", sagt Holler.

Ob die Studenten diese Einsichten verinnerlichen und die Beratung Früchte trägt, erfahren Holler und Rogler nicht immer. Aber manch ein Student vergisst sie nicht, die Frau, die ihm in dunkler Stunde zur Seite stand.

"Zu manchen Studenten habe ich auch nach vielen Jahren noch Kontakt. Sie schicken mir Fotos von ihrer Familie oder schauen hier im Büro vorbei", erzählt Studentenpfarrerin Rogler. Sie alle haben das Studium überstanden - und erkannt, dass es noch mehr gibt als Klausurnoten und eine möglichst kurze Studiendauer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: