Belästigungsvorwürfe:Aufruhr im Jungsclub von Pixar

John Lasseter

John Lasseter, Jahrgang 1957, ist nach Walt Disney die bisher einflussreichste Figur in der Geschichte des Animationsfilms. Am Dienstag kündigte er eine Auszeit an, um eine "bessere Führungspersönlichkeit" zu werden.

(Foto: dpa)

Es geht keineswegs nur um "unerwünschte Umarmungen": Disney- und Pixar-Chef John Lasseter nimmt nach Belästigungsvorwürfen eine Auszeit.

Von Tobias Kniebe

Die Recherchen des Hollywood Reporter waren nahezu abgeschlossen, da kam John Lasseter der Veröffentlichung mit einem eigenen Statement zuvor. Nach "einigen sehr schmerzhaften Gesprächen" habe er sich entschlossen, als Chef der Animationsabteilungen von Walt Disney und Pixar Animation eine sechsmonatige Auszeit zu nehmen, um in sich zu gehen und aus seinen "Fehltritten" zu lernen. Zugleich entschuldigte er sich bei allen Angestellten, die er durch "unerwünschte Umarmungen oder andere grenzüberschreitende Gesten in jeder Art oder Form" verstört oder verunsichert habe.

Im Großreinemachen der amerikanischen Medienwelt gerät damit ein weiterer mächtiger Mann ins Straucheln, der in Hollywood vor allem durch eine Eigenschaft definiert war - seine Unersetzlichkeit. John Lasseter erfand, damals noch im Dienst von George Lucas, Mitte der Achtziger den Computeranimationsfilm. Mit visionärer Anschubfinanzierung durch Steve Jobs entwickelte er ihn zur neuen Kunstform mit durchschlagendem Erfolg an den Kinokassen, beginnend mit "Toy Story" im Jahr 1995. Daraus entstand das "Pixar"-Imperium, in dem Lasseter bis zuletzt jede kreative Entscheidung absegnete. Nachdem Pixar 2006 von Disney übernommen wurde, führte er auch die dortige Animationssparte mit Filmen wie "Die Eiskönigin" zu neuen populären und monetären Höhenflügen. Im Gespräch erlebte man ihn als begeisterten und besessenen Storyteller, der persönlich und mit fast kindlichem Enthusiasmus um jede Wendung der von ihm produzierten Filme rang - und am Ende fast immer recht hatte, was den Geschmack seines Publikums betraf.

Die "Toy Story"-Fantasien, Jungsträume wie die sprechenden "Cars", ein Büro, das mit Actionfiguren und Spielzeugen vollgestopft war, weite bunte Hawaiihemden über dem mächtig gewölbten Bauch - Lasseter pflegte sein Image als kreatives Riesenbaby, das sein Kinderzimmer im Geist nie ganz verlassen hatte und von dort auch seinen siebten Sinn für die Wünsche seiner Zuschauer zog. Zu sagen, dass er innerhalb und außerhalb seiner Firmen wie ein Guru verehrt wurde, ist in diesem Fall fast noch untertrieben.

Glaubt man den Schilderungen etlicher ehemaliger Pixar-Mitarbeiterinnen, die mit dem Hollywood Reporter gesprochen haben und anonym bleiben, erwuchs aus dieser absoluten Alleinstellungsposition - ähnlich wie bei Harvey Weinstein und Kevin Spacey - aber auch eine dunkle Seite, eine Art institutionalisierter Kontrollverlust. Dabei geht es in diesem Fall nicht um sexuelle Gewalt, aber eben auch keineswegs nur um "unerwünschte Umarmungen".

Pixar galt seit seiner Gründung als "Boys Club"

Es ist von Grapschen und Betatschen, plötzlichen Küssen auf den Mund und ständigen Kommentaren zum körperlichen Erscheinungsbild die Rede. Pixar-Mitarbeiterinnen hätten Techniken entwickeln müssen, um in Lasseters Gegenwart ihren Mund schnell abzuwenden, oder spezielle Sitzpositionen, wenn sie neben ihm platziert waren, um ein Wandern seiner Hände auf ihren Beinen zu verhindern. Jüngere weibliche Angestellte, die als attraktiv eingeschätzt wurden, seien von den wichtigen Kreativ-Meetings mit Lasseter sogar ferngehalten worden, zu ihrem eigenen Schutz. Eine Betroffene berichtet, dass sie deshalb in der Pixar-Kultur keine kreativen Möglichkeiten sah und die Firma frustriert verließ.

Pixar galt seit seiner Gründung als "Boys Club", da die Computeranimation besonders in ihren Anfängen eine Spielwiese vor allem männlicher Nerds war. Die Chancen der Frauen im Pixar-Universum aber erscheinen nach den aktuellen Berichten noch einmal in einem anderen Licht. Etwa die Tatsache, dass Pixar-Filme bisher fast ausschließlich von Männern inszeniert werden. Die Regisseurin Brenda Chapman, die "Merida - Legende der Highlands" machen sollte, wurde von Lasseter 2010 auf halber Strecke gefeuert und durch einen Mann ersetzt. Sie nannte diese Erfahrung hinterher "verheerend".

Da der Disney-Konzern traditionell ein Image der Familienfreundlichkeit und Korrektheit zu verteidigen hat, ist John Lasseters Flucht nach vorn in diesem Moment nicht überraschend. Die immer schnellere Taktung der Ereignisse führt jedoch auch zu journalistischen Fehlern. So berichtete der Hollywood Reporter, auch die Autorin Rashida Jones sei nach einer "unangemessenen Avance" Lasseters bei Pixar ausgestiegen und habe das Projekt "Toy Story 4" hingeworfen. Inzwischen stellte Jones aber klar, dass der Grund nur "kreative und philosophische" Differenzen gewesen seien.

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