Biennale: Schlingensief:Doppelter Schaden

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Der Deutsche Pavillon auf der Biennale von Venedig hat zwei Probleme: Das eine ist er selbst, das andere heißt Christoph Schlingensief. Denn dessen Werk lässt sich nicht konservieren.

Christopher Schmidt

Der Deutsche Pavillon auf der Biennale von Venedig hat derzeit zwei Probleme, ein grundsätzliches und ein akutes. Das grundsätzliche Problem ist er selbst, das akute heißt Christoph Schlingensief. Und beide Probleme sind so miteinander verknüpft, dass das akute Problem das grundsätzliche noch verschärft, das mit der deutschen Geschichte zusammenhängt.

Künstler Christoph Schlingensief, aufgenommen am 26. Januar in München. Im Deutschen Biennale-Pavillon 2011 gibt es nun keine Ausstellung von Schlingensief - sondern über den gestorbenen Künstler. "Es bleibt bei Christoph Schlingensief, das ist die grundsätzliche Entscheidung", so Pavillon-Kuratorin Susanne Gaensheimer am Dienstag. (Foto: dpa)

Historisch kontaminiertes Terrain

Denn deren unheilvollstes Kapitel hat dem Pavillon seine heutige Gestalt gegeben. Der 1909 im antikisierenden Stil ausgeführte Bau war 1938, da die Länderpavillons der Biennale der nationalen Selbstdarstellung dienten, von dem Architekten Ernst Haiger umgestaltet, mit wuchtigen Säulen monumentalisiert und in den Dienst der nationalsozialistischen Propaganda gestellt worden. Weil der Deutsche Pavillon eben kein neutrales Gehäuse ist, sondern historisch kontaminiertes Terrain, haben sich nach dem Krieg alle Künstler, die Deutschland in Venedig vertraten, zu ihm verhalten und auf unterschiedlichen Wegen den Kontext des Ortes zum Thema gemacht, um das Gebäude zu entgiften.

Gerade aber von einem Künstler wie Christoph Schlingensief wäre zu erwarten gewesen, dass er in besonders exponierter Weise auf die Geschichte des Deutschen Pavillons eingeht, den er bei der Biennale 2011 bespielen sollte. Nicht allein deshalb, weil die Auseinandersetzung mit den Dämonen der deutschen Nationalmythen immer schon im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit stand, sondern vor allem auch, weil seine Werke noch nie unabhängig von ihrem konkreten Kontext zu denken waren, weil gerade die Weigerung, eine Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu ziehen, den Kern seiner unstillbaren Produktivität ausmachte, die sich immer als Intervention im sozialen Raum verstand.

Der Tod Christoph Schlingensiefs am 21. August hat die Kuratorin des Deutschen Pavillons Susanne Gaensheimer vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Einerseits hat sie keinen anderen Künstler in Reserve, der für Schlingensief einspringen könnte, andererseits stand sein Konzept nur erst in groben Zügen. Anstatt den Versuch zu wagen, Schlingensiefs skizzenhafte Ideen trotzdem umzusetzen, hat sich Susanne Gaensheimer nun dazu entschlossen, in enger Zusammenarbeit mit seiner Witwe Aino Laberenz eine "Hommage" an Christoph Schlingensief zu planen. Keine Retrospektive soll das werden, sondern eine Art Tour d'horizon, welche vor allem die jüngsten Projekte des verstorbenen Allroundschaffenden dokumentiert.

Aus der Not geboren

Damit entfiele aber nicht nur jene Reibung mit dem historisch belasteten Ort, aus der Christoph Schlingensiefs Biennale-Beitrag sich gespeist hätte, vielmehr könnte das Vorhaben sowohl dessen ureigenen künstlerischen Intentionen in ihr Gegenteil verkehren als auch die Überlegungen, die dazu geführt hatten, Schlingensief mit der Gestaltung des Pavillons zu betrauen.

Das neue, aus der Not geborene Konzept beschädigt die Kunst also gleich doppelt. Zum einen, indem es den Ausstellungsbau wieder zu dem macht, was er nach dem Krieg nicht mehr sein sollte: eine Ruhmeshalle für einen Heros der deutschen Kunst -und damit hinter die kuratorische Achtsamkeit der vergangenen Jahrzehnte zurückfällt. Zum anderen, weil diese zweifelhafte Ehre ausgerechnet einem Mann zu Teil werden soll, der solchen Götzendienst im Leben abgelehnt hätte und nun postum für die Repräsentationskunst vereinnahmt zu werden droht. So wirkt die Entscheidung für eine vergleichsweise konventionelle Ausstellung über Christoph Schlingensief geradezu wie tragische Ironie.

Als einen Grund für die Undurchführbarkeit der ursprünglichen Pläne nennt Susanne Gaensheimer, dass der Künstler sein Konzept bis zuletzt immer wieder verändert und ergänzt habe, weshalb eine authentische Umsetzung unmöglich sei. Die immanente Unabgeschlossenheit des Schlingensiefschen Werks, seine Durchlässigkeit für spontane Impulse, Interaktionen mit dem Zuschauer, neues Material und das aleatorische Element des integrierten Zufalls, war jedoch unabdingbar für sein Schaffen. All das hängt damit zusammen, dass Schlingensief ein Künstler der Entgrenzung war: zwischen den Sparten - Theater, Performance, Aktion flossen bei ihm genauso ineinander, wie auf seiner Bühne immer auch Kunstwerke hergestellt wurden, Bilder, Skulpturen, und Musik entstand - und zwischen Leben und Kunst.

Die Narrenfreiheit des Künstlers hat er nie hingenommen, mit Fleiß und kindlicher Wut rüttelte er an den Gitterstäben seines goldenen Käfigs, rebellierte gegen die eigene Ohnmacht und die lähmende Alltoleranz des Betriebs. Was er auf die Bühne brachte, war oft ungeprobt, denn Schlingensief konnte sich nie damit abfinden, dass Kunst Spiel sein sollte, Handeln auf Probe, das große Als-ob.

Um die Ketten zu sprengen, hat er Tabus gebrochen. Und um nicht eingeholt zu werden vom großen Glassturz, der ihn unschädlich macht, musste er stets in Bewegung bleiben, seine Arbeiten permanent fort- und überschreiben, unberechenbar sein. Das Beuys'sche "Zeige deine Wunde" war auch seine Maxime.

Wer aber, statt die Wunde zu zeigen, den Schorf ausstellt, erweist Christoph Schlingensief einen schlechten letzten Dienst.

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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