Deutscher Alltag:Männer!

Der Mann, das wissen Frauen, ist für die wirkliche Welt nicht gemacht. Unter Menschen ist der Mann irgendwie peinlich. Im Keller aber, allein mit seiner Märklin-Modelleisenbahn, ist er stark und mächtig. Er darf nur nicht nach oben kommen.

Kurt Kister

Vor ein paar Tagen hieß es, Märklin sei nun endgültig vor der Pleite gerettet. Wie schön. Märklin stellt Modelleisenbahnen her und ist deswegen eine typische Männerfirma. So wie alle Frauen Prada kennen, kennen alle Männer Märklin. Frauen sollten sich grundsätzlich nicht mit Männern abgeben, die Märklin nicht kennen, denn ein Mann, der sich nicht für die Verkleinerung der Welt interessiert, trinkt zu viel, ist promisk oder trägt die Anlage zum Serienmörder in sich. Zwar mag manche Frau, deren Partner sein halbes Leben im Keller an der Gleisplatte zubringt, glauben, Modelleisenbahner seien Perverse. Aber da ein Modelleisenbahner für andere, wirkliche Perversitäten gar keine Zeit hat, bedeutet Modelleisenbahnertum so etwas wie freiwillige Sicherungsverwahrung.

Modelleisenbahn von Märklin

Bevor noch der pubertierende Knabe die Reize der Erotik entdeckt, baut er schon kleine Flugzeuge aus Plastik zusammen. Später hält er kurzzeitig die Erotik für wichtiger als den Modellbau. Dann aber stellt er fest, dass die Liebe deutlich mehr Schmerzen bereithält als etwa der Zusammenbau einer Me-109 G.

(Foto: AP)

Nein, der Verfasser dieser Kolumne ist kein Modelleisenbahner. Aber auch er ist ein Mann, der die große Welt manchmal so sehr scheut, dass er deren Veränderung im Modell sehr aufgeschlossen gegenübersteht. Während man in Wirklichkeit als Zeitungsredakteur zum Beispiel in einem schwarzen Turm sitzt, den Raben und Dohlen umkreisen, die krächzen, und dies manchmal mit südwestdeutschem Akzent tun, kann man als Modellbauer eine Redaktions-Villa im Maßstab 1:72 konstruieren, in der sich alle Büros auf eine umlaufende Terrasse hinaus öffnen und gelbe Webervögel - in diesem Maßstab sehr klein - in der Hecke nisten. So ein Bürohaus braucht nicht viel Platz, man kann es abends unters Bett schieben und am Sonntag noch ein wenig weiterbasteln. Übrigens werden viele Architekten nur Architekten, weil sie nach einem bezahlten, gesellschaftlich anerkannten Grund für ihr Modellbau-Hobby suchen.

Bevor noch der pubertierende Knabe die Reize der Erotik entdeckt, baut er schon kleine Flugzeuge aus Plastik zusammen oder bemalt Orks und Space Marines. Wenn der Knabe zum Mann gereift ist, hält er kurzzeitig die Erotik für wichtiger als den Modellbau. Dann aber stellt er fest, dass die Erotik etwas Flüchtiges und die Liebe etwas Kompliziertes ist und außerdem deutlich mehr Schmerzen bereithält als etwa der Zusammenbau einer Me-109 G im Maßstab 1:32.

Der Mann, das wissen Frauen, ist für die wirkliche Welt eigentlich nicht gemacht. Wenn er einen Schnupfen hat, droht er zu sterben, und wenn er sich mit jemandem streitet, hält er das gleich für Krieg. Unter Menschen ist der Mann irgendwie peinlich. Im Keller aber, allein mit seiner Märklin-Bahn, seinen kleinen Jagdflugzeugen oder seiner Ferrari-Sammlung kann er sich die Welt nach seinem Bilde schaffen. Er ist stark, stolz und mächtig. Er darf nur nicht nach oben kommen.

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