Im Gespräch: Bruno Ganz:Die Welt, ein Friedhof

Wie man ein großes Leben erzählt: Bruno Ganz spielt in "Das Ende ist mein Anfang" den "Spiegel"-Reporter Tiziano Terzani. Ein Gespräch über Wahrsager und das Erzählen von Geschichten.

Susan Vahabzadeh

Bruno Ganz, geboren 1941 in Zürich, war schon eine Theaterlegende, bevor er im Kino richtig loslegte, 1976 bekam er dann für Wim Wenders' "Der amerikanische Freund" einen Deutschen Filmpreis. Bruno Ganz ist der derzeitige Träger des Iffland-Rings und seit Februar, gemeinsam mit Iris Berben, Präsident der Deutschen Filmakademie.

Das Ende ist mein Anfang

"Die Gesetze, was Kino ist und was gar nicht geht, werden ja alle paar Jahre modifiziert": Bruno Ganz spielt in seinem neuen Film einen Reporter und Korrespondenten des "Spiegel".

SZ: Hatten Sie Tiziano Terzanis Reportagen aus Asien damals gelesen, als er beim Spiegel war?

Bruno Ganz: Ehrlich gesagt kann ich mich daran gar nicht erinnern. Ich hatte "Das Ende ist mein Anfang" gelesen, bevor ich mit dem Projekt in Kontakt kam, weil es mir jemand empfohlen hatte - und dann habe ich erst wieder etwas von ihm gelesen, als ich schon wusste, dass ich ihn spielen würde: Ein Buch über Wahrsager, das ich sehr interessant fand - er hat eigentlich nicht daran geglaubt und dann aber wieder doch. Schließlich ist er wegen der Vorhersage eines drohenden Absturzes ein Jahr nicht mehr geflogen - der Spiegel schickte einen weiteren Journalisten nach Asien, der dann tatsächlich mit dem Helikopter abstürzte. Terzani wertete das als Zeichen. Er machte also sehr beschwerliche Reisen, es gab kaum Bahnlinien. Er hat überall Wahrsager aufgesucht und ihre Methoden beschrieben und die unterschiedlichen Dinge, die sie ihm weissagten. Der eine sagt gleich was, der andere sagt: Opfere ein Schaf, der Schulterknochen muss im Feuer liegen bleiben, dann machst du ihn sauber und bringst ihn mir ... Dass man aus hingeworfenen Vogelknochen die Zukunft weissagt, ist mir schon mal vorher begegnet, in "Der gefesselte Prometheus"... Jedenfalls fragte Terzani jeden Wahrsager, ob er nun fliegen soll oder nicht, und die Antworten waren sehr unterschiedlich. Ich fand das sehr lustig.

SZ: Haben Sie selbst einen Zugang zur Esoterik?

Ganz: Kaum. Terzani war sehr zielstrebig, ein italienischer Kommunist, Schule Berlinguer. Aber Mao war der Größte für ihn, also wollte er dorthin. Er hat Chinesisch studiert. Als er nach Asien kam, hat er kapiert, dass kein Regierungschef in Bangkok eine wichtige Entscheidung treffen würde, ohne vorher einen Wahrsager zu konsultieren. Das definiert die Regeln, es beeinflusst, was Leute tun - und Terzani hatte eine ambivalente Haltung dazu. Vor allem war er zu neugierig, um die Wahrsagerei abzulehnen - ein bisschen machte er da mit. Das gefällt mir. Sein Haus in den Apenninen, in dem wir gedreht haben, ist voller Buddha-Statuen - aber ich denke, richtig gläubig war er nicht.

SZ: Hat die Herausforderung Sie gereizt, diese Geschichte eines Weltreisenden fast ausschließlich aus diesem Haus heraus zu erzählen - seine Vergangenheit also nicht in Rückblenden erklären zu können, sondern mitspielen zu müssen?

Ganz: Na klar. Wenn man sich für Geschichtenerzähler interessiert - durchaus in dem Sinne eines Geschichtenerzählers auf dem Marktplatz, statt Kino, denn das gab es ja nicht -, wenn man einem Menschen zutraut, durch Erzählen die Phantasie der Zuhörer in Bewegung zu setzen, dann ist das nach wie vor ein schönes Mittel. Und der Mann hatte etwas zu erzählen - als Zeitzeuge des vergangenen Jahrhunderts und als einer, der auszog, das Sterben zu lernen. Ein sehr unfilmisches Mittel, ich weiß.

SZ: Darüber kann man ja streiten ...

Ganz: Das wird zurzeit schon so gesehen! Die Gesetze, was Kino ist und was gar nicht geht, werden ja alle paar Jahre modifiziert. Mir wird immer erzählt, man könnte kein Voiceover machen - aber es gibt einige Filme, die machen das ganz toll. Es gibt eine Szene, bei Carol Reed, denke ich, da kommt eine Person ins Zimmer und redet mit einer Frau - und in dem Moment, in dem der Dialog losgeht, hört man seine Stimme als Voiceover, wie er die Szene erzählt. So eine Art umgedrehte Rückblende. Ich fand das grandios, es schafft Distanz, es ist künstlich, aber gleichzeitig gehört diesem Mann die Szene. So was gilt heute als unfilmisch - ich habe das mal bei einem Film vorgeschlagen, da hieß es: Bist du wahnsinnig? Vielleicht hätten viele Leute "Das Ende ist mein Anfang" gern mit Rückblenden gesehen - ich nicht.

SZ: Zwingend kommen mir die Rückblenden auch nicht vor - im Theater gibt es keine, und im "Totmacher" von Romuald Karmakar sitzt Götz George nur da und erzählt, jede Nahaufnahme ist ein filmisches Mittel. Das hat funktioniert.

Ganz: Das hat sogar sehr gut funktioniert!

SZ: Terzanis Sohn wird von Elio Germano gespielt, der in Cannes den Darstellerpreis bekam für "La nostra vita" - der spricht aber kein Deutsch. In welcher Sprache haben Sie denn gedreht?

Ganz: Ich habe auf Deutsch gespielt - er hat sich Stichworte gemerkt, damit er weiß, wo ich im Text bin, und hat auf Italienisch geantwortet. Das war unproblematisch - ich habe aber auch schon erlebt, dass es ganz erhebliche Kommunikationsprobleme gibt, wenn das Gegenüber reagieren soll, obwohl es den Text eigentlich nicht versteht.

SZ: Am Anfang des Buches - und des Films - fragt Terzanis Sohn Folco seinen Vater, ob er wirklich keine Angst habe vor dem Tod. Können Sie sich das vorstellen - dass er wirklich keine Angst hatte?

Ganz: Vielleicht. Jedenfalls hatte Folco ein eher schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, die Geschichten, die Terzani für den Spiegel schrieb, haben den Sohn wohl nicht interessiert - vielleicht, weil er als Kind ja bei vielem dabei war. Der Tod, das war etwas, wo er tatsächlich vom Vater lernen konnte. Alle Menschen haben Angst vor dem Tod, und sein Vater sagt, er habe keine - das ist eine Herausforderung. Und dann kommt diese lange große Rede, warum Sterben kein Problem ist - weil die Welt ohnehin ein Friedhof ist ... Wir gehen buchstäblich auf den Knochen Millionen Verstorbener. Ich glaube, Tiziano Terzani hat, als ihm klar war, dass er dem Krebs nicht entkommt, nicht zum Opfer werden wollen. Er wollte seinen Tod annehmen und somit irgendwie besiegen - zumindest die Angst davor.

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