Im Kino: I Am Love:Die Eleganz und die Ekstase

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Simultane Frau im minimalistischen Barock: Tilda Swinton spielt in dem Film "I Am Love" die Gattin eines Mailänder Großindustriellen - und erinnert an die Hitchcock-Blondinen. Diesmal sogar mit Mascara.

Fritz Göttler

Es ist nicht zu übersehen, von den ersten Momenten an. Diese Frau ist eine Fremde, in diesem Haus, in diesem Land, in dieser Kultur - Tilda Swinton als Gattin eines Mailänder Großindustriellen.

Tilda Swinton und Mattia Zaccaro (rechts) in dem von Swinton mitproduzierten Film "I Am Love". (Foto: N/A)

Dieser unbeteiligte - dabei durchaus aufmerksame - Blick über die riesige Familientafel, beim Geburtstag des Familienpatriarchen. Topbourgeoisie, italienischer Geldadel. Morandis in der Küche. Die Übergabe des Unternehmens - Textilien, unterm Faschismus groß geworden - ist fällig. Das Haus ist von außen gefilmt wie eine Festung, ein grauer Koloss im Schneetreiben. Von der Stuckatur und dem gediegenen Meublement der Palazzi bei Visconti ist nichts geblieben. Die Stadt erscheint, unter dem Vorspann, wie eine sozialistische Metropole.

Es braucht zwei von euch, um mich zu ersetzen, erklärt dann der Patriarch (Gabriele Ferzetti), und übergibt die Firmenleitung an seinen Sohn und dessen Sohn zugleich. Die werden dann wenig später global weiterverhandeln, in London. Der Sohn hat an eben diesem Tag beim Rudern nicht gewinnen können, gegen einen Freund, einen Gastronomensohn und Koch.

Visconti on acid, hat Swinton von dem Film gesagt. Sieben Jahre lang hat sie gemeinsam mit dem Filmemacher Luca Guadagnino an der Geschichte gebastelt, die seine Faszination gegenüber der Fashion - er hat fürs Modehaus Fendi Promos geschaffen, Silvia Venturini Fendi ist eine Koproduzentin - und seine Liebe zur Kochkunst kombiniert - sein Film "Cuoco contadino" widmete sich dem Koch Paolo Masieri.

Eins der Rezepte für unsere Arbeit, erinnert sich Tilda Swinton, stammt von Hitchcock, der sagte: Einen Filmemacher bitten, über den Inhalt seines Films zu reden, das sei wie einen Maler fragen, ob die Äpfel, die er malte, süß oder sauer wären.

Die rotblonde Tilda, die Fremde im Mailänder Palazzo, ist eine freie Variation auf die Hitchcock-Blonden. Eine Frau, die ihrer eigenen Existenz unsicher wird, die sich auf neue Wege begibt, die manchmal Irrwege sind, manchmal in eine tour de force münden - und einmal hat Swinton tatsächlich den berühmten gezwirbelten Haarknoten aus "Vertigo". Sie trägt hinreißend Monochromes, bevorzugt violett und orange, das sie zu einer kühlen Figurantin macht, einem Abstraktum gar auf den Straßen der Städte.

Ein Art-Déco-Stück - ein Buch über Sonia Delaunays "Atelier simultané", das sie in ihrer Verwirrung aus einer Buchhandlung entwendet, spielt eine Rolle beim entscheidenden Rendezvous ihres Lebens. Danach geht es in die Natur, in die nackte Erregung - diese Szenen sind ungeniert inbrünstig gefilmt, im Stil der Dreißiger, als die Filmemacher die neue Ekstase des Kinos endgültig entdeckten. Die Musik, vom amerikanischen Komponisten John Adams ausgeborgt, besorgt den Rest, bis hin zur Befreiung.

Ich mag die Idee eines Minimalisten, der barock ist, hat Luca Guadagnino von Adams gesagt. Was auch eine perfekte Beschreibung ist für diesen Film.

IO SONO L'AMORE, I 2009 - Regie: Luca Guadagnino. Buch: Luca Guadagnino, Barbara Alberti, Ivan Cotroneo, Walter Fasano. Kamera: Yorick Le Saux. Musik: John Adams. Schnitt: Walter Fasano. Mit: Tilda Swinton, Edoardo Gabbriellini, Gabriele Ferzetti, Pippo Delbono, Alba Rohrwacher, Marisa Berenson. MFA+, 114 Minuten.

© SZ vom 29.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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