"Judy" im Kino:Am Ende des Regenbogens

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"I'll Go My Way By Myself": Weil sie das Geld braucht, nimmt Judy Garland (Renée Zellweger) das Engagement in einem Londoner Nachtclub an. (Foto: dpa)
  • Der Film "Judy" über das Leben der Schauspielerin und Sängerin Judy Garland, ist ein etwas zu braves Melodram geworden.
  • Renée Zellweger, die Garland im Film verkörpert, gilt für ihr großartiges Spiel allerdings als heiße Kandidatin bei der Oscar-Verleihung.

Von Annett Scheffel

"Ich habe 'Der Zauberer von Oz' immer sehr ernst genommen", hat sie einmal gesagt. "Ich glaube an diese Idee des Regenbogens. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, an sein Ende zu kommen."

Judy Garland, die Schauspielerin und Sängerin, die Getriebene, die Showbusiness-Legende, Königin der Fantasiewelten, die an den Träumen, über die sie sang, zerbrach. Regisseur Rupert Goold verdichtet in seinem Biopic "Judy" das Leben seiner Heldin. Gleich in der ersten Szene führen seine Hauptdarstellerin und er die Extreme vor, zwischen denen Garland in den Sechzigern auf ihr Ende zusteuerte: Renée Zellweger als Judy schwebt mit ihren zwei jüngsten Kindern in eine mondäne Hotellobby. Stark und leuchtend sieht sie aus in ihrem glutroten Brokatanzug. Eine Frau, die den Star-Habitus so sehr verinnerlicht hat, dass sie ihn auch nicht ablegen kann, als das peinlich berührte Hotelpersonal sie nicht einchecken lässt - die Rechnungen sind zu lange nicht bezahlt worden. Und so sitzt Garland kurz darauf wieder im Taxi und tastet nach den Tabletten in ihrer Handtasche. "Jetzt nicht einschlafen, Mama", fleht die Tochter. "Nein, nein, das sind die anderen."

Der Film über die Entertainerin hat eine große Stärke, denn Renée Zellweger ist fabelhaft. Er hat aber auch eine große Schwäche, weil der Regisseur Garland ziemlich einseitig porträtiert, nämlich vor allem als psychisches Wrack. Der Fokus der Handlung liegt auf ihrem letzten Lebensjahr vor der versehentlichen Tablettenüberdosis 1969, als sich Karriere und körperliche Verfassung bereits im freien Fall befinden.

Renée Zellweger gilt durch den Auftritt als heiße Kandidatin bei der Oscar-Verleihung

Als sie ein Angebot für ein mehrwöchiges Engagement in einem Nachtclub erhält, reist sie widerwillig nach London und versucht die Magie der alten Tage noch einmal aufleben zu lassen. Natürlich braucht sie vor allem auch Geld. Für die vielen Tabletten, die sie zum Schlafen und zum Wachsein braucht, und für den teuren Sorgerechtsstreit um ihre Kinder.

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Von dem Vermögen, das erst der Produzent Louis B. Mayer und dann diverse Ex-Ehemänner mit ihr gemacht haben, ist ihr 1968 nichts geblieben. Ihr letzter Erfolg liegt Jahre zurück. Ihr letzter Suizidversuch noch nicht so lange. Goold macht aus dem Drehbuch, das Tom Edge basierend auf dem Broadway-Stück "End of the Rainbow" geschrieben hat, ein etwas zu braves Melodram, das zwischen den zwei Gesichtern der launischen Garland hin- und herwechselt. In ihrem Londoner Hotelzimmer gibt sich die dauerdeprimierte Diva Tabletten, harten Drinks und Selbstzweifeln hin. Und auf der Bühne, vor ausverkauftem Haus, begeistert sie nach etwas holprigem Auftakt mit ihren Show-Tunes: "I'll Go My Way by Myself" oder "Come Rain or Come Shine".

Gerade dieses Wechselspiel, mit dem der Regisseur die große Bühnenfigur und das zerbrechliche Wesen dahinter zusammenführen will, wirkt wie eine unbeholfene Nummernrevue der Klischees und Kontraste, in der alle Figuren die immer gleichen Rollen spielen und entweder zur Gefolgschaft (Jessie Buckley aus "Wild Rose" bleibt als Konzertmanagerin blass) oder zu den Schurken gehören (Finn Wittrock als Garlands schmieriger Nichtsnutz von einem Lover).

Dafür macht Renée Zellweger ihrer Rolle aber alle Ehre. Die 50-Jährige verkörpert den herzzerreißend derangierten Bühnenstar mit einer manischen Energie in den mit dunklem Kajal dramatisch umrandeten Augen und einem beeindruckenden Gespür für Garlands Manierismen: ihre flatterhafte Art, diese zittrige, elegante Anspannung, einem Kolibri gleich. Das mädchenhafte Schwingen der Arme und Beine, das sie nie ganz ablegte, auch als sie ihren Jahren als Amerikas liebster Kinderstar längst entwachsen war. Garlands schlagfertiger Humor und die beißende Selbstironie. In einigen Szenen erzählt ihr Gesicht mehr darüber, wie sehr der drakonische Drill von Hollywoods Studiosystem und der frühe Ruhm sie seelisch deformiert haben, als Goold das mit seinen biederen Rückblenden vermag.

Zellweger singt selbst, und sie triff Garlands späten Tonfall gut, nicht mehr glockenhell, aber mit diesem immer noch charmanten, vom Leben leicht angerauten Vibrato. Am erstaunlichsten ist aber, dass der Zuschauer immer zwei Frauen gleichzeitig anschaut: Zellweger sieht aus wie Judy Garland (auch dank der erstklassigen Arbeit von Kostüm und Maske), aber sie verschwindet nicht in der Rolle. Sie wird zu Garland und sie bleibt sie selbst, die Schauspielerin. Es ist ein aufregendes Doppelspiel, für das sie zu Recht als Oscar-Kandidatin gehandelt wird.

Judy , Großbritannien 2019 - Regie: Rupert Goold. Buch: Tom Edge, basierend auf "End of the Rainbow" von Peter Quilter. Kamera: Ole Bratt Birkeland. Schnitt: Melanie Ann Oliver. Mit: Renée Zellweger, Finn Wittrock, Jessie Buckley, Rufus Sewell, Michael Gambon, Richard Cordery. Entertainment One, 118 Minuten.

© SZ vom 03.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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