Personalisierte Tickets für Popkonzerte:"Mafiöses System"

Für ein Konzert von "Take That" fräsen sich 85 Lkw durch Europa, dazu ein Privatjet: Konzertveranstalter Scumeck Sabottka erklärt, warum nach den Fußball- nun auch die Musikfans personalisierte Eintrittskarten kaufen sollen.

Tanja Rest

Eine Eintrittskarte, auf der der eigene Name steht, um den Schwarzmarkt auszuhebeln: Das kannte man bisher vor allem von der Fußball-WM 2006. Nun soll dieses Prinzip auch für Popkonzerte gelten. Die SZ sprach mit Scumeck Sabottka, 48, Inhaber der deutschen Tournee- und Konzertveranstaltungs-Agentur MCT, der die wiedervereinigte Gruppe "Take That" im Juli 2011 für drei Konzerte nach Deutschland bringt - und dafür personalisierte Tickets verkauft.

Neues Album von Take That - alles wie früher

"Der Aufwand für ein großes Konzert ist gigantisch": Um die wiedervereinten Jungs von Take That im Großen und Ganzen zu sehen, sollen Fans für das Konzert Juli 2011 nun personalisierte Tickets kaufen.

(Foto: Universal/dpa)

SZ: Herr Sabottka, zum ersten Mal überhaupt werden für eine Stadiontournee Tickets personalisiert. Warum tun Sie das?

Sabottka: Weil die Künstler, das Management und wir nicht wünschen, dass die Kunden abgezockt werden.

SZ: Das ist nett und selbstlos von Ihnen. Tatsächlich dürften Sie vor allem keine Lust darauf haben, dass Gelder in den Schwarzmarkt fließen, von denen Sie nichts haben.

Sabottka: Sicher, auch. Aber das Geld, das in den Schwarzmarkt fließt oder ins "Secondary Ticketing", wie man das so beschönigend nennt, das geht in erster Linie am Künstler vorbei. Sie werden wahrscheinlich im Internet gesehen haben, dass es Take-That-Karten angeblich auch bei anderen Anbietern gibt.

SZ: Da findet man Angebote von bis zu 1000 Euro pro Karte.

Sabottka: Es werden auch Karten für 2000 Euro gehandelt. Die Masse der Angebote liegt zwischen 150 und 200 Euro. Das ist aber auch noch zu viel.

SZ: Werden diese Tickets vom Händler für mich personalisiert oder werde ich die letztlich nie bekommen?

Sabottka: Sie werden eine Karte bekommen, auf der wahllos irgendein Name steht. Die Wiederverkaufsplattform wird Ihnen vorgaukeln, dass es nicht so schwierig sein wird, damit trotzdem ins Konzert zu kommen, weil man davon ausgeht, dass sowieso nicht richtig hingeschaut wird. Nach dem Motto: Wie soll man 75.000 Leute schon kontrollieren?

SZ: Indem man sich den Personalausweis zeigen lässt?

Sabottka: Oder einen Lichtbildausweis. Wir werden jeden kontrollieren. Es macht ja keinen Sinn, ein so aufwendiges System zu fahren, wenn man es dann nicht durchzieht. Bei der Fußball-Weltmeisterschaft hat das ja auch wunderbar funktioniert.

SZ: Wenn am Tag des Konzerts etwas dazwischenkam, konnte man die Karte bisher schnell einer Freundin in die Hand drücken. Wie läuft das bei personalisierten Karten?

Sabottka: Sie können die Karte bis kurz vor Konzertbeginn bei tickets.de umpersonalisieren lassen. Dafür müssten Sie einen Lichtbildausweis Ihrer Freundin hochladen, damit das System erkennen kann, dass es sich um einen realen Menschen handelt. Dann bekommt Ihre Freundin die neue Karte zugemailt.

SZ: Da werden sich einige überlegen, ob sie überhaupt eine Karte kaufen. Das ist doch furchtbar umständlich.

Sabottka: Mag sein. Wir legen mit diesem System aber fest, dass der Fan nicht mehr bezahlen muss als von uns vorgesehen. Außerdem: Die Rate von Leuten, die ihre Karten umpersonalisieren, das haben wir zum Beispiel bei Konzerten von Sting oder Rammstein festgestellt, ist verschwindend gering. Sie liegt bei circa einem Prozent.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie sich die Kosten für Konzertkarten zusammensetzen.

Der Herr über die Tickets

SZ: Was sagt das Gesetz zu Zweitverkäufen im Netz?

Personalisierte Tickets für Popkonzerte: Scumeck Sabottka: "Vorverkaufsstellen, wie wir sie von früher kennen, wird es bald nicht mehr geben."

Scumeck Sabottka: "Vorverkaufsstellen, wie wir sie von früher kennen, wird es bald nicht mehr geben."

(Foto: Florian Richter/oh)

Sabottka: Es gibt keine Rechtsgrundlage, die es verbieten würde, die Karten für Unsummen weiterzuverkaufen. Ich kann nicht verstehen, dass diese Praxis in Europa nicht verboten wird, um den Kunden zu schützen.

SZ: Durch Zweitverkäufe entsteht Ihnen als Veranstalter kein direkter Schaden. Und die Leute sind offenbar gerne bereit, für Karten, die sie im Internet kurzfristig noch bekommen können, das Doppelte und Dreifache zu zahlen. Wo liegt eigentlich das Problem?

Sabottka: Keine Frage, es gibt dieses Einverständnis zwischen Zweitverkäufer und Käufer. Aber dem möchten wir nicht Vorschub leisten. Die Take-That-Karten sind, wie wir finden, fair gehandelt: Es sind die identischen Preise, die wir 2006 für Robbie Williams genommen haben. Madonna oder U2 zum Beispiel sind wesentlich teurer. Es gibt die Take-That-Karte im Vorverkauf für 55 bis 82 Euro. Entweder du kaufst sie rechtzeitig oder eben nicht, dann kommst du aber auch nicht rein. Das ist im Übrigen die beste Promotion für den Künstler.

SZ: Enttäuschte Fans als Werbung?

Sabottka: Das beste Konzert ist doch das, wo zweihundert Leute vor der Tür stehen und sagen: Scheiße, ich bin nicht reingekommen.

SZ: Wie genau funktioniert Secondary Ticketing?

Sabottka: Diese Ticketsysteme kaufen die Karten in Massen. Der Absatz liegt bei schätzungsweise acht bis 20 Prozent des Umsatzes, den wir normalerweise tätigen. Der Teich mit dem Geld des Secondary Ticketing ist gigantisch, das kann man sich nicht vorstellen. Das, worum es hier geht, ist letztlich mafiös - aber keiner will drüber reden. Das Ganze funktioniert nur deshalb, weil diese Ticketsysteme dem Kunden vorgaukeln, dass ein Konzert schon ausverkauft ist - dass man also über einen alternativen Weg Karten kaufen muss. Das ist doch gesteuert von der Veranstaltungsbranche selber! Die Branche ist doch in diese Bredouille hineingeraten, weil sie das selbst angefangen hat. Weil sie den Hals nicht voll kriegen konnte und an diesen Geldern partizipieren will.

SZ: Was heißt partizipieren?

Sabottka: Im schlimmsten Fall ist es so, dass der Veranstalter mit der Band und dem Ticketsystem unter einer Decke steckt und den Kunden abzockt. Manche lassen sich das sogar bezahlen, dass sie die Karten ans Secondary Ticketing abgeben. Der Veranstalter ist ja Herr über die Tickets, er entscheidet. - Sie wohnen in München, richtig?

SZ: Richtig.

Sabottka: Olympiahalle, bestes Beispiel. Wenn ich da 10.500 Tickets verkaufe, kann ich doch sagen: Nach 7500 Karten ist ausverkauft. 3000 Karten gebe ich einem Zweitverkäufer und kassiere noch zusätzlich. Das wissen Sie doch als Kunde gar nicht. Sie gehen zum Vorverkauf, dort sagt man Ihnen: ist ausverkauft. Dann gehen Sie ins Internet, da kostet die Karte 178 Euro, und die kaufen Sie dann. Oder man gaukelt Ihnen vor, dass Sie die Karte kriegen, wenn Sie noch ein Hotel dazubuchen und 'ne Reise dorthin.

SZ: Ist das so üblich?

Sabottka: Ja, allerdings nur ab einer gewissen Größenordnung, bei Hallen- und Stadiontourneen.

SZ: Namen wollen Sie aber nicht nennen, wie?

Sabottka: Nein, aber darum geht es auch nicht. Die Personalisierung der Tickets wird in der Veranstalter- und Ticketing-Szene einiges auslösen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, warum Vorverkaufsstellen ausgedient haben.

SZ: Rammstein haben die Karten für ihre jüngste Tour über die eigene Webseite verkauft und die sonst übliche Händlermarge selbst eingestrichen.

Sabottka: Ja, die sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben das Ticketing alleine gemacht. Sie haben eine faire Vorverkaufsgebühr von fünf Euro zuzüglich Versandkosten festgelegt und dem Kunden eine Karte zugeschickt, auf der sein Name stand.

SZ: Warum machen andere Bands das nicht genauso?

Sabottka: Weil sie fürchten, dass das zu viel Aufwand ist. Keines der weltweiten Ticketsysteme bietet diesen Weg an.

SZ: Wie splittet sich der Ticketpreis ungefähr auf?

Sabottka: 45 bis 55 Prozent decken die Produktionskosten des Künstlers ab, 25 bis 30 Prozent gehen für die Infrastruktur drauf: Werbung, Stadionmiete, Aufbauhelfer, Ordner, Sanitäter. Dann gibt es irgendwann Profit, davon erhalten wir als Veranstalter in der Regel 10 Prozent.

SZ: Die Musikbranche hat sich in den vergangenen zehn Jahren komplett verändert. Der Umsatz der Live-Industrie in Deutschland ist mittlerweile doppelt so hoch wie der der Tonträger-Industrie.

Sabottka: Die genaue Zahl kenne ich nicht. Von meinem Gefühl her würde ich aber sagen: sogar noch höher.

SZ: Geld wird heute hauptsächlich mit Konzerten verdient. Haben auch die regulären Kartenpreise nicht längst eine Schmerzgrenze erreicht?

Sabottka: Ja, das stimmt. Aber nehmen wir mal ein ganz konkretes Beispiel. Eine Band, die vor fünf Jahren 250.000 CDs in Deutschland verkauft hat: Die verkaufen heutzutage vielleicht noch 90.000 CDs. Das reicht nicht. Also kommt der Agent zu mir: Wie viele Konzerte würdest du mit der Band machen, was nimmst du für einen Ticketpreis, wie viel Geld willst du mir für die Band garantieren? Dann sage ich: Ich mache mit der Band ein Konzert, das mache ich zum Beispiel in Berlin, da kommen 10.000 Leute, ich nehme 48 Euro pro Karte und zahle der Band 250.000 Euro. Um mal ganz reelle Zahlen zu nennen.

SZ: Trotzdem: 50, 60, 80 Euro für zwei Stunden Entertainment - das ist doch Wahnsinn.

Sabottka: Der Aufwand für ein großes Konzert ist gigantisch. Bei Take That reden wir von einer Produktion mit 85 Lkw, die sich durch Europa fräsen. Ein Privatjet. Und eine Crew von mindestens 150 Mitarbeitern, alles gut bezahlte Spezialisten. Die Preise sind entsprechend. Außerdem, Sie werden sich erinnern: Die Ticketpreise sind vor zehn Jahren von D-Mark in Euro mehr oder weniger transferiert worden, statt 22 Mark haben wir einfach 22 Euro genommen.

SZ: Schlimm genug.

Sabottka: Und die Preise werden noch einmal extrem erhöht, nicht nur durch den enormen Basispreis für den Künstler, sondern auch durch die sogenannten Gebühren: System-, Verschickungs- und sonstige Gebühren. Darum verkaufen wir gar keine Karten mehr über den händischen Weg. Das kennen Sie sicher noch von früher: Sie gehen an die Vorverkaufsstelle, legen das Geld auf den Tisch und kriegen eine schöne Reliefkarte in Vierfarbdruck in die Hand.

SZ: Das waren noch Zeiten.

Sabottka: Finde ich ja auch. Die 1,1 Millionen Tickets, die wir 2006 für Robbie Williams verkauft haben, haben wir als Harttickets verkauft.

SZ: Mit dem Relief von Robbies Zeigefinger.

Sabottka: Jetzt haben Sie eine Karte, wo Ihr Name draufsteht. Ist ein PDF-Ausdruck, sieht total langweilig aus, gebe ich Ihnen ja recht. Aber das ist der sicherste Vertriebsweg mit dem geringsten Aufwand, bei dem man vom Kunden am wenigsten Geld verlangen muss.

SZ: Wie viel Prozent des Tickethandels in Deutschland laufen heute online?

Sabottka: Ich schätze, um die 60 Prozent, und es wird immer mehr. Das ist die Zukunft. Vorverkaufsstellen, wie wir sie von früher kennen, wird es bald nicht mehr geben.

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