USA: Schimpfwörter im TV:Amtlich verordnete Prüderie

What the F***? In den USA könnte die Zeit der TV-Zensur bald vorbei sein: Richter drohen, das Verbot von Schimpfwörtern und Busenblitzern im Fernsehen zu kippen.

Reymer Klüver, Washington

War es nun Janet Jacksons berühmt-berüchtigte wardrobe malfunction? Die, wie sie es ausdrückte, "Fehlfunktion ihrer Garderobe", als bei ihrem Auftritt während des Superbowl 2004 für Sekunden ihre nackte rechte Brust live im US-Fernsehen zu sehen war. Oder war es Bono, der Sänger von U2, der den Golden Globe, den er 2003 zur besten Sendezeit überreicht bekam, spontan als "fucking brilliant" bezeichnete? (Wobei man wissen muss, dass in Amerika das vulgäre Wort zur Bezeichnung des Geschlechtsakts ungefähr so häufig gebraucht wird wie im Deutschen die landläufige umgangssprachliche Vokabel für Exkremente.)

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In den USA reicht das für einen mehr als handfesten Skandal: Während ihrer Show beim Superbowl 2004 sah die Welt für einen kurzen Augenblick die Janet Jacksons Brustwarze. Während Justin Timberlake über "Nipplegate" staunte, empörte sich die amerikanische Öffentlichkeit.

(Foto: ap)

In jedem Fall hatte die FCC, Amerikas Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Fernsehen, 2004 genug. Die Beschwerden über Obszönität in Wort und Bild im Fernsehen hatten sich gehäuft. Die FCC verschärfte kurzerhand die TV-Richtlinien.

Selbst, wie es nun hieß, "flüchtig" gebrauchte F-Wörter oder für einen Wimpernschlag entblößte weibliche sekundäre Geschlechtsmerkmale waren strikt tabu. Der von den Republikanern beherrschte Kongress erhöhte die Geldstrafen auf bis zu 325.000 Dollar pro Verstoß. Seither sind der Ausdruck "bleep", der übergeblendet wird, wenn irgendjemand doch das F-Wort in den Mund nimmt, genauso allgegenwärtig im US-Fernsehen wie schwarze Balken, sobald auch nur der Umriss einer Brust zu erahnen wäre.

Derlei in den Bush-Jahren amtlich verordnete Prüderie könnte nun vorbei sein: Ein Berufungsgericht in New York urteilte, dass die Richtlinien gegen das Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung verstoßen. Ausgerechnet die den Republikanern politisch sonst nahestehende konservative Senderkette Fox hatte gegen die FCC geklagt.

Zu vage Regeln

Das Gericht bezweifelte nicht, dass die FCC wider Obszönitäten und Gewalt im Fernsehen vorgehen darf. Doch die 2004 erlassenen Regeln seien viel zu "vage". Die Aufsichtsbehörde habe vermeintliche Verstöße willkürlich geahndet. Ein Sender musste zahlen, weil in einer Serie Kuhfladen mit dem Wort "Scheiße" bedacht worden waren. Ein anderer kam dagegen ungestraft davon, obwohl das sehr deskriptive Schimpfwort "den Hintern küssen" unüberhörbar war. Die FCC-Maßstäbe, so urteilten die Richter, entsprächen nicht wirklich dem, was "gemessen an zeitgemäßen Standards offenkundig anstößig ist".

Zudem hätten sie eine abschreckende Wirkung weit über das Maß hinaus erzeugt. Tatsächlich haben TV-Sender das Zweite-Weltkriegs-Melodram "Der Soldat James Ryan" oder auch eine Dokumentation über die Anschläge vom 11.September 2001 nur spät in der Nacht gesendet, weil so viele obszöne Schimpfwörter zu hören waren.

Die Richter rügten zudem eine Schwäche im System der US-Medienaufsicht. Die FCC kontrolliert nur das über Antennen ausgestrahlte Fernsehen und den Hörfunk. Kabel- oder Satellitenprogramme, Internetvideos oder Spiele auf Handys werden von ihr nicht erfasst. "Die vergangenen 30 Jahre haben eine Explosion neuer Medien gebracht", schreiben die Richter, "und Fernsehen und Rundfunk sind da nur eine Stimme im Chor."

Wenn die FCC schon Regeln aufstelle, so die unausgesprochene Schlussfolgerung, müssten die für alle Medien gleichermaßen gelten - oder eben gar nicht. Nicht zuletzt deshalb glauben Verfassungsexperten, dass noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Das F-Wort im Fernsehen wird wohl bald Amerikas Obersten Gerichtshof beschäftigen.

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