"Berlin - Tag & Nacht" auf RTL 2:Alter, ist das geil, ne?!

Berlin Tag & Nacht

Darsteller aus Berlin - Tag & Nacht

(Foto: RTL II/Markus Nass)

Die Dialoge gruselig, die Darsteller unterirdisch, die Handlung lebensfremd - und doch suggeriert RTL 2, mit "Berlin - Tag & Nacht" aus dem Leben realer Menschen zu berichten. Nun hat einer der Protagonisten ein Buch über die "geilste WG der Welt" veröffentlicht.

Von Matthias Kohlmaier

Manche Fernsehmacher nennen es Doku-Soap - eine unglaublich dreiste Lüge. Scripted-Reality-Formate, wie sie im deutschen Privatfernsehen immer mehr Platz einnehmen, dokumentieren rein gar nichts. Außer vielleicht eine Variante der Verantwortlichen, mit wenig Einsatz viel Umsatz zu machen. Mit der Realität, wie das gerne suggeriert wird, haben Berlin - Tag & Nacht, Köln 50667 (beide RTL 2) oder die Familien im Brennpunkt (RTL) wenig bis nichts zu tun.

Umso tragischer, dass viele der jungen bis sehr jungen Zuschauer solcher Sendungen das Gezeigte für real halten. Bei einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2012 vermuteten 30 Prozent der Befragten Kinder und Jugendlichen, dass die Fälle bei RTLs Familien im Brennpunkt echt seien. Ob diese Quote auch auf die erfundenen Geschichten im derzeit quotenstärksten Erfundene-Geschichten-Format Berlin - Tag & Nacht auf RTL 2 zutrifft, ist nicht bewiesen, aber zu befürchten. Tweets wie dieser deuten zumindest daraufhin:

Die in der vornehmlich jungen Zuseherschaft so bekannten Darsteller sind allesamt Laienschauspieler, die nach Drehbuch etwas zeigen, was in irgendeinem Winkel dieser Erde dem wahren Leben entsprechen soll. Hauptsächlich geht es in den Geschichten um Liebe, Sex, Partys und das Treiben in einer Berliner WG - oder laut RTL 2: "das pure Leben in der bunten und lebensfrohen deutschen Metropole". Die Schauspieler sprechen ihre Texte dabei meist in einfachen Hauptsätzen, die gern mit "Alter" beginnen und auf "ne?!" enden. Kurzum: Berlin - Tag & Nacht ist so etwas wie eine anspruchslose Hardcore-Version von Gute Zeiten, schlechte Zeiten. (Ein Beispiel sehen Sie hier.)

Traum der Programmplaner

Aber um Qualität geht es auch nicht, es geht um Quote. Und die klettert seit Wochen in immer höhere Höhen. Im Schnitt verfolgten die allvorabendlichen Erstausstrahlungen in der vergangenen Woche mehr als eine Million Zuschauer in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen; ein Wert, von dem Programmplaner anderer Sender bei ihrem Vorabendprogramm träumen. Funktionieren kann das durch die immense Nähe zwischen Protagonisten und Rezipienten, hergestellt durch eine ausgeklügelte Strategie in den sozialen Netzwerken. Mehr als drei Millionen Menschen finden Berlin - Tag & Nacht bei Facebook toll, der Twitter-Account der Serie hat etwa 70.000 Follower. Laut Google Zeitgeist war BTN, wie der gemeine Fan sagt, 2013 die meistgesuchte TV-Sendung nach Deutschland sucht den Superstar.

Speziell via Facebook gibt es täglich bis stündlich Neuigkeiten aus der Fake-WG, die Schauspieler treten in ihren jeweiligen Rollen mit den Fans in Kontakt. "Wir feiern Weihnachten vor! Und ich hab schon für jeden ein Geschenk! Wie siehts bei euch aus, alle Geschenke schon am Start?", fragt zum Beispiel Protagonist Ole, unter dem Eintrag finden sich mehrere Hundert Kommentare. Und eben jener Ole, der im wirklichen Leben Falko Ochsenknecht heißt, ist die zentrale Figur in der neuesten PR-Aktion der Pseudo-Doku. "Wir. Geil. ... und du so?" lautet der Titel des WG-Ratgebers, der vor einigen Wochen erschienen ist. Autor: Ole Peters

Geil, geil, geil

Dem in der Sendung etablierten Prinzip der einfachen Hauptsätze, vermischt mit einer Menge dessen, was die Verantwortlichen für Jugendslang halten, bleibt das Buch treu. Statt "Alter" und "ne?!" wird das Allround-Adjektiv "geil" exzessiv an jeder noch so unpassenden Stelle verwendet. Was die allgemeine Qualität und Relevanz des Buchs betrifft, sollten die folgenden Passagen für sich sprechen:

Ich habe echt Riesenschwein gehabt. Ich wohne in der geilsten WG der Welt, hab die geilsten Mitbewohner, lebe mit denen zusammen in der geilsten Wohnung, und das auch noch in der geilsten Stadt. Besser geht's nicht!

Oder:

Ohne mich wäre die WG doch wahrscheinlich schon längst am Arsch. Die WG-Familie ist mir eben heilig. Wie oft musste ich schon Feuerwehr spielen, wenn sich Fabrizio mal wieder mit JJ verkracht oder Sofi und Alina Beef ohne Ende haben?

Und natürlich geht es auch um die wichtigen Dinge des Lebens:

Neben dem klassischen Pott, wie man ihn aus jeder normalen Wohnung kennt, hat Joe damals beim Ausbau in weiser Voraussicht ein Pissoir daneben aufgehängt. Geiler geht's überhaupt nicht. Wir Männer dürfen im Stehen pinkeln und keine Frau beschwert sich. Vor allem auf Partys ist das praktisch. So läuft man wenigstens nicht Gefahr, sich betrunken auf den Pott zu setzen und einzupennen. Danke, Joe, für diese arschgeile Idee!

Im Fernsehen kann man sich den Quatsch umsonst ansehen, aber die jugendliche Zielgruppe wird kaum 9,99 Euro ausgeben, um sich einen grenzdebilen WG-Ratgeber zu kaufen. Das möchte man meinen, die Wahrheit jedoch lautet: Wie eine Sprecherin des riva-Verlags bestätigte, sind bereits mehr als 21.000 Exemplare des vor "Geilheit" strotzenden Buchs binnen drei Wochen verkauft worden. In der Spiegel-Bestsellerliste rangierte "Wir. Geil." zeitweise auf Platz vier.

Ole Peters dürfte für das Buch aus und über Berlin - Tag & Nacht zwar nicht eine Zeile selbst getippt haben. Die PR-Mission von RTL 2 ist dennoch geglückt, Fans bekommen das Gefühl, Teil der Berliner WG und ganz nah dran zu sein. Der Quote tut das bestimmt gut. Dass Realität und Fiktion für viele Zuschauer längst nicht mehr auseinanderzuhalten sind, ist Programm. Eine Rezensentin des Buchs schreibt bei Amazon: "Genau so wie Ole eben ist, so schreibt er auch."

Bleibt zu hoffen, dass die Macher von derlei Sendungen in Bälde rechtlich gezwungen werden, ihre Formate deutlich als erfunden zu kennzeichnen. Denn dass die erzählten Geschichten sich wenigstens um eine Winzigkeit dem wahren Leben annähern, scheint ausgeschlossen. Das Niveau von Berlin - Tag & Nacht wird vermutlich solange konstant niedrig bleiben, wie die Einschaltquoten konstant hoch bleiben. Die PR-Maschine läuft weiter.

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