Maybrit Illner:Bei Maybrit Illner weicht der AKP-Politiker den schwierigen Fragen aus

Aydan Özoguz SPD Politikerin seit 2013 Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für M

Die Gäste bei Maybrit Illner (v.l.n.r.): Aydan Özoguz, SPD, Markus Söder, CSU, Mithat Sancar, Abgeordneter der Oppositionspartei HDP, Mustafa Yeneroglu, Abgeordneter der Nationalversammlung für die AKP, Yahya KiliCaslan, deutscher Unternehmer

(Foto: imago/Metodi Popow)

Angesichts der Verhaftung des Journalisten Deniz Yücel äußerte sich Mustafa Yeneroğlu kürzlich noch kritisch. Im TV-Talk bleibt er im Weichspülgang.

TV-Kritik von Hakan Tanriverdi

Schon in der ersten Antwort von Mustafa Yeneroğlu im "Maybrit Illner"-Talk ergibt sich eine Gelegenheit, ihn zu kontern, ihn in seiner Rolle ernst zu nehmen. Yeneroğlu ist AKP-Mitglied. Er vertritt die Parteilinie im deutschen Fernsehen. Deutschland ist eine Hochburg der AKP-Wähler. Knapp zwei Millionen türkischstämmige Bürger können am 16. April in einem Referendum darüber abstimmen, ob der Präsident in Zukunft noch mehr Macht bekommen soll. Auch an diese Wähler richtet sich der Politiker mit seinen Statements und Fernsehauftritten.

In der ersten Frage also geht es um den Welt-Journalisten Deniz Yücel. Der sitzt in der Türkei in Untersuchungshaft und schrieb kürzlich einen Brief, in dem er sich freute, endlich wieder rauchen zu können. Yeneroğlu wird nach seiner Sicht gefragt. Ist Yücel ein Krimineller? Antwort: "Das wird letztendlich das Gericht entscheiden. Es gibt Vorwürfe gegen ihn." Er habe versucht, Informationen einzuholen und gehe davon aus, dass demnächst mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit gelangen werden. Kurz: Yeneroğlu weicht aus.

Derselbe Yeneroğlu sprach erst vergangene Woche davon, dass er in Yücel zwar "mehr Aktivist als Journalist" sehe, die Inhaftierung fand er aber "sehr kritisch". Der Propaganda-Begriff - Yücel wird Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen - werde zu weit ausgelegt. Eine deutlich kritischere Haltung, die der Politiker kurz darauf im Interview mit dem Handelsblatt wiederholte.

Leider keine Nachfrage

Wo ist die Kritik bloß hin? Leider kommt an dieser Stelle keine Nachfrage, sondern Yeneroğlu mit seinem Weichspülgang davon. Dabei wäre genau dies das Thema der Sendung am Donnerstagabend gewesen, lautete der Titel doch: "Deutschland und die Türkei - Was erlaubt sich Erdoğan?"

Antworten auf diese Frage kommen von den anderen Studiogästen. Aydan Özoğuz, stellvertretende SPD-Vorsitzende, sagt über Yücel: "Er ist in Haft, weil er als Journalist gearbeitet hat. Das passt nicht in einen Rechtsstaat."

Mithat Sancar, Staatsrechtler und Abgeordneter der türkischen Oppositionspartei HDP, sieht ein grundsätzliches Problem: "Warum sind über 155 Journalisten in Haft? Die Regierung duldet die Freiheit nicht und hat keine demokratische Haltung." Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International belegt die Türkei den Spitzenplatz bei der Inhaftierung von Journalisten.

Auch Markus Söder (CSU) darf seinen gewohnt polternden Kommentar loswerden: "Die Türkei hat seit dem Putsch jedes Maß an Verhältnismäßigkeit verloren." Der fünfte Studiogast, Yahya Kılıçaslan, ist "Erdoğan-Fan" und eher vorsichtig: "Wir haben keine Akteneinsicht. Deshalb - finde ich - können wir nicht darüber urteilen."

570 Tote nach 23 Anschlägen

All das sind Aussagen, über die sich trefflich streiten lässt, die auch zum Widerspruch einladen. Die Türkei befindet sich seit einem Putschversuch im Ausnahmezustand. Seit Anfang 2016 sind nach Angaben von Al Jazeera 570 Menschen bei insgesamt 23 Anschlägen ums Leben gekommen. Wie soll ein Land darauf reagieren? Die Türkei unter Erdoğan hat sich dazu entschieden, Tausende Akademiker, Richter, Lehrer und Polizisten zu entlassen. Neben Journalisten wurden auch ranghohe Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP inhaftiert, wie Sancar anmerkt.

Die Diskussion bei Illner entfernt sich allerdings zügig vom Thema Yücel und den Inhaftierungen. Söder wirft noch ein, dass es "die Deutschen nervt", ständig über "innertürkische Probleme" unterrichtet zu werden. Dann schweigt er erst einmal für das zweite Drittel der Talkshow.

Für und Wider der Präsidialdemokratie

Denn plötzlich referieren alle außer Söder über das Für und Wider der türkischen Präsidialdemokratie. Yeneroğlu vergleicht das System mit jenem der USA, Özoğuz widerspricht und sagt, dass der Präsident künftig "fast als Alleinherrscher die Macht bei sich bündelt" (mehr zur Verfassungsreforem lesen Sie hier).

Es ist eine Diskussion, die in der Türkei hitzig geführt wird. Es ist eine Diskussion, die auch in Deutschland verfolgt wird, größtenteils mit Sorge. Eine Diskussion, in der die Zuschauer ausreichend über die innenpolitischen Zustände informiert sind, ist es nicht.

Ein Einspieler dient als Crashkurs, scheitert aber damit. Unternehmer Kılıçaslan begrüßt das Präsidialsystem, da ihm türkische Regierungen zu schnell auseinanderbrechen, doch auch das geht unter. Die Diskussion über solche Details wirkt wie ein Exkurs unter Fachleuten, der deutlich zu lange geführt wird. Sie ist schnell vergessen. Nichts bleibt im Gedächtnis.

Gaggenau wird nicht diskutiert

Unerklärlich bleibt, warum die aktuellen Entwicklungen nicht mit in Illners Sendung aufgenommen werden. Ein türkischer Justizminister darf nicht in Deutschland auftreten, während die türkische Justiz reihenweise Journalisten inhaftiert. Spätestens seit der Rede des türkischen Premiers Yıldırım in Oberhausen ist das Thema aktuell, es wird auch in den kommenden Tagen intensiv diskutiert werden.

Gaggenau macht derzeit ein bisschen Weltpolitik, die Türkei bestellt den deutschen Botschafter ein. İbrahim Kalın, Erdoğans Sprecher, twittert sich in Rage, auch der Sportminister ist unglücklich und der Europaminister Ömer Çelik‏ scheint es für eine Selbstverständlichkeit zu halten, dass türkische Politiker in Deutschland Wahlkampf machen dürfen.

Der Zuschauer erfährt an diesem Abend nichts davon. Zwar wurde im letzten Drittel noch über die Spionage-Vorwürfe gegen Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) geredet, aber zu diesem Zeitpunkt war die Runde bereits sichtlich unruhig. Söder hätte gerne, dass türkische Bürger nicht in Richtung Türkei "schielen" und Özoğuz klärt Yeneroğlu über den Unterschied zwischen politischer Bespitzelung im Auftrag eines Geheimdienstes einer fremden Nation und der Zusammenarbeit mit lokalen Behörden zur Terrorismusprävention auf.

Um die Sendung abzumoderieren, muss Illner am Ende über ihre Gäste hinwegreden. In der Performance kontinuierlich auf dem gleichen Niveau blieb lediglich ein Zuschauer, der immer dann zu klatschen schien, wenn ein AKP-freundlicher Satz fiel. Meistens klatschte er lang - aber auch alleine.

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