Sarrazin bei ZDF Neo:"Der Mann war ein Menschenverführer"

Benjamin von Stuckrad-Barre als Joseph Goebbels: Thilo Sarrazin übt Persönlichkeitsraten für ZDF Neo.

Christopher Keil

Im Juni, nicht ganz im Verborgenen, weil es Publikum gab, entstand eine Pilotsendung in Berlin. Pilotsendungen werden in der Fernsehunterhaltung gemacht, damit man als Sendermanager sieht, was einem der Produzent jetzt schon wieder Neues verkaufen will.

Das Neue war in diesem Falle nicht ganz so neu, hatte aber Charme. Christian Ulmen wird, so ist es vereinbart, mit seiner Firma Ulmen TV für den digitalen Spartenkanal ZDFNeo eine spätabendliche Show produzieren, die im Dezember erstmals und von 2011 an circa 20 Donnerstagabenden zu sehen sein soll. "Es ist eine Late Night Show", sagt Norbert Himmler, der das kleine ZDF leitet, "nach amerikanischem Vorbild. Wobei wir versuchen werden, mit der Gästeauswahl das Neo-Publikum anzusprechen. Keine Harald-Schmidt-Kopie."

Geht das? Frisch, frei, auch sehr "gesellschaftspolitisch mit Stand-Up-Comedy", sagt Himmler, solle die Sendung werden. Macht Schmidt das nicht auch immer noch irgendwie so? Moderator Benjamin von Stuckrad-Barre, 35, wurde jedenfalls Neo-ansprechend ausgewählt. Nur der beinahe 50-minütige Pilot, der in den Neuköllner Ballhaus Rixdorf Studios entstand, passte nicht ins Zielgruppenkonzept. Auftreten durfte Thilo Sarrazin, 65 Jahre alt und damit 15 Jahre zu alt für den angeblich ältesten Neo-Durchschnittszuschauer.

Seit Dienstag dieser Woche ist auf Youtube ein 77 Sekunden dauernder Ausschnitt dieses Piloten zu finden. Stuckrad-Barre und Sarrazin spielen ein Gesellschaftsspiel. Der eine klebt dem anderen ein gelbes Post it auf die Stirn. Sie müssen erraten, wer sie sind. Stuckrad-Barre schreibt "Bushido", den deutschen Rapper, auf den Haftzettel für Sarrazin. Sarrazin schreibt "Josef Goebbels" (statt Joseph Goebbels) auf das Stirnpapier für Stuckrad-Barre. Das Spiel beginnt:

Stuckrad-Barre: "Bin ich Franz Beckenbauer?"

Sarrazin: "Nein. Arbeite ich im Feuilleton einer Zeitung?"

Stuckrad-Barre: "Sie arbeiten in diesem Sinne nicht im Feuilleton einer Zeitung. Ich dagegen bin bereits tot. War ich Deutscher oder mehr Österreicher schon?"

Sarrazin: "Ihre Beliebtheit schwankte stark."

"Der Mann war sehr gut mit Worten"

(Plötzlich sieht man Hajo Schumacher und Hans-Hermann Tiedje, die bei N24 den Polit-Talk "Links-Rechts" moderieren als Art spöttische Waldorf & Stadler. Schumacher ruft: "Frag mal, ob deine Frau Magda heißt!")

Stuckrad-Barre: "Meine Damen und Herren, das ist ja echt ein Ding. Haben Sie das da drauf geschrieben?"

Sarrazin: "Ja, der Mann war sehr gut mit Worten, ein Menschenverführer."

Stuckrad-Barre: "Ja. Alles klar."

Schon am Tag nach der Aufzeichnung, berichtet Neo-Chef Himmler jetzt, habe es irritierte Anrufe gegeben: "Es war nie gedacht, diesen Piloten zu senden."

Wie die Geschichte weiterging? Sarrazin hat inzwischen ein Buch mit streitbaren Thesen zur deutschen Migrationspolitik geschrieben. Herr Himmler ließ den Videoschnipsel an diesem Freitag löschen und stattdessen Sarrazins kompletten 27-Minuten-Auftritt ("Das Original") einstellen. Begründung: Alles zu zeigen sei korrekter, als den verknappten Eindruck von 77 Sekunden dauerhaft im Netz zu archivieren.

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