Corona-Maßnahmen:Es braucht einen harten Lockdown

Nach einem halben Jahr Wischiwaschi-Maßnahmen ist eine Pandemie-Müdigkeit eingetreten, die nicht mal mehr Hilferufe aus den Krankenhäusern durchbrechen. Es wird Zeit für harte Maßnahmen wie im Frühjahr 2020.

Kommentar von Christina Kunkel

Um Deutschlands aktuellen Stand in der dritten Corona-Welle zu beschreiben, reicht dieser Satz von Gesundheitsminister Jens Spahn aus der Bundespressekonferenz am Freitag: "Wenn manche schon die Einschätzung der Lage nicht teilen, dann wird es natürlich schwierig." Wahrscheinlich wird es nicht nur schwierig, sondern aussichtslos, die dritte Welle noch zu brechen. Denn was nötig wäre, um die Infektionszahlen nachhaltig zu senken, geht weit über das hinaus, was etwa CDU-Chef Armin Laschet sich unter seinem "Brücken-Lockdown" vorstellt. Und es fordert jeden Einzelnen, sein Verhalten zu hinterfragen.

Es gab in Deutschland seit fast einem Jahr keinen echten Lockdown. Und erst recht keinen, der jetzt, da die ansteckendere und gefährlichere Variante B.1.1.7 für einen Großteil der Neuinfektionen verantwortlich ist, das Ruder noch herumreißen könnte.

Dabei würde es helfen, sich zurückzuerinnern an die Lage im März 2020. Zum Beispiel an die Situation in Bayern, wo Ministerpräsident Markus Söder damals besonders harte Regeln erließ. Was das praktisch bedeutete? Man saß über mehrere Wochen alleine zu Hause, durfte keinen anderen Menschen treffen, auch nicht draußen. Überhaupt brauchte man einen "triftigen Grund", um das Haus zu verlassen - meist war dies der Lebensmitteleinkauf oder ein Spaziergang im Park. Fabriken und Geschäfte waren zu, Kinder in die Notbetreuung zu bringen, war nur erlaubt, wenn man in einem systemrelevanten Beruf arbeitete.

Die Mobilität liegt nur noch leicht unter dem Niveau vor der Pandemie

Dagegen sind alle Beschränkungen, die seit November 2020 gelten, eher harmlos.

Natürlich kann man sagen, in der ersten Welle wusste man sich nicht anders zu helfen, es gab keine Schnelltests und keine FFP2-Masken für alle. Doch es ist auch ganz klar: Diese harten Maßnahmen haben gewirkt. Die Infektionszahlen - die damals noch weit unter denen lagen, mit denen wir es jetzt zu tun haben - gingen so weit runter, dass danach ein schrittweises Lockern und ein einigermaßen entspannter Sommer folgen konnten. Länder wie Portugal, Irland oder Großbritannien haben in der zweiten Welle gezeigt, dass man herauskommen kann aus einer kritischen Lage - wenn man konsequent Mobilität und Kontakte einschränkt und dann schnell impft. Doch bis dahin zahlten auch diese Länder einen hohen Preis mit vielen Toten, auch dort reagierte man erst, als die Krankenhäuser überliefen.

In Deutschland steigt die Zahl der Menschen, die strengere Maßnahmen für richtig halten. Doch die Daten zeigen auch: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke. Die Mobilität liegt nur noch leicht unter dem Niveau vor der Pandemie und fortlaufende Befragungen wie die Cosmo-Studie zeigen, dass sich zwar immer noch viele des Ernstes der Lage bewusst sind - aber sich immer häufiger in riskante Situationen begeben.

Was es braucht, sind Home-Office-Pflicht, Distanzunterricht und Ausgangsbeschränkungen

Nach einem halben Jahr Wischiwaschi-Lockdown ist eine Pandemie-Müdigkeit eingetreten, die offenbar nicht mal mehr die Hilferufe aus den Krankenhäusern zu durchbrechen vermögen. Dort liegen aktuell 4500 Menschen mit Covid-19 auf den Intensivstationen, zuletzt kamen innerhalb von zwei Wochen 1000 neue Fälle dazu. Zum Höhepunkt der ersten Welle, als kaum einer den Sinn von strengen Maßnahmen anzweifelte, waren es 3000 Intensivpatienten.

Deshalb bräuchte es jetzt ein paar Wochen flächendeckendes Runterfahren wie im Frühjahr 2020 - Home-Office-Pflicht, Distanzunterricht, Ausgangsbeschränkungen -, flankiert von verpflichtenden Tests, wo sich Kontakte nicht vermeiden lassen. All das würde nur etwas bringen, wenn genauso viele Menschen mitziehen wie zu Beginn der Pandemie.

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