Todesmarsch-Gedenken:"Je weiter wir gingen, desto mehr Schüsse haben wir gehört"

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Bei der Feier zum Gedenken an den Todesmarsch erzählen die beiden Zeitzeugen Erich Finsches (links) und Nick Hope ihre Geschichten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zum Gedenken an die Opfer der Todesmärsche vor 79 Jahren sprechen bei der Feier am Samstagabend auch drei Zeitzeugen. Einer ist Nick Hope - der Überlebende aus der Ukraine schildert eindrücklich seine Erinnerungen.

Von Gabriele Blaschko, Dachau

Zu beiden Seiten gestützt geht Nick Hope langsam nach vorn zum Rednerpult. Der 99-Jährige trägt einen blauen Anzug, darunter ein weißes Hemd, eine dunkelrote Krawatte und einen beigefarbenen Wollpullover. Seinen Hut hat er zum Sprechen abgenommen. Nick Hope, der heute in den USA lebt, wurde 1924 als Nikolaj Choprenko in der Ukraine geboren. Im Alter von 17 Jahren wurde er von den Nationalsozialisten aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt. Zunächst musste er in Wolfratshausen, ein Jahr später in Allach Zwangsarbeit leisten.

Zahlreiche Menschen haben sich am Samstagabend am Mahnmal in der Theodor-Heuss-Straße versammelt, um der Todesmärsche vor 79 Jahren zu gedenken. Nick Hope hat als Zeitzeuge seine Geschichte erzählt: Er wurde "geschlagen, jeden Tag", sagt er. Zweimal wurde er wegen angeblicher Vergehen zu 25 Schlägen verurteilt. Als Bomben auf die Fabrik fielen, in der er arbeitete, und die Alliierten immer näher rückten, wurde er als einer von 10 000 Häftlingen aus Dachau und Allach auf den Todesmarsch geschickt - wie durch ein Wunder überlebte er. "Ich dachte immer, ich wäre bald tot", sagt er.

Drei Zeitzeugen sprechen bei der Gedenkfeier

Zwischen grauen und schwarzen Anzügen, dunklen Jacken, Mänteln und Schals sind immer wieder bunte Outfits in der Menge zu sehen. Vertreter aus der Politik, Mitglieder des Trägerkreises Dachauer Todesmarsch-Denkmal, Einzelpersonen und Gruppen haben sich zur Gedenkfeier versammelt. Neben Nick Hope sprechen auch die KZ-Überlebenden Abba Naor und Erich Finsches. Initiiert wurde die Veranstaltung wie seit 20 Jahren von der Initiative Dachauer Mahnmal Todesmarsch, unterstützt von der Stadt Dachau.

Gitarre und Klarinette erklingen zu Beginn, Florian Ewald und Zarko Mrdjanov begleiten die Zeremonie mit ihren Instrumenten. Unter dem Mahnmal werden zwei Kränze niedergelegt - einer der Stadt Dachau, einer vom Trägerkreis.

Viele Menschen sind zum Gedenken an den Todesmarsch zum Mahnmal an der Theodor-Heuss-Straße gekommen. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Auch Vertreter aus Dachaus Partnerstädten sind beim Gedenken anwesend. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Marine Charbonneau, ASF-Freiwillige bei der Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte, geht in ihrer Rede auf die Bedeutung der Zeitzeugen ein. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Florian Ewald und Zarko Mrdjanov begleiten die Veranstaltung musikalisch. (Foto: Niels P. Jørgensen)
"Wie kam es dazu, dass Antisemitismus überhaupt wieder angefangen hat?", fragt der Überlebende Abba Naor in seiner Rede. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann richtet in seiner Rede den Blick auf die heutige Zeit. "Es gibt auch Menschen, denen nicht bewusst zu sein scheint, wohin uns die Geschichte führt, wenn wir unsere Stimme den politischen Kräften des Hasses, des Extremismus und der Menschenfeindlichkeit geben", sagt er. Sein Appell: Aktiv gegen Antisemitismus und Hetze vorgehen, Aussagen und Haltungen nicht unreflektiert hinnehmen.

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Dem schließt sich auch Andreas Froese an. Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora wirft einen genauen Blick auf die Anfänge der NS-Diktatur. "Wenn wir heute auf dieses NS-Verbrechen zurückblicken, sehen wir seine Geschichte (...) allzu oft vom Ende her", sagt er. Dabei sei den Todesmärschen ein jahrelanger Prozess "hin zu einer Zustimmungsdiktatur" vorausgegangen, sagt Froese. "Das Wissen darum, wie die NS-Gesellschaft damals tatsächlich funktionierte, (...) ermöglicht es uns, den Blick auf unsere eigene Gegenwart zu schärfen, aktuelle politische und gesellschaftliche Prozesse kritisch zu betrachten."

"Je weiter wir gingen, desto mehr Schüsse haben wir gehört."

Die Todesmärsche gelten als das letzte Kapitel des Holocaust. Mit dem Näherrücken der Alliierten versuchte die SS, die Konzentrationslager zu "evakuieren". Ein grausamer Euphemismus für den Abtransport der Häftlinge in den letzten Kriegstagen. Tage- und wochenlang wurden die schwachen und kranken Menschen durch das Land getrieben. Wer nicht mehr konnte, wurde erschossen, berichtet auch Nick Hope. "Je weiter wir gingen, desto mehr Schüsse haben wir gehört." Hope dachte selbst immer wieder, dass es ihn als Nächsten treffen würde. Doch er überlebte - wenn auch in schlechtem Zustand.

Trotz Sprachschwierigkeiten - er entschuldigt sich zu Beginn seiner Rede für die Mischung aus Ukrainisch, Deutsch und Englisch - spricht Hope mit kräftiger Stimme: "Ich bete immer, dass nie mehr, nie mehr, nie mehr, nie mehr so eine grausame, schreckliche Tragödie der ganzen Menschheit widerfährt. Ich bete immer für Frieden, Freiheit, Liebe."

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