Im Lockdown:Die Wüste lebt

Kulturschaffende

Tilo Ederer, Vorsitzender der Knabenkapelle Dachau, überwacht den Baufortschritt im Musikheim.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Landkreis hat eine reiche und vielfältige Kulturlandschaft, nur merkt man davon seit Monaten nicht mehr viel. Doch die Kulturschaffenden arbeiten weiter. Und sie haben schon viele Ideen für die Zeit danach. Acht Beispiele

Von Dorothea Friedrich und Gregor Schiegl

Ausgezehrt vom Publikumsentzug und seit Wochen vom staatlich verordneten Lockdown lahmgelegt, durchlebt der Kulturbetrieb in Dachau derzeit eine extrem schwierige Phase: keine Ausstellungen, keine Konzerte, keine Lesungen und erst recht keine persönlichen Begegnungen. In der Öffentlichkeit hört und sieht man von Dachaus Kulturschaffenden schon seit langem nichts mehr. Doch hinter den Kulissen wird unermüdlich weiter gearbeitet, zum Teil auch verzweifelt gekämpft. Acht Einblicke in Dachaus Kulturbetrieb im Lockdown.

Der Kulturamtsleiter

Tobias Schneider

Tobias Schneider im leeren Erchana-Saal des Thomahauses.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Tobias Schneider organisiert jedes Jahr den "Dachauer Musiksommer".

"Das Stadtarchiv hat immer Arbeit, denn das Stadtgedächtnis macht nie Pause; in der Stadtbücherei wird die neue Leiterin eingearbeitet und für das Frühjahr geplant; im Tourismusbereich wird sehr viel im Online-Marketing gemacht, und im Kulturbereich steht neben der Vorbereitung der nächsten Ausschusssitzungen die Planung des Kulturprogramms an. Was den Musiksommer betrifft, werden wir wohl an unsere Konzepte aus dem letzten Jahr anknüpfen müssen: bestuhlte Konzerte, beziehungsweise Picknickkonzerte mit Abstand. Autokonzerte wie 2020 stehen dieses Jahr nicht auf der Agenda. Ich hoffe, dass wir mit den Schlosskonzerten im März, spätestens im April im kleinem Rahmen wieder starten können, genauso mit der Kulturschranne und unseren Veranstaltungshäusern. Man muss vorsichtig planen, das Pferd quasi von hinten aufzäumen: Wenn die Lockerungen es erlauben, kann man die Besucherkapazitäten immer noch upgraden. In der Schwebe ist noch das aus dem vergangenen Jahr nach 2021 verschobene Khruangbin-Konzert. Werden US-Bands überhaupt nach Europa kommen dürfen? Das ist die große Frage. Wir setzen erst einmal auf deutsche Künstlerinnen und Künstler aus EU-Ländern."

Die Nachwuchskünstlerin

Kulturschaffende

Die Grafikerin Christina Seeholzer an ihrem Arbeitsplatz.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Grafikerin Kristina Seeholzer istVorsitzende des erst 2020 gegründeten Dachauer Vereins Schere Stein Papier.

"Für uns als jungen Verein war es anfangs sehr schwierig, weil uns die Pandemie gerade in unserer Anfangseuphorie erwischt hat. Wir hatten das ganze Jahr schon durchgeplant - Lesungen, Ausstellungen und regelmäßige Veranstaltungen wie feministisches Café und Literaturcafé, Schafkopfcafé und Plenum. Gefühlsmäßig hat uns der zweite Lockdown noch viel härter getroffen als der erste. Wir mussten umdenken. Im Juli hatten wir unser erstes feministisches Café mit einem Online-Workshop - da sind wir auf den Geschmack von Online-Angeboten gekommen. Unser Vorteil als junger Verein ist, dass wir einige Mitglieder haben, die digital sehr kompetent sind und die auch Lust haben, mit verschiedenen Plattformen zu experimentieren. Wir haben die Zeit genutzt, um eine neue Website und einen regelmäßig erscheinenden Newsletter zu erstellen. Wenn der Lockdown vorbei ist, wollen wir wieder zurückschwenken auf Präsenzveranstaltung. Es ist doch schöner, wenn man die Leute live sieht. Wir beschäftigen uns daher jetzt schon intensiv mit Hygienekonzepten. Unser Ziel ist, dass wir die ausgefallenen Veranstaltungen nachholen: drei Lesungen und drei Ausstellungen. Außerdem planen wir noch ein Wohnzimmerkonzert."

Die Kreisheimatpflegerin

Im Lockdown: Birgitta Unger-Richter bereitet in Altomünster eine Ausstellung vor.

Birgitta Unger-Richter bereitet in Altomünster eine Ausstellung vor.

(Foto: Toni Heigl)

Birgitta Unger-Richter schreibt einen Blog unter heimatpflege-dachau.de.

"Mir fehlt im Home-Office der persönliche Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen. Auch die Amtstage fallen weg. Das sind die Tage, an denen ich mit der Denkmalpflege vor Ort Denkmalbesitzer berate. Das geht jetzt nur noch per Telefon, Simulationen und Videokonferenzen; das ist mein Fenster zur Außenwelt, weil es ja auch keine Veranstaltungen gibt. Aber ich freue mich auf den Poetischen Herbst. Das Programm können wir zwar in diesem Jahr nicht mehr ganz eins zu eins umsetzen. Aber es wird eine schöne Sache. Mit "InStallationen - zu Gast auf alten Höfen im Dachauer Land" wollen wir den Strukturwandel sichtbar machen und die Perspektive ändern. Ein Höhepunkt wird eine "Tierrevue" des Hoftheaters Bergkirchen. Es gibt auch einen Volkssängerabend. Da geht es in den Couplets um Landflucht und das Leben in der Stadt vor mehr als hundert Jahren. Und auf das Hutsingen (ein Sängerwettstreit mit Hüten als Preis, Anm. der Red.) freue ich mich ganz besonders. Im Sommer gibt es den Abschluss des Volksmusikprojekts mit "Aufgspielt draußen". Da geben Gruppen aus dem Landkreis Konzerte auf öffentlichen Plätzen oder in Biergärten im Dachauer und im Wittelsbacher Land. Ich konnte in der Corona-Zeit auch viel Schriftliches machen, zum Beispiel die Chronik der Gemeinde Erdweg."

Der Veranstaltungstechniker

Autokonzert Corona

Thomas Wild wurde notgedrungen selbst zum Veranstalter.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Unternehmer Thomas Wild hat 2020 die Autokonzerte in Weichs organisiert.

"Zwei Fachkräfte sind in Kurzarbeit. Zehn 450-Euro-Jobber arbeiten seit März 2020 nicht mehr. Unser Azubi müsste für seine Abschlussprüfung ein praktisches Projekt machen, aber was und wie? Wir tun alles, um unser Minus zu reduzieren. Wir helfen bei anderen Unternehmen aus oder verleihen Material. Am Anfang haben wir Desinfektionsmittelständer und Plexiglasscheiben gebaut, aber die hat jetzt jeder. Es ist ein ständiger Spagat. Wir haben mindestens 80 Prozent Umsatzverlust. Bei 10 000 Euro Betriebskosten im Monat müssen wir das Minus soweit wie möglich reduzieren. Die Überbrückungshilfe 2 hat uns geholfen, aber wir haben keine November- und Dezember-Hilfe bekommen. Wenn man was macht und Geld über den Verkauf reinkommt, produziert man Umsatz, und es gibt es gar keine Hilfen. An vielen Tagen bin ich sehr hoffnungslos. Auf die Idee mit den Autokonzerten in Weichs bin ich gekommen, weil kein Veranstalter mehr was gemacht hat. Die einzige Lösung war also, selbst was auf die Beine zu stellen. Der technische Aufwand war enorm, aber es hat sich gelohnt. Bis nach Ostern wird nichts passieren, aber dann könnte es wieder Konzerte im Freien geben mit festen Plätzen. Kultur wäre mehr als wichtig. Wenn sie schon zumachen, dann müssen sie auch dafür sorgen, dass wir alle danach mit breiter Kultur versorgen können. Wenn aber nichts geht, lassen wir die Autokonzerte wieder aufleben."

Die Kuratorin

Elisabeth Boser

Elisabeth Boser ist die einzige Besucherin in der Gemäldegalerie.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Elisabeth Boser hat die Ausstellung über die Künstlerkolonie Katwijk in der Gemäldegalerie Dachau konzipiert.

"Wir machen unsere Ausstellungen und Veranstaltungen ja fürs Publikum; es ist langsam nur schwer zu ertragen, dass sie die Bilder und Exponate über so lange Zeit nicht sehen können. Kunst braucht das unmittelbare Erleben. Die Ausstellung der Künstlerkolonie Katwijk in der Gemäldegalerie konnte noch keiner besuchen. Die lange Schließzeit zehrt langsam an den Nerven. Alle unsere Häuser müssen ständig überwacht werden. Fällt die Temperatur unter ein gewisses Level, werden sofort Notmaßnahmen ergriffen: Techniker müssen informiert und Reparaturen beauftragt werden. Dasselbe gilt für die Luftfeuchtigkeit, die nicht unter einen bestimmten Wert sinken darf. Wir machen täglich Kontrollgänge in allen Häusern, Räumen und Ausstellungen. Natürlich planen und konzipieren wir hinter den Kulissen bereits für nächstes Jahr neue Ausstellungen und Veranstaltungen. Die Verwaltung muss weiter funktionieren. Auf Instagram und Facebook suchen wir nach neuen Möglichkeiten, mit den Menschen zuhause in Kontakt zu bleiben. Es gibt so vieles zu tun, damit der Museumsbetrieb reibungslos weiterläuft. Das sieht ein Außenstehender leider alles nicht, egal ob das Museum geöffnet oder geschlossen ist."

Der Bauherr und Musikus

Kulturschaffende

Tilo Ederer, Vorsitzender der Knabenkapelle Dachau, überwacht den Baufortschritt im Musikheim.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Tilo Ederer ist Vorsitzender der traditionsreichen Knabenkapelle mit ihrem Ableger, der Bigband Dachau.

"Wir haben mit der Bigband normalerweise circa 15 Auftritte im Jahr und 25 mit dem Blasorchester. Wir sind sehr traurig, in diesen Zeiten keine physische Präsenz in der Stadt Dachau zeigen zu können. Ich betreue nach wie vor die Baustelle vom Erweiterungsbau unseres Musikheims an der Sudetenlandstraße. Dort sind die Handwerker abzustimmen und Eigenleistungen zu planen. Die Arbeiten sind verhältnismäßig weit gediehen, jetzt geht es an die Ausstattung, damit dem Gebäude ab April auch Leben eingehaucht werden kann. Musikalisch kann man nur organisatorisch tätig werden, indem man Kontakt zu den Musikern hält über Whatsapp, Zoom oder Telefon, mehr geht eigentlich nicht. Proben sind derzeit ja absolut nicht möglich. Wir haben zwei potenzielle Termine für Probenwochenenden in der Volksmusikakademie reserviert: Mitte März und Mitte April. Wir hoffen, dass vorher schon der Musikunterricht wieder losgehen kann und vor allem Orchesterproben möglich sind. Erste feste Auftritte sind geplant, mit der Bigband Ende April in Kempten und in Dachau zum Muttertag mit den Blasorchester. Aber wir schätzen, dass die Auftritte wahrscheinlich wohl auch wieder verschoben werden müssen."

Die Museumsleiterin

Im Lockdown: Hanni Zeller im Hutter-Museum Großberghofen.

Hanni Zeller im Hutter-Museum Großberghofen.

(Foto: Toni Heigl)

Hanni Zeller ist Vorsitzende des Fördervereins Hutter-Heimatsammlung in Großberghofen.

"Der Lockdown nimmt einem g'scheit den Schwung, weil man keine Lust hat, ins Leere hinein was vorzubereiten. Wir haben auch keinen Plan für dieses Jahr, das steht alles noch im leeren Raum. Der Reiz liegt doch darin, Aktionen und Ausstellungen vorzubereiten. Wir dürfen ja nicht einmal zusammenkommen, sonst könnte man wenigstens im Depot arbeiten. Wir alle sind richtig ausgebremst. Gut dass wir keine Kosten außer für Strom haben, weil das Haus der Gemeinde gehört. Da sind wir gut raus. Wir hoffen sehr, dass wir irgendwann öffnen dürfen und das früh genug erfahren. Es wäre doch ein Schmarrn, wenn wir alles herrichten, und dann ist wieder nichts. Wir hatten doch so ein gutes Hygienekonzept. In der Zwischenzeit haben wir unsere Homepage www.huttermuseum.de erweitert. Es gibt unsere Schätze zu sehen, einen Film über den Goldschatz von Gaggers und einen Film über Flachsanbau und- bearbeitung, den das Textiltechnikum Mönchengladbach gemacht hat. 2022 wollen wir zusammen mit der Geschichtswerkstatt Dachau und örtlichen Handwerkern so was wie einen Baumarkt von früher einrichten. Das ist was für alle, die gerne in den Baumarkt gehen. Sie können mit alten Werkzeugen erleben, wie das in Zeiten ohne elektrische Geräte war."

Die Kulturveranstalterin

Im Lockdown: Barbara Blickle weiß um die heilende Kraft der Musik.

Barbara Blickle weiß um die heilende Kraft der Musik.

(Foto: Toni Heigl)

Barbara Blickle ist Vorsitzende desKulturförderkreises Petershausen und Bratschistin im Kammerorchester.

"Kultur bringt einen zu sich selbst und ist innere Heilung. Ich habe immer weniger Verständnis, warum wir nichts machen dürfen. Das geht an die Substanz. Wir haben doch bei unserem Klassikpicknick im Juli gesehen, wie dankbar die Leute waren, das war etwas ganz Besonderes. Da hat man gemerkt, was fehlt. Ich verstehe es nicht, warum alle Sachen, die Freude bringen, als erstes gestrichen werden. Da hat man das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Denn Musik bringt Menschen wieder in die Gesundheit. Und außerdem macht man Existenzen kaputt, wenn es keine Kultur gibt. Wir können hoffentlich alles, was ausgefallen ist, ab April nachholen. Dann feiern wir eben Beethovens 251. Geburtstag. Auch das Musical, das wir zum 45-jährigen Bestehen der Musikschule geplant hatten, wollen wir in diesem Jahr aufführen. Es ist sehr anspruchsvoll, und wir sind noch sehr vorsichtig. Gerade kommen wir alle aus dem Rhythmus. Was das alles an Strukturen kaputt geht! Womöglich bläst uns heftiger Gegenwind ins Gesicht, wenn wir endlich wieder anfangen, weil die Leute so von Angst beherrscht sind und sich gegen Veranstaltungen wehren. Deshalb können wir erst richtig weitermachen, wenn die Angst aus den Köpfen verschwunden ist."

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