Ebersberg:"Vernarbte, aber lebendige Wände"

Ebersberg: 1,74 Meter geballte Herzlichkeit: Annette Voith im künftigen Refugium für alle, die neue Kraft brauchen.

1,74 Meter geballte Herzlichkeit: Annette Voith im künftigen Refugium für alle, die neue Kraft brauchen.

(Foto: Christian Endt)

Annette Voith ein früheres Armen- und Krankenhaus in Ebersberg zu einem Zentrum für Therapie, Yoga und Kunst machen.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Man sagt ja, in früheren Zeiten seien die Menschen kleiner gewesen als heute. Bei einem Besuch in der Lehrer-Schwab-Gasse 6 lässt sich empirisch überprüfen, dass dies zumindest Anno 1681 tatsächlich so gewesen sein muss. Diese Jahreszahl nämlich steht mit dem Zusatz "Hausname Wüstenschneider" neben dem Eintrag in einer Chronik, die Hausherrin Annette Voith schon bereitgelegt hat. Ob das wirklich stimmt, oder das im Erdgeschoss an einer Stelle immer noch erkennbare alte Mauerwerk doch erst irgendwann im 18. Jahrhundert hochgezogen wurde - man weiß es nicht.

Ebersberg: Einst Kranken- und Armenhaus entsteht hier ein Zentrum für Therapie und Kunst.

Einst Kranken- und Armenhaus entsteht hier ein Zentrum für Therapie und Kunst.

(Foto: Christian Endt)

Es wird jedenfalls vermutet, dass das Haus damals nur einstöckig war. Woran laut der historischen Quellen aber kein Zweifel besteht: Hier, im Herzen von Ebersberg, befand sich ab 1839 das erste Krankenhaus der damaligen Marktgemeinde. Sechs Betten soll es gehabt haben. Später dann war dort das Armenhaus untergebracht.

Das alles ist schwer vorstellbar, steht man heute vor dem schmucken Gebäude mit den Blumenkästen vor den Fenstern und dem rundum akkurat aufgeschichteten Feuerholz.

Ebersberg: In der Lehrer-Schwab-Gasse 6 sind schon immer Freunde und Gäste aller Art willkommen.

In der Lehrer-Schwab-Gasse 6 sind schon immer Freunde und Gäste aller Art willkommen.

(Foto: Christian Endt)

Und erst recht, sobald man den gefliesten Hausflur betreten hat, mit all seinen liebevoll ausgesuchten Accessoires - hier eine alte Kuhglocke, dort ein historischer Schlüsselbund, gleich daneben ein Regal mit Geschirr aus Familienbesitz und in einer Nische eine Waschkanne mit einem Tannenzweig.

Alles ausgesucht von Voiths Mutter Traudl, Expertin in Sachen Farben und hochwertige Dekoartikel, seit sie mit ihrer Schwester das Familiengeschäft "Maler Meyer" führte. Trotz ihrer 87 Jahre ist sie in Gestaltungsfragen auch heute noch stets federführend.

Ebersberg: Jeder Winkel ist liebevoll und sorgfältig dekoriert.

Jeder Winkel ist liebevoll und sorgfältig dekoriert.

(Foto: Christian Endt)

Zurück zur wechselvollen Geschichte des Hauses: Bis vor einigen Jahren teilten sich drei Parteien die Stuben hinter den Holztüren. Nun wurden daraus, eingerichtet mit gemütlichen Holzmöbeln und Kachelofen, Ferienwohnungen, die von internationalen Gästen oder ehemaligen Ebersbergern auf Heimatbesuch genutzt werden. Der größte Unterschied zu früher sind wohl die privaten Sanitäranlagen, für die erst im Laufe von über die Jahre erfolgten Renovierungen gesorgt wurde.

Schon Großvater Otto Meyer, Bürgermeister von Ebersberg, hat Weltoffenheit vorgelebt

Als Familie Voith Ende der 70er Jahre das ein wenig von der Straße zurückgesetzte, denkmalgeschützte Anwesen von der Stadt Ebersberg erstand, tat sie das vor allem deswegen, weil es einen langen, familiären Bezug zu diesem Ort gibt. Denn nicht nur die Eltern, Traudl und Helmut Voith, lebten mit ihren Kindern in unmittelbarer Nachbarschaft, sondern auch der Großvater mütterlicherseits, Otto Meyer. Auch wenn Annette Voith den Maler und Vergolder, der von 1946 bis zu seinem plötzlichen Tod 1957 Bürgermeister in Ebersberg war, selbst nie kennenlernen konnte, habe dessen weltoffene Art doch die ganze Familie geprägt, sagt die heutige Hausherrin.

Ebersberg: Die alten Bauernstuben sind heute gemütlich hergerichtet.

Die alten Bauernstuben sind heute gemütlich hergerichtet.

(Foto: Christian Endt)

In den Fünfzigern hieß man in dem früheren Siechenhaus Studierende des Goethe-Instituts willkommen, später wurden legendäre Faschingspartys und rauschende Stadtteilfeste gefeiert, in den Neunzigern kümmerte man sich ganz selbstverständlich um Menschen, die aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg geflüchtet waren. Für sämtliche Freunde standen die Türen ohnehin stets offen.

Geplant als Ort der Begegnung

"Immer war unser Haus ein Ort der Begegnung. Daran möchte ich anknüpfen und hier ein Refugium schaffen, wo Menschen neue Kraft schöpfen können", sagt Voith, die einer Banklehre und dem Studium der internationalen BWL eine berufsbegleitende Ausbildung als Heilpraktikerin für Psychotherapie, Coach und Yogalehrerin hat folgen lassen.

Einen Kurs, den die Mittfünfzigerin in den mit viel Liebe zum Detail sorgfältig restaurierten Räumen ab dem 17. Mai anbieten will, hätte sie vor einigen Jahren selbst gut brauchen können: einen Gesprächskreis zum Thema "unerfüllter Kinderwunsch". Und zwar ausdrücklich für Paare, denn: "Man vergisst viel zu oft das Leid der Männer", sagt die Frau mit der herzlichen Art, die bereits in einer Münchner Praxis für Reproduktionsmedizin hospitiert hat.

Auszeit in Indien brachte die Lösung

Auch starke berufliche Belastung, Stress bis hin zum Burnout - alles Gründe für Menschen, eine systemische Beratung in Anspruch zu nehmen - kennt Voith aus eigener Erfahrung, war sie doch viele Jahre in verantwortlicher Position in einer Hamburger Reederei und einem international operierenden Ingenieurbüro tätig. Am Ende, nach einer mehrmonatigen Auszeit in einem Ashram im Himalaya, heißt die Lösung für sie: Schluss mit dem BWL-Alltag. Stattdessen erwägt sie, all ihre Zusatzausbildungen in einer Beratungspraxis zu bündeln. Doch bevor die Idee genauere Gestalt annehmen kann, grätscht die Pandemie dazwischen.

Schon davor war Voith, nach Aufenthalten in England, Frankreich und Norddeutschland, wieder im Süden sesshaft geworden. In München-Haidhausen, wo sie auch aktuell noch wohnt. Doch immer häufiger zog es sie nach Ebersberg, das ihr als junge Frau "zu eng" gewesen war, zur Mutter und den alten Schulfreunden. Zugleich hatte sie das Gefühl, etwas mit und in dem Haus in der Lehrer-Schwab-Gasse anfangen zu wollen. Ohne genau zu wissen, was.

Ebersberg: Liebevolle Renovierung: Das ursprüngliche Mauerwerk wurde an dieser Stelle bewusst sichtbar gemacht.

Liebevolle Renovierung: Das ursprüngliche Mauerwerk wurde an dieser Stelle bewusst sichtbar gemacht.

(Foto: Christian Endt)

Also startete erst einmal unter der fachkundigen Leitung von Bruder Peter, seines Zeichens Zimmerer und Architekt, das Familienprojekt "Umbau Obergeschoss". Eine Wand wurde eingerissen und die Decke mit einem Balken verstärkt. Dann habe der Bruder mit Blick auf einen dick mit Farbe bedeckten Türstock gesagt, den solle sie erst einmal abbeizen - dann werde ihr schon die passende Idee kommen. "Ich dachte: Hey, ich war in einem Ashram! Was bitte, soll beim Abbeizen passieren?", erzählt Voith und man spürt sowohl den Stolz über die geleistete Arbeit als auch das ungläubige Staunen über den Prozess, der durch die monotone Arbeit in Gang gesetzt wurde.

Ebersberg: Hier sollen Gesprächskreise, Yogastunden und Ausstellungen stattfinden.

Hier sollen Gesprächskreise, Yogastunden und Ausstellungen stattfinden.

(Foto: Christian Endt)

Danach war klar: Dieser große Raum mit derselben schnörkellosen "Klarheit" wie der Rest des Gebäudes, soll das Herzstück ihrer künftigen Arbeit werden. Für Beratungen, Gesprächskreise, Meditation und Yoga. Quasi als Fortführung der Sommer-Yogakurse am Klostersee-Steg, die Voith seit 2015 anbietet.

Geplant ist zudem eine Art Pop-Up-Galerie

Um die Vielseitigkeit des historischen Hauses und ihrer Person darzustellen, möchte Voith außerdem in eben diesem Raum sowie entlang des Treppenaufgangs und im Flur eine Art Pop-Up-Galerie etablieren.

Die Idee ist nicht neu: Bereits vor zwanzig Jahren präsentierten Voiths Eltern im Rahmen einer kleinen Ausstellung die Werke eines guten Freundes der Familie, des renommierten Malers Rolf Urschbach. Und auch jetzt ist es ein guter Bekannter, der von Samstag, 30. April, bis Sonntag, 8. Mai, seine Arbeiten in der Lehrer-Schwab-Gasse 6 zeigt. Andreas Holzknecht heißt der Allrounder mit Wohnsitz in Innsbruck und München. Als Schüler von Oswald Oberhuber an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst ist ihm dessen "Prinzip der permanenten Veränderung" selbstverständlich geworden, inzwischen kann er auf ein überbordendes 30-jähriges Schaffen zurückblicken.

Ebersberg: Künstler Andreas Holzknecht bei der Hängung seiner Werke.

Künstler Andreas Holzknecht bei der Hängung seiner Werke.

(Foto: Annette Voith/oh)

Inhaltlich schaut Holzknecht als Universalist über die Ränder der Kunst hinaus zu Philosophie, Physik, Mathematik, Comics und Popmusik. "Gerade seine Affinität zur Musik gibt seiner Arbeit Kontinuität - und die Ironie, die in seinen Werken stets zu spüren ist", heißt es in der Ankündigung. Holzknechts Kunst spielt mit den Stilen, er selbst bezeichnet sich als Dekonzeptualist. Es gibt Anleihen in der Pop-Art, der konkreten Poesie, der Bauern- und Kirchenmalerei, der Geometrie. Seine Ebersberger Schau trägt den Titel "Info Wall - Studien über Wahrnehmungen", und Voith hofft, dass das schöne alte Haus an der Lehrer-Schwab-Gasse 6 mit seinen "vernarbten, aber lebendigen Wänden" dafür den perfekten Hintergrund bietet.

Wer weiß, vielleicht geben die "Heizer" mal ein Gastspiel

Doch das ist erst der Anfang von dem, was "Kulturmensch" Voith, mit einem Faible für Konzerte, Ausstellungen und Oper, in ihrem Therapiehais plant. Lesungen sind ebenfalls angedacht. Und, wer weiß, vielleicht auch einmal eine Bühnendarbietung. Schließlich ist Architektenbruder Peter vielen Ebersbergern auch in einer ganz anderen Rolle bekannt, nämlich als "Heizer". Zusammen mit Alexander Liegl ist er Protagonist der gleichnamigen Comedy-Serie des Alten Kinos.

Ebersberg: Auch über eine Umgestaltung von Hof und Garten denkt Annette Voith bereits nach.

Auch über eine Umgestaltung von Hof und Garten denkt Annette Voith bereits nach.

(Foto: Christian Endt)

Auf jeden Fall darf man gespannt sein, was sich Annette Voith noch alles für die Nutzung dieses idyllischen Rückzugsorts einfallen lässt - über eine Umgestaltung von Hof und Garten denkt sie bereits nach.

Dort werden auch hochgewachsene Besucherinnen und Besucher dann sicher eines nicht tun müssen: Auf ihren Kopf aufpassen wie bei den Türen, unter denen die 1,74 Meter große Annette Voith gerade so durchpasst. Diese Achtsamkeit allerdings lässt man in einem so charmanten geschichtsträchtigen Gebäude ausgesprochen gerne walten, wenn zwischen den alten Wänden neues Leben einzieht.

Öffnungszeiten der Ausstellung: 30. April bis 8. Mai, samstags und sonntags 11 bis 18 Uhr, montags bis freitags 16 bis 20 Uhr. Weitere Infos unter (0172) 107 79 48 oder www.annettevoith.de.

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