Glaskunst:Popcorn von den Alchemisten

Stephen und Nina Thorp zeigen bei den Ateliertagen in Weißenfeld ihre beeindruckende Glasmacherkunst

Von Rita Baedeker, Vaterstetten

Die Kinder rutschen ungeduldig auf der Sitzbank hin und her, zappeln mit den Beinen. Doch Glaskünstler Stephen Thorp weiß in solchen Fällen aus Erfahrung, was zu tun ist: It's showtime in der Werkstatt "Freeform Glaskunst", die am vergangenen Wochenende für Besucher geöffnet war. Und wirft seine Popcorn-Maschine an. Mittels einer Glasmacherpfeife schöpft Thorp einen Batzen geschmolzenen Klarglases aus dem Brenner, den "Kölbel", wie der flüssige Tropfen in der Fachsprache heißt. Durch stetes Drehen erhält dieser seine Form, in diesem Fall ist es ein schlichter Becher, der im Nu fertig ist. In das noch heiße Gefäß schüttet Thorp nun eine Handvoll Maiskörner, die sogleich aufplatzen und mit leisem Plopp als fertiges Popcorn aus dem Glas hüpfen, den Kindern direkt vor die Füße.

Seit 24 Jahren sind Stephen und Nina Thorp mit ihrer Glasmacherwerkstatt in Weißenfeld ansässig. Kennengelernt haben sich die beiden in einem Glasstudio auf den Bermudas, ihre Ausbildung zum Bachelor of Arts absolvierten sie in England. "Dort, in der Karibik, bekamen wir eine Idee davon, wie es laufen muss", erzählt Nina Thorp. Glasmachen sei ein immens teures Gewerk, allein schon wegen der Kosten für Gas und Strom. "Das bedeutet, dass man von der Kunst allein nicht leben kann." Daher werden in der Werkstatt neben aufwendigen Kunstobjekten allerlei Geschenkartikel produziert - Briefbeschwerer mit fantasievollem Innenleben, heimische und exotische Vögel für den Garten, Gefäße, Schmuck, Schalen in allen Regenbogenfarben, Blickfänger in Form von sogenannten "Curls", die sich wie Pflanzen in die Höhe ranken.

Stephen Thorp hat aber noch weitere Kunststücke zu bieten, die Erwachsenen zum Beispiel sind fasziniert von dem alten Experiment, das sich "Prinz-Rupert-Tropfen" oder "Bologneser Träne" nennt. Gemeint sind damit kleine Glastropfen, die so stark unter Spannung stehen, dass sie im Nu zu Staub zerfallen, wenn man die Spitze abbricht. Um den Effekt vorzuführen, taucht Stephen Thorp eine winzige Menge flüssigen Glases in kaltes Wasser, so dass sich die geschmolzene Materie ähnlich wie beim Bleigießen zu einem Klumpen mit schwanzartigem Glasfaden verdichtet. Man könne auf das Objekt beliebig viele Schüsse abfeuern, es sei durch nichts kaputt zu kriegen, erklärt Thorp, weil sich durch das rasche Kühlen des Glases ein immenser Druck aufbaue. Bricht man jedoch das "Schwänzchen" ab, ertönt ein leiser Knall. Und das Objekt wird pulverisiert, schneller als der Schall, wie Thorp erklärt.

Solch anschaulicher und unterhaltsamer Unterricht in Chemie und Physik ist aber nur ein Grund, die jährlichen Ateliertage zu besuchen. Wer die Werkstatt betritt, fühlt sich an eine Alchimistenküche erinnert. Da ist der Ofen mit seinem lodernden Höllenfeuer, von dem eine Gluthitze abstrahlt; da hängen, an der Wand aufgereiht, allerlei bedrohlich wirkende Zangen, auf einem Tisch liegen nebeneinander "Schütten", Schubladen aus Metall, wie sie früher in jeder Küche benutzt wurden. Sie sind gefüllt mit Glaspulver, fein gemahlen oder als Krösel, unter anderem in den Farben Hyazinth, Goldrubin oder Saphirblau. "Sogar Isargrün gibt es", berichtet Nina Thorp, "aber das ist kein schöner Farbton". Davor liegen allerlei Formen, mit denen Besucher ihren persönlichen Glücksbringer prägen können. Zur Wahl stehen Motive wie Herz, Muschel oder Einhorn.

Glaskunst: Stephen Thorp und seine Frau Nina haben sich in einem Glasstudio auf den Bermudas kennengelernt. Ihre Ausbildung absolvierten sie in England, in Weißenfeld leben sie seit 24 Jahren.

Stephen Thorp und seine Frau Nina haben sich in einem Glasstudio auf den Bermudas kennengelernt. Ihre Ausbildung absolvierten sie in England, in Weißenfeld leben sie seit 24 Jahren.

(Foto: Christian Endt)

Um all die bunten Schlangen, Kreisel, Spiralen und andere fantastische Motive zu erzeugen, benutzen die Thorps Metallformen, die innen Rillen aufweisen, welche dem noch flüssigen Glas Muster einprägen. Das auf diese Weise entstandene und geknetete Buntglas wird dann, etwa bei den Briefbeschwerern, sofort mit einer Pinzette in heißes Klarglas getaucht, man nennt das "überstechen". Das Ganze ist ein diffiziler Prozess, der viel Können, Erfahrung und vor allem Fingerspitzengefühl erfordert.

Am längsten dauere das Nacharbeiten, sagt Thorp. "Und die Feinarbeit, die mache ich mit der Süddeutschen", sagt er und zeigt lächelnd auf einen Gegenstand, der aussieht wie ein angesengter nasser Putzlappen. Leider sei die SZ jedoch nicht mehr das, was sie mal war - zumindest in puncto Papier, fügt er hinzu. Denn je bunter eine Zeitung sei, desto weniger geeignet sei sie für seine Zwecke, weil sich die Farbe ins Glas durchdrücke. "Am liebsten arbeiten wir deswegen mit den Todesanzeigen, die sind immer schwarz-weiß", sagt er und lacht herzhaft. Er glaube fest, dass die Verstorbenen nichts dagegen hätten, einem schönen Kunstobjekt den letzten Schliff zu verpassen.

Die Werkstatt Freeform Glaskunst von Nina und Stephen Thorp am Mitterfeld 35 in Weißenfeld (Vaterstetten) veranstaltet auch Kurse. Details, Termine, Kosten und Anmeldung unter www.freeform-glas.de, Telefon (089) 904 59 20. E-Mail: info@freeform-glas.de

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