Freising nach dem Krieg:Auf der Suche nach den stillen Kämpfern

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Freising gegen Ende der 1940er Jahre.

(Foto: stadtarchiv)

Auch in Freising gab es Menschen, die sich von dem Nazi-Regime nicht einschüchtern ließen. Es gab aber auch viele, die ihm gefolgt sind. Das beweisen 18 805 Entnazifizierungsmaßnahmen, die von den Amerikanern nach dem Krieg dokumentiert wurden.

Von Johann Kirchberger, Freising

Sozialdemokraten und Kommunisten standen auch in Freising von Anfang an im Fokus der Nazis, die Parteien wurden im März 1933 verboten, viele ihrer Mitglieder verhaftet und ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Kurz darauf wurde auch die Bayerische Volkspartei zur Selbstauflösung gezwungen. Von denjenigen, die die Nazi-Herrschaft überlebt hatten, tauchten später einige wieder auf, wurden Stadträte oder arbeiteten in der Spruchkammer zur Entnazifizierung. Guido Hoyer, Stadt- und Kreisrat der Linken, DGB-Kreisvorsitzender und Geschäftsführer des Landesverbands der Verfolgten des Naziregimes, hat tief in den Archiven gegraben und am Montag bei einer Veranstaltung des Historischen Vereins in einem höchst interessanten Vortrag über die NS-Zeit und die Jahre des demokratischen Wiederaufbaus in der Domstadt berichtet.

Es sei nicht leicht gewesen, sagte Hoyer, an entsprechendes Material zu kommen. Viele der Widerstandskämpfer und NS-Verfolgten seien "stille Kämpfer" gewesen. Geholfen habe ihm, dass die US-Militärregierung vor der Stadtratswahl 1946 alle Kandidaten überprüft und das Ergebnis peinlich genau festgehalten habe. 132 Fragen habe jeder Bewerber beantworten und Zeugen für die Richtigkeit der Aussagen beibringen müssen. 43 Fragebögen seien erhalten geblieben und würden im Stadtarchiv aufbewahrt. Einer dieser Männer sei Alfred Lochner gewesen, der 1946 zum 2. Bürgermeister gewählt, dann aber Vorsitzender der Spruchkammer geworden sei. 18 805 Verfahren zur Entnazifizierung habe die in Freising durchgeführt.

Zum Oberbürgermeister wurde 1946 Karl Wiebel gewählt, für zwei Jahre, wie Hoyer berichtete. Als gegen ihn Korruptionsvorwürfe erhoben wurden, sei er nicht mehr aufgestellt worden. Bei den Stadtratswahlen 1946 bekam die CSU 19, die SPD 11 und die KPD einen Sitz. Zwei Jahre später wurde die Bayernpartei mit 11 Sitzen stärkste Fraktion. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Heizmaterial sowie die Wohnungsnot seien in den Nachkriegsjahren die wichtigsten Aufgaben gewesen. Viele interessante Details listete Hoyer auf. Die hohe Kriminalität in diesen Jahren etwa, Diebstähle, Plünderung von Geschäften. Sogar ganze Wohnbaracken seien einmal abhanden gekommen. Polizeichef sei in Freising vom 30. April 1945 bis 1946 mit Franz Rottenhuber ein Kommunist gewesen, der während der NS-Zeit immer wieder eingesperrt und auch einmal des Hochverrats beschuldigt worden war. Das Gefängnis an der Fischergasse, das bis 1946 von der Stadt Freising betrieben wurde, sei in jener Zeit übervoll gewesen. Als weiteres Problem schilderte Hoyer, dass es zu wenig unbelastetes Personen in der Beamtenschaft gegeben habe und immer wieder versucht worden sei, wie die Amerikaner beklagten, Alt-Nazis zu schützen. Interessant auch, dass 1946 in Freising 150 uneheliche Kinder geboren wurden, für die das Jugendamt die Vormundschaft übernehmen musste. Häuser ehemaliger NS-Größen seien von der Militärregierung beschlagnahmt worden, berichtete Hoyer, schwer belastete Nazis hätten ausziehen müssen. Diskutiert worden seien seinerzeit auch Sühnemaßnahmen. Etwa Nazis zur kostenlosen Arbeit zu verpflichten, sie bei der Trümmerbeseitigung einzusetzen und NSDAP-Mitglieder zu zwingen, weiterhin ihre Mitgliedsbeiträge zu zahlen, um mit dem Geld den Wiederaufbau der Isarbrücke zu finanzieren. In Freising, so Hoyer, habe es damals 9000 Flüchtlinge gegeben, dazu seien noch viele ehemaligen KZ-Gefangene gekommen. Auch sie brauchten Wohnungen. Der Politikwissenschaftler hatte sich zu Beginn entschuldigt, nur auf einige wenige Widerstandskämpfer eingehen zu können. Josef Schels von der SPD erwähnte er, der schon 1923 nach dem Hitlerputsch von den Nazis in Geiselhaft genommen worden sei und 1946 zweiter Bürgermeister wurde. Ähnlich ergangen sei es Xaver Seidl, Betriebsratsvorsitzender der Firma Schlüter, erst SPD, dann KPD. Er sei schon 1933 verhaftet worden, habe sich aber nicht einschüchtern lassen und schon wenige Tage nach seiner vorübergehenden Entlassung im Furtnerkeller eine Maifeier organisiert, bei der die Internationale gesungen wurde.

Er überlebte das KZ Dachau und wurde 1946 in den Stadtrat gewählt. Auch Anton Setzwein gehörte zu den Männern, die in Dachau brutal behandelt wurden und im Widerstand blieben. Auch er wurde 1933 erstmals verhaftet, kam wieder auf freien Fuß und verteilte 1936 in ganz Freising Flugblätter mit der Aufschrift "Nieder mit Hitler, Hitler ist der Krieg". 1946 kam er in den Stadtrat. Oder Ferdinand Zwack, der in Dachau blutig geschlagen wurde. Von SA-Männer verschleppt und verprügelt wurde Glasermeister Hans Hiedl, später CSU-Stadtrat. Er hatte 1935 bemerkt, dass die Nazis eine Predigt von Kardinal Faulhaber im Dom aufzeichnen wollten und hatte dies den Kirchenoberen gemeldet.

Der Vorsitzende des Historischen Vereins, Günther Lehrmann, würdigte die Arbeit von Hoyer. Seine Arbeit sei von lokaler und regionaler Bedeutung. Die "geschilderten Grausamkeiten", die sich in Freising abgespielt hätten, nannte er ein "hochinteressantes Szenario". Menschen, die in Zeiten des Terrors standhaft geblieben seien und sich nach dem Krieg in schwierigen Zeiten ehrenamtlich engagiert hätten, dürften nicht vergessen werden, sagte Lehrmann.

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