In Ruhestand wider Willen:Hartz-IV-Empfänger zu Niedrig-Rente verdonnert

Sie wollen arbeiten, aber das Jobcenter schickt sie in Rente: Wer mit 62 Jahren noch Hartz-IV-Bezieher ist, wird aufgefordert, zum 63. Geburtstag Rente zu beantragen, auch wenn dies zu erheblichen Abschlägen führt. Dagegen hat die Stadt München beim Bundesarbeitsministerium interveniert. Ohne Erfolg.

Sven Loerzer

Der 63. Geburtstag ist für Langzeitarbeitslose kein Grund zum Feiern. Wer keinen konkreten Job in Aussicht hat, den fordert das Jobcenter in der Regel im Jahr zuvor auf, eine Rentenauskunft vorzulegen. Besteht ein Rentenanspruch, dann wird das Jobcenter dem Betroffenen auffordern mit Vollendung des 63. Lebensjahres die vorgezogene Altersrente bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen. Etwa 1500 Hartz-IV-Bezieher in München sind älter als 63 Jahre.

Jobgipfel - Wartende vor dem Arbeitsamt

Wartende vor dem Arbeitsamt: Etwa 1500 Hartz-IV-Bezieher in München sind älter als 63 Jahre.

(Foto: dpa/dpaweb)

Darunter sind etwa 500, die Anspruch auf eine vorzeitige Rente haben, ein Drittel von ihnen hat des Jobcenter aufgefordert, die Rente zu beantragen, da sie nicht zu Alt- und Härtefällen zählen. Nach dem Sozialgesetzbuch II sind Hartz-IV-Empfänger seit 2008 verpflichtet, andere Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch der Bezug von Arbeitslosengeld II beseitigt, verkürzt oder vermindert wird. Wer dies verweigert, für den kann das Jobcenter den Rentenantrag stellen. Ein Geschenk ist das freilich nicht, im Gegenteil: Jeder Monat früheren Renteneintritts mindert die Rente um 0,3 Prozent. Wer bis 65 Jahre hätte arbeiten müssen, verliert so 7,2 Prozent. Mit der auf 67 Jahre steigenden Regelaltersgrenze erhöht sich der Abzug auf 14,4 Prozent.

Auf einen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen hin hatte der Sozialausschuss des Stadtrats Anfang des Jahres beschlossen, dass sich die Stadt dafür einsetzt, die altersdiskriminierende Regelung abzuschaffen. Zumal sie "eklatant im Widerspruch" dazu stehe, dass das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben wird, wie Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) betont. Ältere Menschen, die erwerbsfähig sind, zu zwingen, in Rente zu gehen, "nur weil sie momentan keine konkrete Aussicht auf eine passende Stelle haben", sei entwürdigend.

Die Stadt muss Hilfe zum Lebensunterhalt bezahlen

OB Christian Ude bat deshalb die Bundesarbeitsministerin, das Sozialgesetzbuch II so zu ändern, dass Rentenanträge erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu stellen sind, also mit 65 bis 67 Jahren. Weil es erst von da an Grundsicherung im Alter gibt, müsste die Stadt überbrückend Hilfe zum Lebensunterhalt bezahlen, wenn die Rente nicht zum Leben reicht.

Doch in dem Antwortschreiben, das der SZ vorliegt, geht Ursula von der Leyen mit keinem Wort auf die Argumente der Stadt ein, sondern bekräftigt, dass sie nicht daran denkt, die bestehende Rechtslage zu ändern. Sie verweist lapidar darauf, dass die vorgezogene Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres geltend gemacht werden müsse. Wer glaubhaft machen könne, dass er in nächster Zukunft wieder arbeitet, müsse keinen Rentenantrag stellen. Das Sozialgesetzbuch II erkenne "die festgesetzte und verlängerte Beschäftigung älterer Personen als wesentliches Element moderner Beschäftigungspolitik an".

Die Ministerin verweist darauf, dass die Bundesregierung ältere Langzeitarbeitslose bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt besonders unterstütze. Die "erbetene Initiative für eine Rechtsänderung" könne sie "vor diesem Hintergrund nicht in Aussicht stellen", beschied die Ministerin, ohne weiter auf die Widersprüche einzugehen. So wird die Zwangsverrentung weitergehen, denn allein in München sind rund 15.000 Langzeitarbeitslose älter als 50 Jahre.

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