LMU:"Ich bin jetzt ein Vorbild"

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Nyanda Elias Ntinginya freut sich über seinen Doktortitel, den er in München erworben hat. In Tansania erforscht er Tuberkulose und andere Krankheiten. (Foto: Florian Peljak)

Niemand in seiner Familie hatte je eine höhere Schule besucht, sein Weg als Bauer in Tansania schien vorgezeichnet zu sein. Heute hat Nyanda Elias Ntinginya einen Doktortitel und leitet ein Forschungsinstitut.

Von Martina Scherf

Nyanda Elias Ntinginya war 16 Jahre alt, als er zum ersten Mal elektrisches Licht sah. 1994 war das, da kam er an eine weiterführende Schule im Norden von Tansania. Aus 80 Schülern war er für ein staatliches Stipendium ausgewählt worden, und von da an hatte er auch ein Paar Schuhe, mit denen er zum Unterricht ging. "Vorher lief ich immer barfuß", erzählt der große, schlanke Mann und lacht.

Der Tansanier sitzt im Büro seines Mentors Michael Hölscher im Münchner Tropeninstitut und wirkt ziemlich entspannt. Kein Wunder, denn er hat gerade seinen Doktortitel von der Ludwig-Maximilians-Universität München verliehen bekommen. In wenigen Tagen wird er in seine Heimat zurückfliegen und dort ein medizinisches Forschungsinstitut mit 150 Mitarbeitern leiten.

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Ntinginya wurde vor 38 Jahren als eines von elf Kindern einer bitterarmen Bauernfamilie in der Nähe des Viktoriasees geboren. Er erzählt gerne von seiner Kindheit, so als ob er sich selbst manchmal noch wunderte, wie sein Leben bisher verlief. Sein Weg, sagt er, beweist, was möglich ist, wenn man sich anstrengt und jemanden hat, der an einen glaubt und einen fördert.

In seinem Fall war das ein Lehrer, der seinen Eltern sagte: Aus dem Jungen wird was, lasst ihn weiter lernen. Niemand von den Ntinginyas hatte je eine höhere Schule besucht, alle wurden auf dem Feld und bei den Tieren gebraucht, sie sind ihre Lebensgrundlage. Aber Nyanda ließen die Eltern ziehen, "in einer Mischung aus Stolz und Sorge", erzählt der Arzt heute. Sein Vater verkaufte sogar eine Kuh, um die Schulgebühren zu bezahlen.

"Mit 16 lernte ich also eine Welt außerhalb des Dorfes kennen", erzählt der Doktor. Er entdeckte ein Wissen, das umso interessanter wurde, je tiefer er eindrang. "Ich saß oft noch um Mitternacht allein im Klassenzimmer und büffelte chemische Formeln", sagt er, "ich wollte zu den Besten gehören, damit ich einmal Geld verdienen und meine Familie unterstützen könnte."

Er wollte in seinem Land einen Beitrag zur Entwicklung leisten

Der Gedanke, Arzt zu werden, war ihm erstmals gekommen, als seine jüngere Schwester starb. "Sie war erst acht Jahre alt, ich habe sie sehr geliebt", sagt Ntinginya. Es gab kein Krankenhaus weit und breit, niemanden, der hätte sagen können, woran sie genau litt. "Mit meinem heutigen Wissen würde ich sagen: Es war schwere Malaria", sagt der Mediziner.

Er schloss dann die Highschool als Bester ab, bekam ein staatliches Stipendium und ging zum Medizinstudium in die Hauptstadt, nach Daressalam. Wieder lernte er mehr als andere und gab nebenher Nachhilfe, um Geld nach Hause schicken zu können. Er gewann einen kleinen Forschungspreis und wurde 2006 zu einer Studentenkonferenz an die Charité eingeladen. "Ich weiß noch, wie ich im Flugzeug saß und dachte: Bin das wirklich ich, der jetzt nach Berlin fliegt und einen Vortrag halten wird?", erzählt der Tansanier.

Im Studium hörte er von der Tuberkulose-Forschung an der Klinik in Mbeya. Dort wollte er hin, auch wenn das Krankenhaus am anderen Ende von Tansania lag. So fing er 2008 als Studienarzt am Mbeya Medical Research Center an - und lernte Michael Hölscher aus München kennen.

Doktor Ntinginya mit Mitarbeitern vor dem mobilen Labor der Klinik. (Foto: Privat)

Der heutige Leiter des Münchner Tropeninstituts hatte das Zentrum zwölf Jahre zuvor gegründet. Münchner Ärzte bauten mit einheimischen Kollegen die Forschung an Tuberkulose, Aids und anderen Infektionskrankheiten auf. Das Institut wurde zu einer der wichtigsten Forschungseinrichtungen des Landes, und als Ntinginya kam, waren die Deutschen gerade dabei, die Verantwortung Stück für Stück in die Hände der Tansanier zu legen.

Ntinginya arbeitete mit zwei Münchner Ärztinnen zusammen und leistete so wertvolle Arbeit, dass er zu einem Masterkurs in Infektions- und Tropenmedizin nach Liverpool geschickt wurde. Als Fußballfan interessierte er sich für die britische Liga, gewöhnte sich an das kalte Klima und war doch in Gedanken immer bei seiner Familie.

Andere hätten vielleicht daran gedacht, in Europa zu bleiben. Unter Freunden seien solche Themen gelegentlich aufgekommen, sagt Ntinginya. Für ihn sei das nie in Frage gekommen. Er sei dankbar für den Weg, den er gehen konnte, und habe immer nur ein Ziel gehabt: In seinem Land einen Beitrag zur Entwicklung zu leisten.

"Ich bin jetzt ein Vorbild", sagt er, "du stehst immer auf den Schultern deiner Vorgänger." Alle acht jüngeren Geschwister hätten die Sekundarschule besucht. Wie er so erzählt, dass er seinen Eltern Geld schickt, den Geschwistern die Schul- und Studiengebühren bezahlt und den Bildungsweg jedes einzelnen begleitet, dann ist ein klein wenig zu spüren, welch große Verantwortung auf den Schultern dieses Mannes ruht.

Der Familienzusammenhalt ist Stütze und Bürde zugleich. "Vor kurzem habe ich meinem Vater ein Solarpanel auf das Dach seiner Hütte gebaut, jetzt haben sie sogar ein Handy und ich kann sie endlich zu Hause anrufen", sagt der Arzt.

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Kurz nach seiner Rückkehr aus Liverpool wurde er Leiter der Tuberkuloseforschung am Mbeya Research Center - und jetzt wird er Direktor des Instituts. Es hat ihm nur noch der internationale Doktorgrad gefehlt, den hat er nun nach mehrjähriger Forschungsarbeit und der Prüfung vor wenigen Tagen in München erhalten.

"Es macht mich glücklich, dass ich dieses vertiefte Wissen, das ich im Ausland erworben habe, in meinem Land umsetzen kann", sagt Ntinginya und lehnt sich zurück. Man kann sich gut vorstellen, dass er als Arzt seinen Patienten Vertrauen einflößen kann.

Es sei wichtig, sagt er, immer wieder zu fragen, was die lokalen Bedürfnisse der Menschen sind. "Wir müssen nach einfachen Lösungen suchen, wir können nicht von einer hoch technisierten Medizin, wie sie in Deutschland besteht, ausgehen", sagt er. Er möchte eine Studie zur Rolle der Männer bei der Familienplanung machen, "das ist bisher ein reines Frauenthema".

Das Schlüsselwort ist Bildung

Auch die Geburtshilfe interessiert ihn, denn noch immer werden auf dem Land die meisten Babys zu Hause geboren, mit allen damit verbundenen Risiken. Und natürlich stehen die Infektionskrankheiten im Vordergrund. Da geht es um Diagnostik, Übertragungswege, mögliche Impfungen. Zahlreiche Langzeitstudien mit Universitäten im In- und Ausland werden dazu durchgeführt.

Es könnte einen traurig machen, dass in Deutschland den Menschen perfekt ausgestattete Kliniken und verschiedenste Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, während in Afrika noch immer Millionen Menschen sterben, ohne je einen Arzt gesehen zu haben, aber dieser Gedanke kommt ihm erst gar nicht.

"Es macht mich zufrieden, zur Verbesserung der Lebensumstände und einer besseren Bildung beitragen zu können." Vor 20 Jahren seien die Menschen in seinem Dorf noch zuerst zum traditionellen Heiler gegangen, jetzt wüssten sie, dass sie ärztlichen Beistand suchen könnten.

Bildung ist das Schlüsselwort. Seine Frau stammt aus der Hauptstadt und hat einen internationalen Master in Business Administration. Für seine fünf Kinder seien Schule und Studium selbstverständlich. "Sie wissen das gar nicht zu schätzen", sagt er. Und: "Sie hatten schon Schuhe, bevor sie überhaupt laufen konnten." Er lacht. Dann überlegt er kurz und fügt hinzu: "Aber wenn ich an meine Kindheit denke, dann habe ich eigentlich nichts vermisst."

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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