Verein:Münchens letzte Matrosen

Verein: Jeden Freitag treffen sich die Mitglieder der Marinekameradschaft München von 1890 e.V. im Vereinsheim in der Lilienstraße.

Jeden Freitag treffen sich die Mitglieder der Marinekameradschaft München von 1890 e.V. im Vereinsheim in der Lilienstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf der Isar liegen keine Fregatten und das Meer ist weit entfernt, die Mitglieder der Marinekameradschaft stört das nicht. Allein es fehlt der Nachwuchs.

Von Andreas Wolfger

Eine Schiffsglocke, eine Galionsfigur und unzählige weitere Seefahrerdevotionalien schmücken die dunkle Holzvertäfelung des Raums. Wer hierhin kommt, hat das Gefühl, eine Spelunke im Hamburger Hafenviertel Sankt Pauli zu betreten. Nur die weiß-blauen Rauten auf der Tischdecke machen dem Betrachter klar: Du bist noch immer in Bayern. Um genau zu sein unweit des Deutschen Museums - im Heim der Marinekameradschaft München. Hier treffen sich jeden Freitag die Mitglieder des Vereins und spinnen ihr Seemannsgarn.

"Insgesamt gibt es in München heute 15 verschiedene maritime Vereine", erklärt Josef Motl, der Vorsitzende der Marinekameradschaft. Davon alleine vier Shanty-Chöre, die traditionelle Seemannslieder singen. Die Marinekameradschaft ist aber einer der ältesten maritimen Vereine in der Stadt und mit knapp 45 Mitgliedern auch einer der größten. Bereits seit 129 Jahren gibt es die Marinekameradschaft München. Ursprünglich wurde sie im Jahr 1890 von Ehemaligen der Kaiserlichen Marine unter dem Namen Marineverein München gegründet. Dieser Verein sollte Angehörige von Seeleuten, die in München lebten, unterstützen und heimkehrenden Matrosen eine Anlaufstelle nach ihrer Zeit auf See bieten. Zur Zeit der Naziherrschaft wurde der Marineverein per Dekret dazu gezwungen, sich künftig Marinekameradschaft zu nennen.

"Uns ist schon bewusst, dass der Begriff Kameradschaft von den Nazis instrumentalisiert und beschmutzt wurde", erklärt Winfried Huber, der gut mit der Geschichte des Vereins vertraut ist. Die Marinekameradschaft unterscheide sich aufgrund der Erfahrungen, die ein Leben auf See mit sich brächte aber deutlich von einem Fußball- oder Kaninchenzüchterverein. Auf See sei man gezwungen zusammenzuwachsen oder gemeinsam unterzugehen - wortwörtlich. Und das sei die eigentliche Bedeutung von Kameradschaft.

Heute ist die Hauptaufgabe des Vereins die Traditionspflege. Die Mitglieder treffen sich nicht zum Stammtisch, sondern zum Bordabend. Sie kochen ihr Essen nicht in einer Küche, sondern in einer Kombüse. Jede Woche übernimmt ein anderes Mitglied die Rolle des Pantrygast, so heißen im Seemannsjargon jene Matrosen, die sich um die Verpflegung der Mannschaft kümmern. Zum Essen gibt es genau ein Gericht. Wer das nicht mag, geht leer aus - genau wie an Bord. Während eines solchen Abends werden Anekdoten ausgepackt und es wird viel diskutiert. Nur politische Debatten sind tabu.

"Wenn wir unseren Kindern erzählen, was wir erlebt haben, dann können die das gar nicht so recht verstehen", sagt Hans-Werner Hillesheim, der viele Jahre seines Lebens als Ingenieur auf unterschiedlichen Handelsschiffen verbracht hat. Er ist ein bärtiger untersetzter Seebär mit mehr als 80 Jahren und einer gutmütig, aber bestimmt klingenden Stimme. Seine Arme sind mit Tattoos verziert, und an seiner linken Hand sind nur vier Fingern. Wie der Finger verloren ging sei aber eine Geschichte für einen anderen Bordabend, erklärt er.

Eigentlich kommt Hillesheim aus dem Ruhrpott. "Als junger Mann sollte ich zum Militär eingezogen werden", erklärt er. Da sein Vater jedoch im Krieg sehr gelitten habe, sei es für ihn undenkbar gewesen, Soldat zu werden. "Bei der Musterung erklärte man mir, dass ich den Wehrdienst nur umgehen könne, wenn ich entweder Bergmann oder Seemann würde", berichtet er. Da er als Kind aus einer Bergbauregion gewusst habe, wie gefährlich die Arbeit unter Tage damals war, entschied er sich für ein Leben auf See.

Dieses Leben zeichnet sich vornehmlich durch Entbehrungen, mangelnde Privatsphäre sowie harte Arbeit aus. Darin sind sich die Anwesenden des Bordabends einig. Auf Handelsschiffen sei das noch schlimmer als auf Bundeswehrschiffen. "Deswegen haben die von der Handelsmarine uns Soldaten früher immer Süßwassermatrosen genannt", scherzt Dieter "Siggie" Siekmann, der viele Jahre als Kadettenausbilder auf der Gorch Fock diente, dem berühmten Segelschulschiff der Bundeswehr. Heute - in der Marinekameradschaft - seien solche Rivalitäten zwischen den beiden Seemannsgruppen jedoch erloschen. Stattdessen würden die Mitglieder gemeinsam in Erinnerungen an die schönsten karibischen Häfen und ihre marodesten Holzanleger schwelgen.

Neben solchen Anekdoten werden am Bordabend jedoch auch sehr ernste Geschichten geteilt. Etwa über die Havarie eines amerikanischen Handelsschiffs, die Hillesheim als Maschineningenieur jenes Schiffs miterlebte, das zur Rettung geeilt war. 35 Seeleute habe seine Besetzung damals lebendig aus dem Meer fischen können. "Jeder von uns hat dann einen von denen mit gleichem Rang zugeteilt bekommen, ihn in seine Koje gelegt und war für ihn verantwortlich", erzählt er. Während der Rettungsaktion seien jedoch auch fünf Seemänner von einem Rettungsboot erschlagen worden. "Auf Handelsschiffen hatten wir damals ja keine Möglichkeit, Verstorbene zu lagern", berichtet der Offizier. Also gab es eine Seebestattung. Hillesheims Mannschaft habe die Leichen mit Gewichten in Stoffbahnen eingenäht, einen Gottesdienst für die Verstorbenen abgehalten und sie dann versenkt. "Das war damals so üblich", endet die Geschichte.

"Heute gibt es nur noch wenige Deutsche, die auf Handelsschiffen anheuern", erklärt der Ingenieur. Das läge daran, dass nur noch wenige Schiffe unter deutscher Flagge fahren würden. Außerdem seien deutsche Seeleute vielen Reedereien einfach zu teuer. Einfache Arbeiten würden vornehmlich von Asiaten erledigt. Dadurch sei es schwer, Nachwuchs für die Marinekameradschaft zu finden. "Es ist auch nahezu unmöglich, Kontakt zu ehemaligen Marinesoldaten zu bekommen", sagt Vorstand Josef Motl. Die Bundeswehr teile selbst auf Anfrage keinerlei Daten von ausgeschiedenen Soldaten mit. Wenn heute jemand den Weg zur Marinekameradschaft fände, dann aus Zufall. "Seit es keine Wehrpflicht mehr gibt, ist es noch schwerer für uns", berichtet er. Immer weniger Menschen in Deutschland würden dadurch mit der Seefahrt in Kontakt kommen.

"Früher musste man ein Berufsseemann gewesen sein, um der Marinekameradschaft beizutreten," erzählt Motl, der selbst auf einem Schnellboot der Bundeswehr eingesetzt war. Diese Regel habe der Verein aber bereits im Jahr 2001 über Bord geworfen. "Seitdem genügt erkennbares Interesse an der Seefahrt, um Mitglied bei uns werden zu können", sagt der Vorstand. Damit erhielt die Marinekameradschaft neben Handels- und Kriegsmarine ihr drittes Standbein: passionierte Segler.

Auch Winfried Huber fand auf diese Weise zur Marinekameradschaft. "Wenn ich sage, dass ich viele Male auf dem Schiff mit den großen grünen Segeln aus der Bierwerbung mitgefahren bin, dann wissen alle plötzlich, wovon ich spreche", berichtet er. Gemeint ist die Alexander-von-Humboldt, auf welcher er sogar eine Äquatorüberquerung mitgemacht habe.

Trotz dieser Öffnung des Vereins fehlt der Marinekameradschaft jedoch weiterhin Nachwuchs. Es sei schwer, mehr neue Mitglieder zu gewinnen, als alte Mitglieder wegsterben würden. Aus Hubers Sicht gibt es nur eine Möglichkeit für das Fortbestehen der Seemannskultur in München. "Wir müssen die enge Verbindung zwischen den unterschiedlichen maritimen Vereinen der Stadt noch weiter ausbauen und uns in der Öffentlichkeit zeigen", sagt er. Ansonsten drohen die Traditionen und die Gemeinschaft der Münchener Seefahrer verloren zu gehen.

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