Trauer um Elefantenbaby:Jamunas Glasknochen

Der Tod Jamuna Tonis hat viele Fragen aufgeworfen. Eine Obduktion des toten Elefantenkalbs bringt nun Licht ins Dunkel.

Monika Maier-Albang

Sie haben sie auf Eis gebettet, damit das Gewebe nicht abstirbt. So hat man Jamuna Toni nach Berlin gebracht, gleich nachdem das Hellabrunner Elefantenkalb am Montag gegen 14 Uhr eingeschläfert worden war - um Sicherheit zu bekommen, was genau ihm denn nun gefehlt hat.

Elefanten-Baby mit Osterdeko im Münchner Zoo, 2010

Quietschfidel auf Eiersuche: Zu Ostern ging es Jamuna Toni noch gut. Das Elefantenbaby war der ganze Stolz des Tierparks Hellabrunn.

(Foto: sonstige)

Gegen Mitternacht kam das Auto in der Hauptstadt an und der tote Elefant sofort in den Computertomographen. Er wurde gescannt, danach obduziert, die Wissenschaftler vom Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) legten eine Nachtschicht ein. Gegen halb sechs am Morgen war die Arbeit getan, waren Gewebeproben entnommen und ans Labor weitergereicht. Zeit für die Pathologen, sich ein paar Stunden Schlaf zu gönnen, während die Kollegen im Labor weitermachen.

Das Ergebnis der vielschichtigen Untersuchung dürfte ein vorläufiges sein. Am Dienstag deutete alles darauf hin, dass Jamuna Toni eine seltene Krankheit hatte. Ein Ergebnis, das, so es sich bewahrheiten sollte, im Tierpark mit Erleichterung aufgenommen werden dürfte. So müssen sich die Halter keine Vorwürfe machen, sie hätten das Elefantenbaby nicht optimal versorgt.

Jamuna Toni war von ihrer Mutter verstoßen worden, musste von Hand aufgezogen werden, was immer ein heikles Unterfangen ist. Die Ersatzmuttermilch kam zwar von einer Fachfirma aus Hamburg, ist allerdings noch nicht lange auf dem Markt. Die Erkrankung des Elefanten hatte dem Münchner Zoo Rätsel aufgegeben. Anfangs entwickelte sich Jamuna Toni gut, wog zuletzt 170 Kilo und tollte noch Ende Mai in der für sie neu eingerichteten Anlage herum.

Als die Pfleger zum ersten Mal bemerkten, dass sie ein Vorderbein anhob und so entlastete, dachten sie zunächst, "es sei ein Muskelkater vom Spielen", erinnert sich der Tierparkdirektor Andreas Knieriem. Die Schmerzen aber nahmen zu, man gab - behutsam - Schmerzmittel. Im Juni verschlimmerte sich Jamuna Tonis Zustand weiter.

Vielleicht Rheuma, mutmaßten die Pfleger, wegen des plötzlichen Kälteeinbruchs? Als sich der Zustand des Kalbs weiter verschlechterte, rief man Ende letzter Woche zwei Pferdespezialisten zu Hilfe: Hartmut Gerhards von der Klinik für Pferde an der Ludwig-Maximilians-Universität und Uwe Heidbrink von der Pferdeklinik Aschheim. Mit Hilfe eines tragbaren Röntgengeräts stellten die Tierärzte zunächst nur an den Vorderbeinen eine Verschiebung der Wachstumsfuge fest.

Viel Pech und eine Hoffnungsträgerin

Daraufhin wurde Jamuna Toni mit Hilfe einer eigens gebauten Tragevorrichtung in die Pferdeklinik Gessertshausen bei Augsburg verlegt und dort in ein Tragegurtsystem gepackt, um ihre Beine zu schonen. Sie wurde abermals geröntgt - die Aufnahmen ließen die Mediziner erschaudern: Zahlreiche Brüche waren darauf zu erkennen, was Tierparkdirektor Knieriem mutmaßen ließ, der Elefant könne an einer Stoffwechselerkrankung gelitten haben, möglicherweise auch an einer Art Glasknochenkrankheit.

Hinweise auf Mangelerscheinungen, etwa fehlendes Calcium, gab es auch nicht - die Blutwerte hätten gestimmt, so Knieriem. In Gessertshausen ging es Jamuna immer schlechter; schließlich brach der Kreislauf des Tieres zusammen, eine Lungenentzündung bahnte sich an. Fieberhaft telefonierten die Münchner mit Experten anderer Zoos, doch keiner konnte sich die rasante Verschlechterung erklären. Von einem "singulären Fall", sprach Knieriem da bereits.

Es ist, als habe Hellabrunn einfach kein Glück mit der Elefantenaufzucht. Jamuna Toni war der erste lebende Elefantennachwuchs seit 66 Jahren; ihr Mutter, die 20 Jahre alte Elefantenkuh Panang, war vor sechs Jahren zum ersten Mal trächtig gewesen. Damals kam ihr Junges tot auf die Welt. Bereits 1951 hatte die bis dahin letzte Elefantengeburt in Hellabrunn tragisch geendet: Die Elefantenkuh Rani brachte ein totes Kalb zur Welt, ein zweites fand man ebenfalls tot im Leib der Kuh, die bei der Geburt an Entkräftung gestorben war.

Der letzte gesunde Elefant kam im Münchner Zoo 1943 zur Welt: Adam taufte man ihn. Doch der kleine Bulle wurde ein Opfer des Krieges. Nachdem eine Bombe die Kuppel des Elefantenhauses zerstört hatte, erkrankte Adam, weil er die Kälte nicht ertragen konnte. Schließlich ging er ein, gerade mal ein halbes Jahr alt - so wie Jamuna Toni.

Nun hoffen sie in Hellabrunn auf das nächste Mal, hoffen, dass diesmal alles gutgeht. Die achtjährige Temi, Jamuna Tonis Tante, ist trächtig. 20 Monate tragen Elefanten, voraussichtlich im Mai 2011 soll das Junge zur Welt kommen. Bislang verlaufe die Schwangerschaft problemlos, sagt die Münchner Elefanten-Kuratorin Beatrix Köhler.

Temi, die Hoffnungsträgerin, stammt aus dem Berliner Zoo. Und aus Berlin hatten die Münchner sich auch Unterstützung geholt, als Panang, Jamuna Tonis Mutter, trächtig war. Am IZW, dort, wo jetzt der Leichnam des Kalbs untersucht wurde, hatte man schon die Schwangerschaft von Panang betreut.

Ersatzväter trauern um Jamuna Toni

Die Wissenschaftler kannten quasi das ungeborene Kalb, jetzt mussten sie das tote in die Röhre schieben. In den übergroßen Computertomographen, den das IZW eigentlich erst am 6. Juli hatte einweihen wollen. "Europas modernster", sagt IZW-Sprecher Steven Seet. Besonders schnell und strahlungsarm sei das Gerät, Eigenschaften, die nun nicht vonnöten waren.

Mit nach Berlin gereist waren die leitende Tierärztin des Münchener Tierparks, Christine Kempter, und Thomas Günther, einer der drei Pfleger. In Schichtarbeit hatten Günther und seine Kollegen das Tier rund um die Uhr versorgt, gaben ihm Milch alle drei Stunden am Tag, alle vier Stunden in der Nacht.

Entsprechend fertig seien die drei Pfleger jetzt, sagt ihr Abteilungsleiter Andreas Fries. Sie drohten, "in ein großes Loch" zu fallen. Man hänge schließlich an so einem Tier, wenn man Mutterersatz spiele. Spielen musste, wie Tierparkdirektor Knieriem sagt. "Wir haben uns diese Rolle ja nicht ausgesucht."

Dass die Aufzucht schwierig werden würde, hatten die Pfleger gewusst. "Aber dass es schiefgehen könnte, damit rechnet doch kein Mensch", sagt Fries am Dienstag. Es ist noch Vormittag, und er kommt gerade aus dem Elefantenhaus, wo er all die Dinge weggeräumt hat, die an Jamuna Toni erinnern. Das Planschbecken und die Bälle. Und den Baum, an dem sie sich immer gekratzt hat.

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