Prozess:"Ich habe nicht damit gerechnet, dass er umfällt"

Fahrradkurs für Migrantinenn in München, 2015

Mehr Einwohner, mehr Verkehr - in München wird es immer enger. Auf für Radfahrer und Fußgänger.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Der Radfahrer Ralf H. schubste in Obergiesing einen Rentner, der sich zuvor über ihn echauffiert haben soll.
  • Der 78-Jährige fiel so unglücklich, dass er wenige Wochen später in einer Klinik starb.
  • Jetzt steht Ralf H. vor Gericht - wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Von Susi Wimmer

Ging es um den alltäglichen Kampf auf Münchens Straßen - Radler gegen Fußgänger? Oder um einen Rentner, der einen anderen oberlehrerhaft rügen wollte, und der andere wehrte sich? Oder ging es um einen aggressiven Radfahrer, der einfach ausrastete? Ralf H. knetet nervös seine Hände auf der Anklagebank vor der ersten großen Strafkammer.

"Es tut mir sehr leid. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er umfällt", sagt er. Eduard K. war der Fußgänger, und er kippte um auf einem Gehsteig in Obergiesing, nach einem Schubs von Radfahrer Ralf H. Der 78-Jährige fiel noch dazu so unglücklich, dass er wenige Wochen später in einer Klinik starb. Jetzt steht Ralf H. vor Gericht - wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft lässt die Vermutung zu, bei dem 51-jährigen Ralf H. handle es sich um einen kaltblütigen Radl-Rambo. Im Mai vergangenen Jahres soll er mit seinem Radl verbotenerweise auf dem Gehsteig der St.-Bonifatius-Straße in Obergiesing unterwegs gewesen sein, auf dem Gepäckträger einen etwa ein Meter breiten Teppich quer eingeklemmt. Der Teppich soll Fußgänger Eduard K. gestreift haben, worüber dieser sich so echauffierte, dass er den Radler am Arm packte, so die Anklage.

Daraufhin soll der Radfahrer abgestiegen sein und den 78-Jährigen mit beiden Händen gegen den Oberkörper gestoßen haben, dass dieser umkippte und auf den Kopf fiel. Doch damit nicht genug. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der Radler den Bewusstlosen anschließend auch noch am Arm zog und weiter schüttelte, ehe ein Zeuge eingriff. Dem Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass seine Tat geeignet war, beim Opfer "lebensgefährliche Verletzungen oder den Tod" zu verursachen.

Ralf H. schüttelt den Kopf. Er fährt sich durch sein leicht ergrautes Haar und als Richter Michael Höhne im Rahmen der Krankengeschichte abfragt, ob er schon einmal Suizidgedanken gehabt habe, sagt der 51-Jährige: "Ja. Nach dem Vorfall." Er schildert die Geschichte etwas anders als die Staatsanwältin.

Er habe an jenem Tag für eine Nachbarin einen Teppich zur Reparatur bringen wollen. Der gebürtige Hesse radelte den Bereich des Ostfriedhofs ab, auf der Suche nach dem beschriebenen Teppichladen. Er fuhr den Nockherberg nach unten, dann wieder rauf, halb fahrend, halb schiebend.

Als er ungefähr auf Höhe der Hausnummer St.-Bonifatius-Straße 2 angekommen war, schickte er sich auf dem Gehweg an, wieder auf sein Rad zu steigen und langsam anzutreten. In dem Augenblick habe ein kräftiger Mann ihm beide Hände um den Hals gelegt, ihn vom Rad gezogen und angeschrien. "Ich habe ihn keinesfalls mit dem Teppich berührt", ist sich der 51-Jährige sicher.

Auch der Vorwurf der Einschüchterung von Zeugen steht im Raum

Was dann folgte, sei eine Affekthandlung gewesen, sagt Ralf H. "Was war das jetzt?", habe er sich gedacht. Und: "Muss man sich das auch noch gefallen lassen?" Dann lehnte er sein Rad an die Hauswand, ging dem Rentner zwei Meter hinterher und gab ihm von der Seite einen Schubs. Der andere sei nicht zusammengesackt, sondern umgefallen, wie ein Baum, mit dem Gesicht nach vorne.

Erst als der 78-Jährige auf dem Boden lag, habe er bemerkt, dass es sich um einen alten Mann handelte. Er habe ihm aufgeholfen, Eduard K. sei bei Bewusstsein gewesen, habe aber abwesend gewirkt. Zusammen mit einem Zeugen habe man den Verletzten auf den Stuhl eines Cafés gehievt, er habe ein Glas Wasser für ihn geholt.

"Sie sollen zu Zeugen gesagt haben, sie sollten mit ihrem Aussageverhalten aufpassen, damit sie keine Schwierigkeiten bekämen", hält ihm Richter Höhne vor. Nein, das habe er nicht gesagt, entgegnet Ralf H. Fünf Verhandlungstage sind für den Prozess angesetzt, das Urteil wird am 14. Juli verkündet.

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