Ostern:"Wenn man Tiere schlachten will, muss man sie lieben"

Dießen: Schäferei von Markus Schnitzler, Helferin Tochter Verena

Immer wieder ziehen Markus Schnitzler, seine Frau und die Töchter (im Bild Verena Schnitzler) Lämmer mit der Hand auf.

(Foto: Nila Thiel)

Zu Besuch bei Markus Schnitzler erfährt man, dass sich Tierliebe und Metzgerhandwerk nicht ausschließen müssen. In diesen Tagen aber ist seine Familie fast überfordert, weil beides Hochkonjunktur hat.

Von Armin Greune, Dießen

Wer bei Schnitzlers in diesen Tagen in die gute Stube tritt, wird von einem kompletten Streichelzoo willkommen geheißen. Von rechts legt einem Benna auffordernd die Pfote aufs Knie, die Altdeutsche Hütehündin will gekrault werden. Felix schmiegt sich auf dem Tisch schnurrend an die andere Hand. Und Knopf knabbert an den Schnürsenkeln. Wie seine Artgenossen trägt er eine Windel, Modell "extraweich". Fünf Lämmer, zwischen einem Tag und drei Wochen alt, drei Katzen und drei Hunde tummeln sich im Wohnzimmer.

Auch wenn man die animalische Zuneigung mit dem Hausherrn Markus Schnitzler und seiner Tochter Verena teilen muss, reicht sie locker für alle. Als Besucher fällt es einem schwer, angesichts von so viel Zutraulichkeit und verspielter Neugier nicht so in Verzückung zu geraten, dass einem dieses selige Grinsen für immer ins Gesicht gebrannt wird.

Vielleicht ist dies der richtige Moment darauf hinzuweisen, dass der Schäfer, der gerade einem verwaisten Lämmchen die Flasche gibt, vormittags als Metzger arbeitet. Das Töten von Tieren ist ebenso seine Aufgabe wie Aufzucht und Geburtshilfe. Beides hat bei Markus Schnitzler gerade Hochkonjunktur - und bringt den ruhigen, kräftigen 49-Jährigen an die Grenze seiner Belastbarkeit. Am Morgen, bevor er die Halbtagsstelle in einer Dießener Metzgerei antritt, ist er eine gute Stunde im Stall bei den Schafen; abends arbeitet er dort noch einmal zweieinhalb Stunden lang.

Für Ostern vermarktet er aber auch das Fleisch von etwa 15 Lämmern - zehnmal mehr als sonst. Unterm Strich aber bleibt in seiner Schäferei ein satter Geburtenüberschuss: Obwohl die Ablammzeit sich dem Ende zuneigt, kommen täglich noch immer bis zu sechs Tiere im Stall auf die Welt. Allerdings nicht alle lebend.

"Bei der Schäferei liegen Leben und Tod ganz nah beieinander", sagt Schnitzler. So ist wohl auch zu erklären, dass der Gute Hirte im Christentum eine der ältesten Bezeichnungen für Jesus Christus ist. Auch das Lamm nimmt in der christlichen Ostersymbolik eine zentrale Rolle ein: Schon im Judentum und Altem Testament wird das unschuldige Lamm als Opfertier gesehen. Im frühen Christentum lag es am Ostersonntag unter dem Altar, um geweiht und als erste Speise gegessen zu werden. Und das göttliche Lamm Agnus Dei verkörpert Jesus, deshalb gilt das Osterlamm mit der Siegesfahne - wie es traditionell aus Rührteig gebacken wird - als Symbol der Auferstehung.

Dießen: Schäferei von Markus Schnitzler, Helferin Tochter Verena

Sieht süß aus - und macht vielen Menschen offenbar zugleich Appetit: ein zartes kleines Lämmchen.

(Foto: Nila Thiel)

Die Rasselbande in Windeln im Dießener Familienheim ist zwar nicht dem Grab entstiegen, war aber schon dem Tod geweiht. Frühgeburten von Lämmern können ohne menschliche Hilfe nicht überleben. "Wirtschaftlich wäre, sie zu töten" sagt Schnitzler. Stattdessen werden sie bei ihm daheim mit speziellem Milchpulver und Fläschchen aufgepäppelt.

Für den kleinen Knopf war sogar eine Magensonde nötig. Verena Schnitzler hat einige Nächte auf einer Matratze im Wohnzimmer verbracht, weil die Schäfchen in ihren ersten Lebenstagen ständig Körperwärme suchen und alle zwei Stunden gefüttert werden müssen. Mittlerweile bekommen sie noch viermal täglich ihre Milch, in den Stall können sie aber noch nicht entlassen werden.

"Ein bisserl bekloppt muss man schon sein"

"Ein bisserl bekloppt muss man schon sein", meint der Vater. Ohne seine Lebensgefährtin Petra sowie die Töchter Lisa und Verena wäre die aufwendige Aufzucht nicht zu schaffen. "Auch von der Familie wird eine gewisse Schmerzfreiheit gefordert", sagt Markus Schnitzler. Und erzählt, wie Lisa eines Morgens in ihre Pantoffeln schlüpfte und feststellen musste, dass die Schlappen einem der unschuldigen Lämmchen als Urinal gedient hatten.

Als wäre es sein Stichwort, lässt es jetzt auch Knopf tröpfeln, bei dem Böckchen passt die für Menschenbabys zugeschnittene Windel halt nicht so genau. Zum Glück hat es aufgeklart und die ganze Menagerie kann durch die Balkontüre in den Garten entweichen, wo sie auf einen Erpel und drei Enten trifft.

Die ungelenken Bocksprünge der Lämmer im Gras lassen sich nur als Ausdruck ungestümer Lebensfreude deuten. Als wüssten sie, dass ihnen die Schlachtbank im Gegensatz zu den meisten Artgenossen erspart bleiben wird: Alle von Hand aufgezogenen und mit Namen versehenen Tiere haben bei Schnitzlers natürlich lebenslang Schonzeit - genau wie die beiden Pferde und vier Esel. Früher gab es auch noch Kois und Rennmäuse, erzählt Verena Schnitzler.

Beim Besuch im zehn Kilometer entfernten Stall stellt sich Purzel vor, der seit acht Jahren bei Schnitzlers sein Gnadenbrot genießt. Einzige Aufgabe des Widders - abgesehen vom gelegentlichen Sex - ist, bei Weihnachtsmärkten wie dem in Dießen mit seinen prächtigen, nach innen gedrehten Hörnern Bella Figura zu machen. Der Schafbock steht mit etwa 200 Artgenossen - darunter zwei Zucht- und drei Nachwuchsböcken - und acht Ziegen im Stall, den ein vielstimmiges und unablässiges Geblöke erfüllt. Markus Schnitzler und seine Besucher werden von Purzel empfangen, der sich ans Gatter drängt, um die gewohnten Streicheleinheiten einzufordern.

Er nehme nur "brave Böcke" wie ihn in die Zucht, sagt der Schäfer. Denn die bis zu 150 Kilogramm schweren Männchen können Menschen durchaus gefährlich werden, zumal ihre Hörner genau in der Höhe liegen, wo die Zweibeiner besonders empfindlich sind: Schnitzler hat selbst einmal einen mächtigen Kopfstoß auf die Nieren einstecken müssen und dann tagelang unter Schmerzen gelitten.

Nun aber muss er die Herde gründlich nach Neuankömmlingen durchsuchen. Drei Jungtiere haben noch feuchtes Fell, eines sucht bei einem Bock vergeblich die Zitzen. Und einem Schaf hängt das Neugeborene unnatürlich verdreht noch halb aus dem Leib. Schnitzler greift ein, zieht es vorsichtig ganz heraus. Wenig später steht es auf wackligen Beinen, die Mutter schleckt die Reste der Eihülle ab. Und auch das verirrte Lamm findet zu ihr: "Kann des sein, dass der auch noch zu dir gehört?", fragt Schnitzler das Muttertier, "Warum hast di zerscht ned gerührt?"

Ein anderes schnuppert an einem toten Neugeborenen. Der Schäfer nimmt es der Mutter noch nicht weg, "damit sie es kapiert". Er wird später ja ohnehin noch mal zum Füttern und Misten zum Stall fahren. Zwei weitere Totgeburten finden sich im Stroh. "Die Sterblichkeitsrate unter Lämmern ist relativ hoch", erklärt Schnitzler. Ein bisschen trage dazu auch die Enge im Stall bei, es werde höchste Zeit, dass die Herde auf die Wiese kommt. In der nächsten Woche wird sich der Schäfer mit den Tieren auf den Zehn-Kilometer-Fußmarsch zur Koppel am Ortsrand von Dießen machen.

Die Reise zum großen Sommerurlaub treten die Schafe mit dem Lkw an: Von Mitte Juni bis Mitte September dürfen sie auf die Alm im Allgäu. Schnitzler ist auf dem zweiten Bildungsweg Meister der Landwirtschaft geworden, er bewirtschaftet 80 Hektar Wiesen, meist Grenzertragsflächen oder im Auftrag des Vertragsnaturschutzes. Bei der Heuernte lässt Schnitzler die Mahd und das Pressen von Kollegen erledigen, die besser mit Maschinen ausgestattet sind; Kreiseln und Schwaden des Heus übernimmt er selbst. Wie auch das Töten und Zerlegen seiner Tiere.

"Wenn man Tiere schlachten will, muss man sie lieben", sagt Schnitzler. Das fange schon beim Transport an, den seine Schafe nie allein antreten müssen. Stress bei der Schlachtung beeinträchtigt die Fleischqualität, tote Tiere können die in Panik ausgeschütteten Hormone nicht mehr abbauen. "Was ich als Landwirt bei der Aufzucht ein halbes Jahr lang richtig mache, kann ich als Schlachter in fünf Minuten zunichte machen."

Schnitzler ist froh, nicht auf maschinell arbeitende Großschlachthöfe angewiesen zu sein. Einen Teil seiner Lämmer vermarktet er auf dem Dießener Wochenmarkt, zu dessen Gründungsmitgliedern er gehört. Für seine Schäferkollegen hält er Kurse - etwa über die Verwertung älterer Schafe. Für ihn ist das eine Frage des Respekts gegenüber dem Tier: "Es ist einfach ein Geschöpf, das man nicht verramscht oder wegschmeißt." Außer dem Fleisch verkauft Schnitzler die Felle, aus der Wolle - die nicht fein genug zum Verspinnen ist - stellt er Düngepellets her.

Künftig will er die Ablammzeit in den Herbst verlegen. Vor Ostern ist die Doppelbelastung als Schäfer und Metzger, als Schlachter und Geburtshelfer "halt ein Riesenstress". Trotzdem sagt Schnitzler: "Ich möcht' mit niemandem tauschen". Wenn er aber noch mal 20 wäre, würde er wohl versuchen, Tierarzt zu werden. Wie seine Tochter: Verena hat den nötigen Notenschnitt und will demnächst das Studium der Veterinärmedizin aufnehmen.

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