Dioxin-Skandal:Das allgegenwärtige Supergift

Verbraucher fürchten um ihre Gesundheit, Politiker fordern Konsequenzen: Die Aufregung nach dem Dioxin-Desaster ist groß. Aber wie gefährlich ist das Dioxin überhaupt für den Menschen? Und wer trägt die Verantwortung? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Fahndung nach den Verantwortlichen läuft, Politiker aller Parteien schalten sich in die Diskussion ein und Verbraucher fürchten um ihre Gesundheit: Nachdem hohe Dosen hochgiftigen Dioxins in deutschen Eiern gefunden wurden und in Niedersachsen 1000 landwirtschaftliche Betriebe vorerst gesperrt wurden, ist das Land in Aufregung. Deutschland hat einen neuen Dioxin-Skandal.

Dioxin in Eiern nachgewiesen

Verbraucher fragen sich, ob sie überhaupt noch Eier essen können.

(Foto: dpa)

Seit 1976 bei einem Chemieunfall in Seveso das hochgiftige TCDD-Dioxin freigesetzt wurde und verschiedene Krebsarten in der Region angestiegen sind, werden Verbraucher bei dioxinbelasteten Lebensmitteln hellhörig.

Ob bei belasteten Backabfällen in Thüringen, bei Pflanzenöl in Hessen oder bei einem dioxinhaltigen Tonmineral in Rheinland-Pfalz: Verbraucher reagieren heftig auf Meldungen zu dem giftigen Stoff.

Aber was ist überhaupt Dioxin? Wie gefährlich ist es? Und wer trägt die Verantwortung für das aktuelle Problem? sueddeutsche.de beantwortet auf den folgenden Seiten die wichtigsten Fragen zum Thema Dioxin.

Was ist Dioxin?

Beim Schlagwort Dioxin läuten zu Recht die Alarmglocken - schließlich sind die Substanzen, die zu dieser Stoffklasse gehören - die chlorhaltigen Dioxine und Furane - extrem giftig. Die Wirkung des bekanntesten und gefährlichsten Dioxins, des Sevesogifts Tetrachlor-Dibenzo-p-Dioxin (TCDD), übertrifft die von Blausäure und verschiedenen Nervengasen.

Skandal um dioxinbelastete Lebensmittel weitet sich offenbar aus

Dioxine entstehen als Nebenprodukte bei der Verbrennung von Chlor und organisem Kohlenstoff.

(Foto: dapd)

Dioxine können entstehen, wenn bei Verbrennungsprozessen Chlor und organischer Kohlenstoff beteiligt ist. Die Verbrennungstemperatur muss zwischen 250 und 900 Grad Celsius liegen. Dioxine können demnach bei chemischen Verfahren als unerwünschte Nebenprodukte entstehen, aber auch bei Waldbränden oder Vulkanausbrüchen.

Insbesondere während der 80er Jahre gelangten Dioxine über Abfallverbrennungsanlagen und im Rahmen der Metallgewinnung und der Herstellung von Pflanzen- und Holzschutzmitteln in die Luft, außerdem über Chemikalien wie PCB oder Klärschlamm-Dünger. Noch heute können Dioxine beim unkontrollierten Verbrennen von lackiertem Holz oder Kunststoffen entstehen.

Strenge Grenzwerte und eine verbesserte Technik haben den Ausstoß erheblich gesenkt. Doch viele Dioxine sind chemisch sehr stabil und werden in der Umwelt kaum abgebaut, so dass sie noch immer und überall zumindest in Spuren zu finden sind. Werden sie von Tieren oder Menschen aufgenommen, reichern sie sich im Fettgewebe an.

Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge ist das Sevesogift krebserzeugend, andere Dioxine stehen zumindest in diesem Verdacht. Wie das Umweltbundesamt feststellt, können Dioxine darüber hinaus das Immun- und Hormonsystem beeinflussen und Embryonen schädigen oder töten. Menschen nehmen Dioxine vor allem über Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte auf. Tiere wiederum nehmen die Stoffe zum Beispiel über belastete Böden auf.

Eine bekannte Folge der akuten Vergiftung mit Dioxinen ist eine Zerstörung der Haut, die als Chlorakne bezeichnet wird. Unter Chlorakne litten viele Opfer des Chemieunfalls im italienischen Seveso 1976, als große Mengen von TCDD freigesetzt wurden. Ein berühmtes Opfer, dessen Gesicht von Chlorakne gezeichnet ist, ist der ehemalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko, auf den 2004 offenbar ein Giftanschlag mit Dioxin verübt wurde.

Noch ist nicht sicher, wie das Gift ins Hühnerfutter kam - vermutlich stammt es aus der Biodieselanlage der Petrotec AG in Emden. Die bei der Herstellung von Biodiesel als Nebenprodukt anfallende Mischfettsäure verkaufte das Unternehmen an einen Händler aus den Niederlanden. Nach Angaben der Petrotec AG wurde dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Produkt nur für die technische Verwendung geeignet sei. Der niederländische Händler wiederum verkaufte die Fettsäure weiter an den deutschen Futtermittel-Hersteller Harles & Jentzsch. Dieser räumt ein, die technische Fettsäure "leichtfertig" zu Futterfetten verarbeitet zu haben. Mit den belasteten Futtermitteln belieferte Harles & Jentzsch neben Hühnerfarmen auch mehrere Hersteller von Mischfutter.

Hühner nehmen ebenso wie andere Tiere und der Mensch Dioxine hauptsächlich mit der Nahrung auf. Oft sind Freilandeier etwas höher mit dem Gift belastet als solche aus Bodenhaltung, weil im Freien pickende Hühner auch Dioxin aus den oberen Bodenschichten konsumieren - normalerweise bleibt diese Belastung jedoch unter den Grenzwerten. Einmal verschluckt, reichert sich das Dioxin vor allem im Fettgewebe und der Leber des Tieres an und wird dort nur sehr langsam abgebaut. So gelangt es schließlich auch in die Eier.

Wie groß ist die Gefahr durch Dioxine?

Nach Dioxinfund Agrarbetriebe gesperrt

Das Gift im aktuellen Fall stammte aus den Fettsäuren, die dem Viehfutter beigemischt sind. Die waren eigentlich nur für die Industrie geeignet, und nicht für die Lebensmittelherstellung.  

(Foto: dpa)

Wie groß das Gesundheitsrisiko durch Dioxine ist, lässt sich nicht klar sagen, sondern nur schätzen. Deshalb unterscheiden sich die Dioxin-Grenzwerte je nach Organisation, Land und Zeitpunkt. Da alle Menschen einer gewissen ständigen Belastung durch Dioxine ausgesetzt sind, legt man eine Menge fest, die als tolerierbare tägliche Dosis (tolerable daily intake, TDI) bezeichnet wird. Von dieser hofft man, dass sie medizinisch unbedenklich ist. Sie bezieht sich allerdings auf gesunde Erwachsene mit normalem Körpergewicht.

Von der Weltgesundheitsorganisation wird derzeit eine tägliche Gesamtaufnahme von weniger als ein bis vier Pikogramm der dem giftigsten Dioxin (TCDD) entsprechenden Menge pro Kilogramm Körpergewicht empfohlen (1 pg ist 0,000.000.000.001 Gramm oder ein Billionstel Gramm). Angegeben wird bei den Vorgaben demnach ein Toxizitätsäquivalent (WHO-TEQ).

In Deutschland und der Europäischen Union (EU) orientiert man sich an der unteren Grenze dieser Empfehlung. Vor einigen Jahren ermittelte das Umweltbundesamt für die Bevölkerung in Deutschland eine durchschnittliche tägliche Aufnahme von 0,7 Pikogramm WHO-TEQ pro Kilogramm Körpergewicht. Mit anderen Worten: Deutsche nehmen jeden Tag Dioxin in einer Menge auf, die 0,7 Billionstel Gramm des Sevesogifts pro Kilogramm Körpergewicht entspricht.

Für verschiedene Nahrungsmittel werden spezielle Grenzwerte vorgegeben. Für Eier etwa gelten in der Europäischen Union drei Pikogramm pro Gramm Fett. Bei den jetzt entdeckten Eiern wurde der Grenzwert teilweise bis um das Doppelte überschritten Demnach steigt die Dioxin-Belastung des durchschnittlichen Verbrauchers durch diese Produkte bereits deutlich in Richtung der vom Umweltbundesamt und der WHO empfohlenen täglichen Maximaldosis.

Für Erwachsene dürfte die Belastung vermutlich nicht schwerwiegend sein, es besteht kein Grund zur Panik. Da das Risiko aber nun bekannt ist, sollte man es vermeiden. Das gilt besonders für Kinder und Schwangere.

Wer kontrolliert - und wie?

Frühstücksei

Allein ein Bauernhof in Nordrhein-Westfalen soll etwa 120.000 dioxinbelastete Eier in den Handel gebracht haben.

(Foto: dpa)

Die Kontrolle der Einhaltung der EU-Grenzwerte ist nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung in Deutschland Sache der Landesbehörden. Diese erfolgt nach den Vorschriften des sogenannten Nationalen Rückstandskontrollplan.

Die Unternehmen sollten nach Angaben des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums darüber hinaus selbst routinemäßige Kontrollen durchführen. Wieviele Stichproben die Behörden in den einzelnen Ländern nehmen, hängt wiederum unter anderem davon ab, wieviele Produzenten in dem jeweiligen Bundesland angesiedelt sind.

Wer ist schuld an dem Skandal?

Die Lebensmittelchemikerin MARTINA SINDERMANN testet belgische Eier nach ihrem Dioxingehalt

Für die Kontrolle, ob die Dioxin-Grenzwerte in Futtermitteln eingehalten werden, sind die Behörden der einzelnen Bundesländer zuständig.

(Foto: AP)

Fest steht, dass in einem schleswig-holsteinischen Betrieb zur Futtermittelherstellung erhöhte Dioxinwerte bei einer Mischfettsäure festgestellt wurden. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat inzwischen ein Ermittlungsverfahren gegen den Produzenten Harles & Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen eingeleitet.

Der Geschäftsführer des Unternehmens, Siegfried Sievert, erhebt unterdessen in einer Mitteilung, die sueddeutsche.de vorliegt, schwere Vorwürfe gegen die Behörden in Schleswig-Holstein und Niedersachsen: Demnach habe er bei Routinekontrollen in seinem Unternehmen diese Werte festgestellt und dies bereits am 23. Dezember dem Landeslabor mitgeteilt. Das Umweltministerium aber habe erst am 2. Januar reagiert.

Ein Sprecher des Ministeriums weist diese Vorwürfe zurück: Zwar sei am 23. Dezember ein Anruf eingegangen, die Untersuchungsergebnisse in schriftlicher Form aber habe das Labor erst am 27. Dezember erhalten. Daraufhin habe das Ministerium eine Schnellwarnmeldung an die betroffenen Bundesländer herausgegeben. Sowohl am 29. Dezember als auch am 2. Januar seien Kontrolleure des Ministeriums in dem Betrieb vor Ort gewesen. "Wir sind sehr schnell tätig geworden", heißt es aus dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium.

Die kontaminierte Ware selbst stammt nach Angaben des Unternehmers aus einer Biodieselanlage der Petrotec AG im niedersächsischen Emden und sei von dort aus direkt an einen Verarbeitungsbetrieb im niedersächsischen Bösel geliefert worden. Zu klären bleiben nun unter anderem folgende Fragen: Hat es sich bei dem Produkt um technische Fettsäuren gehandelt, also um eine Ware, die der Tierfutterhersteller gar nicht hätte verarbeiten dürfen? Und: War diese Ware korrekt gekennzeichnet?

Der Sprecher des Umweltministeriums warf dem Unternehmer weiter vor, die Rohware trotz der Untersuchungsergebnisse weiterverarbeitet und nicht vernichtet zu haben. Das belastete Tierfutter wurde bundesweit an Legehennen, Puten, Schweine und Ferkel verfüttert. Die Behörden mehrerer Bundesländer ließen deshalb am Montag mehr als tausend Tiermastbetriebe schließen.

Was fordern Verbraucherschützer?

Staatsanwaltschaft ermittelt nach Fund dioxinbelasteter Eier

Der Geschäftsführer des betroffenen Unternehmens in Schleswig-Holstein erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden.

(Foto: dapd)

Als Konsequenz aus dem aktuellen Skandal fordert die Verbraucherschutzorganisation foodwatch eine umfangreiche Haftung der Futtermittelhersteller, wenn sie Umweltgifte in die Nahrungskette einbringen: "Es ist an Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, die Regelungen entsprechend zu ändern", sagte Christiane Groß, Sprecherin der Verbrauchervertreter.

Zudem müssten die Behörden die Verbraucher unverzüglich darüber informieren, welche Produkte von welchen Herstellern betroffen seien. Im Zuge der Dioxin-Funde in Bio-Eiern im vergangenen Jahr forderten die Verbrauchervertreter zudem verpflichtende Tests für Futtermittelhersteller: Jede Charge eines Futtermittels und der einzelnen Zutaten sollten routinemäßig auf Dioxine getestet werden. Bislang sind Futtermittelhändler nicht verpflichtet, ihre Ware zu überprüfen.

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