Jugendwort des Jahres:Chillt doch mal

Ey, du bist so was von fly, lol! Reden so Jugendliche im Jahr 2016? Ja, sagt eine Jury. Nein, sagt der 18-jährige Bestsellerautor und Schüler Paul Bühre - und fragt: Wozu das Getue um Trendwörter?

Von Martin Zips (Protokoll)

Fly sein" ist das "Jugendwort des Jahres 2016". Noch nie gehört? Laut Langenscheidt-Verlag bedeutet "fly sein": "Etwas geht besonders ab". Eine 20-köpfige Jury hat das Wort gewählt und am Freitag präsentiert. Seit 2008 ruft der Langenscheidt-Verlag jährlich ein Jugendwort aus (Gammelfleischparty, Niveaulimbo, Swag), von dem aber selbst Jugendliche oft zum ersten Mal hören, wenn es vorgestellt wird. Neben dem Verbreitungsgrad eines Ausdrucks gelten auch sprachliche Kreativität, Originalität und der Bezug auf aktuelle Ereignisse als Kriterium für die Kür. Der Berliner Paul Bühre, 18, hat mit seinem unterhaltsamen Eltern-Ratgeber "Teenie Leaks - Was wir wirklich denken, wenn wir nichts sagen" vor zwei Jahren einen Beststeller gelandet. In der Süddeutschen Zeitung erklärt er, was von einer Wahl des Jugendwortes zu halten ist.

"Ich finde das ziemlich erstaunlich, wie die sich jedes Jahr bemühen, ein Jugendwort zu finden. Ich meine, da machen sie ein Online-Voting und setzen sich in einer Jury mit vielen jungen Leuten zusammen und überlegen, was jetzt besser ist: ,Hopfensmoothie' für Bier oder eben ,fly sein'. Das stelle ich mir gar nicht einfach vor. Und: Sagt das dann wirklich etwas aus über die Jugend 2016?

Ich bin gerade 18 Jahre alt geworden und gebe zu, dass ich mit vielen Ausdrücken, die da so auf der Auswahlliste standen, überhaupt nichts anfangen kann. ,Vollpfostenantenne' als Bezeichnung für einen Selfiestick? Das habe ich in meinem Freundeskreis noch nie gehört. Zum Selfiestick sagen wir einfach: Selfiestick. Auch ,Tindergarten' ist mir neu, obwohl ich den Wortwitz schon kapiere. Ein ,Tindergarten' soll also eine Sammlung von Online-Kontakten sein. Naja, das hinkt ein bisschen.

Jugendwort

Illustration: Sead Mujic

,Isso', das sagt mir schon etwas. Ein hingenuscheltes ,Das ist so'. Gut, das habe ich wenigstens schon mal gehört. Aber steht das wirklich für meine Generation? Oder ,Bambusleitung' als Synonym für eine schlechte Internetverbindung? Ist mir völlig neu.

Auch bei ,fly sein' bin ich nicht sicher, was das heißt.

Jedes Jahr das eine neue Jugendwort - das gibt es sowieso nicht.

Gut, vor langer Zeit haben die Jugendlichen vielleicht noch ,prima' oder ,knorke' gesagt. Das verwendet meine Generation natürlich nur noch ironisch. Aber ,geil', das geht immer noch. Auch ,Yolo' hält sich schon ziemlich lang - als Abkürzung von ,You Only live Once'. Damit meinen wir: ,Ist doch egal, Mann.'

Viele Erwachsene glauben, dass auch ,lol' zeittypische Jugendsprache sei. Aber das geht echt gar nicht mehr. Die SMS-Zeit ist vorbei. Ganz anders: ,GG'. Das funktioniert. Heißt so viel wie ,Good Game'. Das schreiben sich Internet-Zocker nach einem guten Spiel. Kann man aber auch im Alltag sagen, wenn was toll gelaufen ist. Genauso wie ,nice'. Auch ,Ich schwör' gibt's schon lange. Das hört man noch hier, in Berlin. Obwohl der Rapper-Slang insgesamt seltener geworden ist.

Paul Buehre

Paul Bühre, 18, Schüler aus Berlin, ist Autor des Buches "Teenie Leaks", das fürs Kino verfilmt wird. Nach dem Abitur plant Bühre Auslandsaufenthalte in den USA und in China. Er möchte "etwas mit Geschichte" studieren.

(Foto: privat)

Das größte sprachliche Vorbild für einen 18-Jährigen: der Schauspieler Michael Caine

Es sind wohl weniger Wörter oder Ausdrücke, die für meine Generation stehen. Es sind eher Serien auf Netflix, die man gesehen haben muss. House of Cards, Bloodline. Am besten natürlich im englischen Original, das gilt als besonders cool. Überhaupt sind die am coolsten, die nicht jede Mode mitmachen, also sich gar nicht um angebliche Trendwörter scheren. Die setzen einen ja nur noch mehr unter Druck - und Druck ist etwas, auf das meine Generation echt keine Lust mehr hat.

Deshalb hätte ich, wenn überhaupt, als Jugendwort ,Chill doch mal 'ne Runde' vorgeschlagen. Das ist wenigstens weit verbreitet bei Jugendlichen, weil man damit die Hektiker bremst - oder diejenigen, die immer nur auf ihr Smartphone-Display starren. Aber, ach ja, dafür gibt es ja angeblich auch ein Wort: ,Smombie', das deutsche Jugendwort 2015. Das hatte ich zuvor auch noch nie gehört. Aber ich starre ja auch nicht ständig auf mein Smartphone. Ich lese lieber so Bücher wie ,Bitter Sixteen' von Stefan Mohamed. Da unterhält sich der Hauptcharakter mit seinem Hund über interessante Filme und Comics. Das habe ich gerne gelesen. Auch die Fantasy-Literatur eines Neil Gaiman mag ich sehr. Vielleicht bin ich ja ,postfaktisch'. Das Wort ist gerade von den Oxford Dictionaries zum internationalen Wort des Jahres 2016 gewählt worden, nicht? Fand ich gut. Ein Donald Trump zum Beispiel ist ja wirklich ziemlich postfaktisch.

Die höchste Stufe aber, die man sprachlich erreichen kann, das ist für mich der Schauspieler Michael Caine. Wie der spricht und wie er die Dinge betont, das ist für einen 18-Jährigen wie mich wirklich herausragend. Gepflegte, distinguierte Sprache. Ein echtes Vorbild, der Mann. Obwohl er schon 83 Jahre alt ist. Aber solche Typen, die auch viele soziale Projekte unterstützen, die sind für meine Generation viel wichtiger als jedes ,Jugendwort des Jahres'."

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