Ägypten:In schwierigem Gewässer

Ägypten: Sherine Abdelwahab ist in der ganzen arabischen Welt bekannt, einer ihrer größten Hits ist "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?".

Sherine Abdelwahab ist in der ganzen arabischen Welt bekannt, einer ihrer größten Hits ist "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?".

(Foto: AFP)
  • Ein Fan hat die ägyptische Sängerin Sherine Abdelwahab bei einem Auftritt in den Vereinigten Arabischen Emiraten gebeten, ihren patriotischen Song "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?" zu spielen.
  • Sie antwortete mit einem Scherz - und erhält nun ein Auftrittsverbot.
  • Die ägyptischen Behörden sehen in dem Scherz eine Beleidigung der gesamten ägyptischen Nation.

Von Dunja Ramadan

Es ist ein Lied, das die Nation preist, genauer: den Nil, die Lebensader Ägyptens. Jenen Fluss, der das Land, das mittlerweile die 100 Millionen-Einwohner-Marke gesprengt hat, mit Wasser versorgt. Die ägyptische Sängerin Sherine Abdelwahab, in der arabischen Popszene regional bekannt, besingt den Nil seit nun etwa zehn Jahren. Das Lied "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?" ist patriotisch, emotional - und verklärend. Der Refrain lautet: "Unser Land ist unseren Händen anvertraut und wir halten es hoch, solange wir leben, und wir leben in ihm Jahr für Jahr in innerer Ruhe." Mit der inneren Ruhe dürfte es für Sherine Abdelwahab vorbei sein. Der Grund: Bei einem Konzert in den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte sie ein Fan gebeten, "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?" zu singen. Daraufhin scherzt Abdelwahab: "Dann bekommst du Bilharziose. Trink lieber das Wasser Evian."

Bilharziose ist eine tropische Erkrankung, die es schon im alten Ägypten gegeben haben soll. Sie wird durch Saugwürmer verursacht, die innere Organe angreifen und Juckreiz und Fieber auslösen können. Ägypten hat die Krankheit seit den Fünfzigerjahren erfolgreich zurückgedrängt, doch ganz besiegen konnte sie sie bislang nicht. Abdelwahabs Scherz liegt zwar schon ein Jahr zurück, wie sie betont. Aber jetzt sind die im Netz kursierenden Aufnahmen der 37-jährigen Sängerin zum Verhängnis geworden: Die Künstlergewerkschaft wirft ihr "ungerechte Verhöhnung und Verspottung unseres geliebten Ägyptens" vor und belegt Abdelwahab mit einem Auftrittsverbot. Auch werde das Staatsfernsehen nicht länger ihre Lieder spielen, berichtet die Zeitung al-Ahram.

Am 23. Dezember muss sie sich nun auch vor Gericht verantworten wegen "Beleidigung des ägyptischen Staates" und "Verbreitung provokativer Propaganda". In Zeiten, in denen Ägypten den Tourismus brauche, untergrabe sie diese Bemühungen, so die Ankläger. Die Sängerin entschuldigte sich auf Facebook und bat "die geliebte Heimat und deren Kinder" um Vergebung.

Es ist nicht das erste Auftrittsverbot in Ägypten. Als Ende September die libanesische Indieband Mashrou' Leila in Kairo auftrat und einige Fans die Regenbogenfahne hochhielten, kam es in den Wochen nach dem Konzert zu Dutzenden Festnahmen. Weil Frontmann Hamed Sinno offen schwul ist und in seinen Texten Tabus bricht, darf die Band nun nicht mehr in Ägypten auftreten. Auch die bekannte ägyptische Fernsehmoderatorin Doaa Salah ist Anfang November wegen Aussagen zu Schwangerschaft und außerehelichem Sex zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Der Vorwurf mangelnden Nationalstolz zu haben, ist zur Allzweckwaffe geworden

Die Stimmung im Land ist angespannt, Ägypten steht vor einem wirtschaftlichen und demografischen Kollaps. Die Regierung hat nun die Kampagne "Zwei sind genug" gestartet, die Familien dazu bringen soll, sich auf zwei Kinder zu beschränken. Schon jetzt ist das Land das bevölkerungsreichste der arabischen Welt. Auch der geringe Erfolg im Kampf gegen den ägyptischen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat im Nordsinai setzt die Regierung unter Druck. Eine Razzia in einem Dschihadisten-Versteck wurde Ende Oktober zum Desaster für die Sicherheitskräfte. Unweit der libyschen Grenze starben mindestens 16 Sicherheitskräfte, andere Quellen berichteten von 50 Toten. Daraufhin tauschte Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi die Armee- und Geheimdienstchefs aus.

Seit dem Militärputsch von 2013 nutzen Regierung und Medien den Vorwurf mangelnden Nationalstolzes als Allzweckwaffe. Jegliche Kritik wird als Teil einer internationalen Verschwörung gegen die Stabilität des Landes gesehen. Auf Aussagen, die für Unmut oder Verwirrung in der Bevölkerung sorgen könnten, reagieren die Medien nahezu hysterisch; nicht minder überzogen wirkt oft das juristische Nachspiel.

Auch wenn "Hast du noch nicht vom Nil getrunken?" fürs Erste aus den Staatsmedien verschwunden ist - das Sprichwort, an das sich Abdelwahabs Lied anlehnt, bleibt den Ägyptern erhalten: Wer einmal vom Nilwasser getrunken hat, der kommt wieder.

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