Afghanistan-Experte:"Die Deutschen machen einen Fehler nach dem nächsten"

Der Publizist Ahmed Rashid, einer der führenden Afghanistan-Experten, über Extremismus sowie die vielen Fehler der USA - und jene der Bundeskanzlerin.

Tobias Matern

Ahmed Rashid bittet ins Studierzimmer seiner Wohnung im pakistanischen Lahore. Die Regale sind vollgestopft mit Büchern über die Taliban, Terrorismus, amerikanische Außenpolitik. Der Autor hat mit dem nun auf Deutsch erscheinenden Sturz ins Chaos: Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban wohl das kenntnisreichste Buch über die Region und ihre Terror-Probleme geschrieben. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich Rashid mit Extremismus. Er hatte Zugang zu allen Seiten: den Taliban, Stammesführern, Geheimdienstlern, Regierungschefs. Im Interview spricht er über die Gefahr eines Kollaps in Pakistan, Verhandlungen mit den Taliban und die unrühmliche Rolle der Deutschen am Hindukusch.

U.S. Army Paratroopers Battle Militants In Northwest Afghanistan

Auch im neunten Jahr nach der Invasion wird gekämpft: US-Soldat in Afghanistan.

(Foto: getty)

SZ: In Ihrem Buch wünschen Sie sich von Ihren Kindern, dass sie "Nationen bilden werden". Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, dass Ihrer Generation dies im krisengeschüttelten Pakistan gelingen wird?

Ahmed Rashid: Hier sind nie die Institutionen geschaffen worden, um eine Demokratie und damit eine funktionierende Nation aufzubauen. In Pakistan haben wir nur eine richtig starke Institution: die Armee. Unser Zustand ist das Resultat eines inneren Versagens, obwohl Ihnen 90 Prozent der Pakistaner etwas anderes erzählen würden und die Amerikaner, die Inder und die Juden für den Zustand verantwortlich machen. Aber wir müssen uns selbst anschauen. Die Menschen hier waren noch nie so desillusioniert, sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels.

SZ: Warum sind die Extremisten in Pakistan inzwischen so mächtig?

Rashid: Es ist eindeutig, dass der Staat selbst dazu beigetragen hat. Obwohl das Militär nun gegen die pakistanischen Taliban vorgeht, geben wir immer noch keine klare, eindeutige Botschaft gegen den Extremismus heraus. Nach Anschlägen gibt es Politiker, die sagen: Das war sicher kein Muslim, das war sicher kein Pakistaner. Das ist ungeheuerlich. Den Leuten werden Lügen erzählt, sie sind verwirrt, wissen nicht, wem sie was glauben sollen - jeder sagt etwas anders.

SZ: Die pakistanische Armee kämpft gegen pakistanische Taliban, aber ...

Rashid: ... die afghanischen Taliban werden weiterhin als Kapital betrachtet, das man einsetzen will im aufziehenden Post-Amerika-Afghanistan. Pakistan geht davon aus: Die Nato und die Amerikaner gehen, wir wollen eine uns freundlich gesinnte Regierung in Kabul. Also haben sie sich die Extremisten in den vergangenen Jahren hier gehalten.

SZ: Aber ein Weg aus dem Chaos ist das nicht, oder?

Rashid: Nein, es wird ins Desaster führen. In den neunziger Jahren haben wir erst Gulbuddin Hekmatyar als unseren Vertreter in Afghanistan benutzt, dann haben wir die Seiten gewechselt und die Taliban unterstützt. Das Resultat war das Erstarken von al-Qaida, dann kamen die Anschläge vom 11. September. In der Region sind wir heute diplomatisch isoliert, niemand will unsere Taliban-Strategie unterstützen, nicht einmal die Saudis. Wir haben im Inneren schwerwiegende Sicherheitsprobleme, eine zusammenbrechende Wirtschaft, ethnische Probleme und Kriege in Teilen des Landes. Die Taliban zu unterstützen ist die falsche Politik. Wir sollten einen Dialog auf den Weg bringen zwischen dem afghanischen Präsidenten Karsai und den Taliban.

Lesen Sie weiter, wie komplex das Geflecht der extremistischen Gruppen ist und was Ahmed Rashid der Kanzlerin vorwirft.

Pragmatiker in den Reihen der Taliban

SZ: Es gibt unzählige extremistische Gruppen, die im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet aktiv sind. Wie stehen sie zueinander?

Afghanistan-Experte: Der Publizist Ahmed Rashid glaubt, dass es in den Reihen der afghanischen Extremisten Pragmatiker gibt, die Interesse an einem Abkommen haben.

Der Publizist Ahmed Rashid glaubt, dass es in den Reihen der afghanischen Extremisten Pragmatiker gibt, die Interesse an einem Abkommen haben.

(Foto: privat)

Rashid: Die pakistanischen und afghanischen Taliban sind zwei unterschiedliche Einheiten. Viele der Pakistaner waren in den neunziger Jahren in Afghanistan, um gegen die Nordallianz zu kämpfen. Später haben sie sich Gruppen angeschlossen, die gegen Indien in Kaschmir kämpfen. Ihre Radikalisierung und Fähigkeit, an der einen oder anderen Front zu kämpfen, wurde vom Staat und dem pakistanischen Geheimdienst ISI gefördert. Nach dem 11. September kamen dann afghanische Taliban über die Grenze und installierten hier ihre Basis. Manche paschtunischen Stämme, die in ihrer Umgebung lebten, hat das radikalisiert. Und mit den Taliban waren auch noch al-Qaida und andere Terrorgruppen gekommen. Die paschtunischen Stämme haben dann nach und nach ihre eigene Agenda entwickelt: die Armee aus den Stammesgebieten zu vertreiben und dort etwas aufzubauen, das sowohl sie selbst als auch ihre afghanischen Gäste schützt.

SZ: Aber der Einfluss der Taliban ist nicht mehr ausschließlich auf das Grenzgebiet beschränkt.

Rashid: Das innerpakistanische Szenario hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren gewandelt. Die Taliban beschränken sich mehr oder weniger auf die Stammesgebiete, aber es gibt Zusammenschlüsse mit Gruppen in der Provinz Punjab, mit Gruppen in Karatschi, den Gruppen, die vom ISI trainiert wurden, um in Kaschmir zu kämpfen und die seit einigen Jahren frei unterwegs waren. Viele von ihnen haben sich den pakistanischen Taliban angeschlossen. Das sind Gruppen, die erst gegen Indien waren und sich nun betrogen fühlen vom pakistanischen Staat. Die afghanischen Taliban sind nicht in die Kämpfe in Pakistan involviert. Sie wissen ja, dass ihr Brot hier mit Butter beschmiert wird und sie die Unterstützung des ISI brauchen.

SZ: Wollen sie mit allen Mitteln die ganze Macht in Afghanistan?

Rashid: Sie wollen in einer begrenzten Form zurück an die Macht. Sie haben auch Pragmatiker in ihren Reihen, die einen Dialog mit Karsai wollen und eine Machtteilung, die sich also mit Teilen des Staatsgebiets zufriedengegeben würden. Diese Gruppe versteht, dass sie wieder einen Paria-Staat anführen würden, wenn sie alleine regierten. Sie haben Interesse an einem Deal mit jemandem, der die internationale Unterstützung aufrechterhalten kann.

SZ: Geben nicht die Hardliner den Ton an, die sich auf keine Verhandlungen einlassen wollen?

Rashid: Die pragmatischen Taliban sind meiner Meinung nach ziemlich einflussreich. Sie wollen Pakistan gerne verlassen, wieder ganz nach Afghanistan zurückkehren. Amerika und die Nato müssen jetzt entscheiden, mit den Taliban zu sprechen und einen Dialog beginnen. Der wird nicht drei Wochen, sondern vielleicht bis zu drei Jahre dauern. Es hat keinen Sinn, länger zu warten - vor allem nach der Ankündigung, 2011 mit einem Truppenabzug zu beginnen. Letztlich wird der Westen mit den Taliban reden, aber wenn er zu lange wartet, sind das dann in Panik geführte Verhandlungen. Aber Präsident Barack Obama verzögert die Entscheidung.

SZ: Es ist schwer, den Wählern zu erklären, nun mit den Leuten verhandeln zu wollen, die einst ein dunkles Regime angeführt haben, die man schon aus Afghanistan vertrieben zu haben glaubte.

Rashid: Ein zentrales Problem ist jetzt, dass der Einsatz in Afghanistan von Anfang an als Friedensmission dargestellt wurde, vor allem in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute noch Probleme damit, Afghanistan als das zu beschreiben, was es ist. Die deutsche Politik hat in Afghanistan einen Fehler nach dem nächsten gemacht: etwa die Ausbildung der Polizei zu übernehmen, obwohl Sie in Deutschland keine Erfahrung darin haben, wie solch ein Training in einem Land der Dritten Welt aussieht, obwohl Sie nicht die Sprache sprechen. Dann wollte Deutschland nicht akzeptieren, dass dies ein Krieg ist, obwohl die Taliban seit 2007 Kundus überschwemmt haben. Dem Militär gebe ich dafür keine Schuld, es musste unter politischen Vorgaben agieren, und die Taliban haben das als fantastische Gelegenheit für sich durchschaut. Jetzt kommen die US-Truppen nach Kundus, um die Deutschen herauszuhauen. Für die Deutschen dort muss das sehr unangenehm sein.

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