Albtraum Atombombe (5):Wenn Roboter das Schlachtfeld übernehmen

Wie die Atombombe damals verändern Roboter heute die Art und Weise, wie Staaten Krieg führen. US-Politologe Peter W. Singer sieht die Welt dadurch vor einem unkalkulierbaren Risiko.

Matthias Kolb

Der 1974 geborene Peter W. Singer ist einer der einflussreichsten Politologen der USA. Er forscht am Think-Tank Brookings Institution und hat 2008 Barack Obama beraten. Singer war einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit dem Phänomen der Kindersoldaten und der private military companies wie Blackwater beschäftigt hat. In seinem Buch Wired for War untersucht er, welche Folgen der Einsatz von Robotern und Drohnen in bewaffneten Konflikten für Politik und Gesellschaft haben. Vor kurzem stellte er seine Thesen auf einer Konferenz (www.tngtech.com/events-bigtechday03-abstracts.html#PeterSinger) in München vor.

Albtraum Atombombe (5): Soldaten gehen, Maschinen kommen: "Einige Militärs träumen davon, dass künftig gar keine Menschen auf den Schlachtfeldern mehr eingesetzt werden müssen und Computer alles übernehmen", sagt der Politologe Peter W. Singer.

Soldaten gehen, Maschinen kommen: "Einige Militärs träumen davon, dass künftig gar keine Menschen auf den Schlachtfeldern mehr eingesetzt werden müssen und Computer alles übernehmen", sagt der Politologe Peter W. Singer.

(Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Vor 65 Jahren warfen die USA zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab. Warum war die Welt danach eine andere?

Peter W. Singer: Es passiert sehr selten, dass eine Erfindung die Regeln des Spiels völlig ändert. Als Beispiele könnte man die Druckerpresse nennen, das Schießpulver, die Dampfmaschine, welche zur Industrialisierung führte, den Computer oder eben die Atombombe. Diese Techniken beenden den Krieg nicht, aber sie führen zu enormen Veränderungen in Politik und Gesellschaft und zwingen uns dazu, ethische und moralische Fragen zu stellen, die wir uns zuvor nicht vorstellen konnten.

sueddeutsche.de: Was hatte sich verändert?

Singer: Die Atombombe führt zu einer neuen Art von Krieg: Mit den USA und der Sowjetunion standen sich zwei Supermächte gegenüber, die nicht wie in den Jahrhunderten zuvor auf einen bewaffneten Kampf zusteuerten. Das bedeutete nicht, dass es keine Kämpfe mehr gab: Diese wurden nur an anderen Stellen ausgetragen. Zum einen gab es zahlreiche Stellvertreterkriege und -konflikte in Lateinamerika, Vietnam, Afghanistan oder Kuba. Zum anderen fanden die Auseinandersetzungen auch in der Wissenschaft, in der Industrieleistung oder im Handel statt. Ohne die Atombombe hätten wir sicher nicht das space race und die Raumfahrt mit all seinen Folgen gesehen.

Sueddeutsche.de: Welche Folgen meinen Sie?

Singer: Ohne die Raumfahrt gebe es heute kein GPS oder Mobiltelefone. Oder nehmen Sie Energydrinks: Diese süßen Getränke wurden für Astronauten entwickelt und nicht, damit wir nachts lange in Bars wach bleiben können. Es sind diese Nebeneffekte, die solche revolutionären Technologien mit sich bringen und unser Leben verändern.

sueddeutsche.de: Welche Bedeutung hat die Atombombe heute noch?

Singer: Die furchterregendsten Szenarien sind noch immer mit der Atombombe verbunden, nur fürchten wir nicht mehr, dass in einem Atomkrieg ganze Städte ausgelöscht werden. Vielmehr haben wir Angst davor, dass ein wenig transparenter und für uns unlogisch agierender Staat wie Iran Atomwaffen entwickelt. Zudem besteht das Risiko, dass eine Terrorgruppe in den Besitz einer "schmutzigen Bombe" gelangt und diese einsetzt. Abgesehen von den ökologischen Folgen und den Zehntausenden Todesopfern würde sich unser Leben in der westlichen Welt fundamental ändern: Der Freihandel wäre undenkbar, die Bürgerrechte würden wohl eingeschränkt, die Verfassung nicht mehr respektiert. Das ist die gefährliche, dunkle Kraft dieser Erfindung: Sie ist wie der Geist, den man nicht mehr in die Flasche zurückbekommt.

"Einige Wissenschaftler bereuen ihre Erfindungen"

sueddeutsche.de: Sie argumentieren in Ihrem Buch, dass wir mit der Entwicklung von Robotern an einem ähnlichen Punkt stehen wie vor siebzig Jahren mit der Atombombe. Warum?

PENTAGON PLAYS DOWN SECURITY BREACH WITH US DRONES

Eine amerikanische Drohne im Luftraum über Kandahar, Pakistan. "Das Militär interessiert sich für Roboter, weil diese jene Aufgaben erfüllen, die im Englischen als "3 Ds" bezeichnet werden. Die Jobs sind "dull, dirty and dangerous", also eintönig, schmutzig und gefährlich", sagt Peter W. Singer.

(Foto: AFP)

Singer: Die Ähnlichkeit zur künstlichen Intelligenz und zur Roboter-Revolution (robotic revolution) ist verblüffend. Es beginnt mit ihrem Ursprung in der Science-Fiction-Literatur. Der Name "Atombombe" geht auf eine Erzählung namens Befreite Welt von H. D. Wells zurück, die viele Forscher kannten, die am Manhattan-Projekt arbeiteten. Der zweite Punkt ist die Verlockung: Wer als Naturwissenschaftler in den vierziger Jahren in einem spannenden Bereich arbeiten wollte, der ging in die Kernphysik - hier wurden neue Grenzen ausgelotet. Heute wollen viele Talente mit Robotern arbeiten.

sueddeutsche.de: Dabei bindet man sich doch sehr an das Militär.

Singer: Das stimmt, beide Techniken haben große militärische Implikationen und das meiste Geld stammt aus den Verteidigungsministerien oder der Industrie. Die daraus für die Wissenschaftler entstehenden Fragen sind die gleichen: Von wem darf ich Geld für mein Forschungsprojekt nehmen? Ist es moralisch vertretbar, mich von einer Armee sponsern zu lassen? Ist es ethisch korrekt, einen bewaffneten Roboter zu bauen und wer darf einen solchen kaufen? Jeder Mensch oder nur Staaten? Und wenn etwas schiefgeht, wer ist dann schuld? Ist es etwa der Pilot, der eine Predator-Drohne in ein Haus mit Zivilisten steuert oder ist es der Entwickler?

sueddeutsche.de: Dabei ist es völlig unklar, welche rechtlichen Grundlagen angewendet werden.

Singer: Das ist leider korrekt. Auch in den vierziger Jahren war dies nicht geklärt. Es gibt also zahlreiche Parallelen zwischen der Atombombe und den Robotern von heute - bis zu dem Punkt, dass es vor allem die Erfinder der Kampfroboter sind, die sich für eine Regulierung und für gewisse Verbote einsetzen. Es gibt einige Wissenschaftler, die ihre Erfindungen bereuen.

sueddeutsche.de: Was möchten Sie denn verbieten?

Singer: Es geht vor allem um autonome, bewaffnete Roboter - also um Roboter, die nicht von einem Menschen gesteuert werden. Einige Militärs träumen davon, dass künftig gar keine Menschen auf den Schlachtfeldern mehr eingesetzt werden müssen und Computer alles übernehmen. Aber dies wird hoffentlich nie geschehen, weil das Risiko zu hoch ist.

sueddeutsche.de: Warum sind Roboter für Armeen eigentlich so attraktiv?

Singer: Das Militär interessiert sich für Roboter, weil diese jene Aufgaben erfüllen, die im Englischen als 3 Ds bezeichnet werden. Die Jobs sind dull, dirty and dangerous, also eintönig, schmutzig und gefährlich. Können Sie Ihre Augen 40 Stunden lang offen halten und ein Wüstengebiet beobachten? Nein, aber ein Roboter kann das. Können Sie in einem Sandsturm sehen oder in einer chemisch verseuchten Umgebung überleben? Nein, aber ein Roboter kann das. Aber entscheidend ist etwas anderes. Ein Vertreter der US-Armee sagte mir: Einen Roboter kann ich auch in eine Situation schicken, in der ein Soldat getötet werden würde und ich später keinen Kondolenzbrief an eine Mutter schreiben muss.

sueddeutsche.de: Welche Staaten setzen denn Roboter ein?

Singer: Neben den USA und Deutschland arbeiten momentan 41 Staaten an unmanned armed vehicles, also an unbemannten, bewaffneten Fahrzeugen. Dazu zählen etwa Israel, Iran, Russland, Schweden oder Südkorea. Aber auch die Hisbollah interessiert sich für Roboter. In Amerika werden schon heute mehr Piloten für Drohnen ausgebildet als für gewöhnliche Maschinen.

sueddeutsche.de: Findet eine Debatte über Ethik statt?

Singer: In den US-amerikanischen Fachzeitschriften wird darüber diskutiert. Aber leider gibt es keinen Verhaltenskodex, den junge Forscher zu Rate ziehen könnten. Dass es anders geht, zeigt das Humangenomprojekt: Fünf Prozent der Forschungsgelder für die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts sind reserviert, um über ethische Fragen nachzudenken. Dies wäre auch in der Roboterindustrie nötig, denn längst werden Drohnen nicht nur im Irak oder in Afghanistan eingesetzt, sondern auch über Städten wie Houston und Los Angeles.

sueddeutsche.de: Innerhalb der Armeen wird nicht diskutiert?

Singer: Doch, aber man muss berücksichtigen, dass sich die Technik rasend schnell verändert. Es ist schwer, hier Schritt zu halten. Es erinnert mich ein wenig an die Musikindustrie, als der iPod auf den Markt kam: Man weiß, dass diese Technik dein Geschäft verändern wird, aber noch nicht, wie man sich darauf einstellen muss. Die Herausforderung besteht darin, die Organisationen umzubauen, aber da es sich um schwerfällige Institutionen handelt, geschieht das nicht einfach so.

sueddeutsche.de: Was bedeutet der zunehmende Einsatz von Robotern für die Demokratie?

Singer: Die Hürden, einen Krieg zu beginnen, werden immer niedriger. In fast allen westlichen Demokratien gibt es keine Wehrpflicht mehr. Das letzte Mal, als der US-Kongress offiziell einen Krieg erklärte, war 1941. Die Gesellschaft denkt nicht über die Konsequenzen nach, denn wir zahlen auch keine Kriegssteuern mehr. Und jetzt gibt es eine Technik, die es ermöglicht, diese Hürden völlig einzureißen. Amerikas dritter Krieg ist dafür das beste Beispiel.

sueddeutsche.de: Das müssen Sie erklären, Mister Singer.

Singer: Wir kämpfen im Irak, in Afghanistan - und in Pakistan. Die USA haben mehr als 135 Luftschläge mit Drohnen über Pakistan durchgeführt - im Kosovo waren es weniger als ein Drittel. 1999 sprachen wir von einem Krieg, aber heute nicht mehr. Das liegt meiner Überzeugung nach an der Technik und daran, dass weder der US-Kongress noch die UN darüber debattieren. Kein US-Präsident muss sich Sorgen machen, dass er einen Piloten verliert - zumal die meisten Aktionen nicht vom Militär, sondern vom Geheimdienst CIA durchgeführt werden.

sueddeutsche.de: Wie reagieren die Aufständischen auf diese neue Art des Krieges?

Singer: Ein hochrangiger Beamter der Bush-Regierung sagte mir: Unsere Roboter sind ein großer Vorteil, denn die technische Überlegenheit wirkt abschreckend. Doch in Pakistan oder im Nahen Osten sieht man das anders. Ein Zeitungskommentator sagte mir: Es ist nur ein weiterer Beweis, wie grausam und herzlos die Israelis und Amerikaner sind, dass sie Maschinen senden. Sie sind Feiglinge, denn sie haben Angst, wie echte Männer gegen uns zu kämpfen.

sueddeutsche.de: Also könnte der Einsatz von Robotern die Intensität der Kriege erhöhen?

Singer: Bei all den Diskussionen um den Hightech-Krieg darf man den menschlichen Aspekt nicht vernachlässigen. Faisal Shahzad, der an Weihnachten eine Autobombe am New Yorker Times Square zünden wollte, begründete seine Tat damit, dass Drohnen unschuldige Zivilisten in Pakistan töten. Da sind wir wieder bei der Atombombe und all den Theorien über Abschreckung und Eindämmung - letztlich dreht sich alles um die Psychologie des Menschen.

Das aktuelle Buch Wired for War von Peter W. Singer ist in den USA bei Penguin Press erschienen. Eine Übersicht bietet die Website wiredforwar.pwsinger.com/ .

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