Atom-Debatte:Frau Merkel, bitte zum Diktat!

Wer trifft die politischen Entscheidungen in Wirklichkeit? Weil sie der Brennelementesteuer entgehen wollen, versuchen die Chefs der Atomwirtschaft, die Bundesregierung umzublasen. Dem Wind geben sogar einstige Atomgegner nach.

Heribert Prantl

Fritz Berg war von 1949 bis 1971 der erste Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Er hat sich gerühmt, er brauche nur zu Adenauer zu gehen, und die Vorschläge von Wirtschaftsminister Erhard, (die nicht immer industriefreundlich waren), seien vom Tisch. Dieses Beispiel für die Macht der Wirtschaft findet sich in Kurt Sontheimers Standardwerk über die "Grundzüge des politischen Systems Deutschlands", das 2007 von Wilhelm Bleek und Andrea Gawrich neu bearbeitet worden ist.

Bundestag

Wer gibt die großen Linien der Politik vor? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es bisher offengelassen, um wie viel länger die deutschen Atomkraftwerke laufen dürfen. Bei der Brennelemente-Steuer soll es zwar nach ihrem Willen bleiben, allerdings nur "solange kein anderer Vorschlag auf dem Tisch ist".

(Foto: dpa)

In der nächsten Auflage wird ein aktuelleres Beispiel stehen: Die Manager der Atomindustrie haben eine Anzeigenkampagne gegen die Einführung einer Brennelemente-Steuer und für die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke begonnen, die sich "Energiepolitischer Appell" nennt. Der Appell war noch nicht gedruckt, da trat die Regierung Merkel - Umweltminister Norbert Röttgen ausgenommen - schon zum Umfallen an.

Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, kann sich statt der Brennelemente-Steuer eine "vertragliche Einigung mit der Energiewirtschaft" vorstellen, in der sich die Konzerne zu Zahlungen für verlängerte Kraftwerkslaufzeiten verpflichten; Finanzminister Wolfgang Schäuble assistiert: "Wir haben immer gesagt, wenn es eine andere Rechtsgrundlage oder Vereinbarung geben sollte, sind wir dazu bereit." Die Kanzlerin erklärt im ZDF-Interview sybillinisch: Ihr lägen bisher keine Vorschläge vor, dass die Beiträge der Industrie in anderer Form als mittels Steuern erbracht werden sollen. Aber wenn diese Vorschläge doch nun vorliegen - und die Industrie, statt Steuern zu zahlen, Geld in einen Fonds einzahlen will? Offenbar will Merkel den Eindruck vermeiden, dass sie gedrängt werden kann. Wer ohnehin schon bereit ist, das zu tun, was der andere will, kann nicht mehr dazu genötigt werden.

Der Traum jedes Steuerzahlers

Die Brennelemente-Steuer ist Bestandteil des Anfang Juni verkündeten Sparpakets - und darin einer der ganz wenigen Posten, bei denen auf Wirtschaft und Gutverdiener zugriffen wird. Ansonsten spart das Sparpaket bei den Ausgaben für die kleinen Leute. Nun fällt womöglich die Steuer weg - und wird durch ausgehandelte Zahlungen ersetzt. Das ist der Traum jedes Steuerzahlers: Auf seinen Protest hin tritt der Staat mit ihm in Verhandlungen ein und fragt, wie viel man bitte freiwillig zahlen möchte. Auch eine andere Abgabe wird definitiv nicht erhoben werden: Auf die Kernenergieabgabe, wie sie die Regierung zur Finanzierung erneuerbarer Energien erwogen hat, wird, so Merkel, verzichtet.

Der große Staatsrechtler und frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde verlangt von einer Demokratie, "dass das Handeln ihrer Leitungsorgane so beschaffen ist, dass die Einzelnen und die Bürger insgesamt (das Volk) in diesem Handeln sich wiederfinden können". Selten war eine Bundesregierung von diesem Satz so weit weg wie in ihrer nachgiebigen Reaktion auf das auftrumpfende Drängen der Energiewirtschaft.

Umweltminister Röttgen spürt das: Die Politik müsse "mächtige Unternehmen gerade im Steuerrecht so behandeln wie normale Bürger auch". Wo bleibt dieser Satz, wenn die Energiewirtschaft dem Staat diktieren kann, ob, wie und wie viel sie ihm von den Gewinnen auskehrt, die sie durch die vom Staat verlängerten Atom-Laufzeiten erzielt?

Anzeigenkampagnen zur Einwirkung auf die Politik sind nichts Neues. Mit vielen Millionen Euro haben die Arbeitgeber zuzeiten von Rot-Grün solche Kampagnen für einen massiven Sozialabbau finanziert. Logen wie die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" oder der "Konvent für Deutschland" haben mit gewaltigem Werbeaufwand eine sozialstaatskritische Grundstimmung zu erzeugen versucht - nicht ohne Erfolg.

Der doppelte Schily

Die neue Anzeige der Atomindustrie ist anders: sie ist konkreter und fordernder. Der Imperativ, die Finger von den AKWs und den mit ihnen erzielbaren Gewinnen zu lassen, enthält eine Handlungsanweisung und stößt in eine weiche Stelle einer ohnehin schwachen Regierung: Sie hat sich bisher auf klare Aussagen zur Verlängerung der Laufzeiten ausgedienter Atomkraftwerke nicht einigen können. Sie ist sich nicht einmal im Klaren darüber, ob sie sich trauen soll, mit den notwendigen Gesetzen in den Bundesrat zu gehen - oder wie sie es anstellen könnte, um die Länderkammer herumzukommen. So eine Regierung ist mit Wind leicht umzublasen.

Aus Schrottimmobilen werden industrielle Wunder

Der frühere SPD-Bundesinnenminister Otto Schily und der frühere SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, die beide die Kampagne der Atomindustrie mit ihrer Unterschrift unterstützen, gehören zwar nicht mehr zur Bundesregierung, aber zu denen, die schon umgeblasen sind. Als Mitglied der rot-grünen Bundesregierung haben sie beide den Atomausstieg als das große Projekt von Rot-Grün mitvertreten. Jetzt treten sie von sich selbst zurück.

Bei Schily kommt dazu, dass er früher ein besonders bekennender Atomgegner war. 1986, damals noch bei den Grünen, schrieb er in einem von Joschka Fischer herausgegebenen Band über den Ausstieg aus der Kernenergie ein Vorwort zu einem Fachaufsatz über "Rechtliche Konsequenzen des Tschernobyl-Unfalls für den Betrieb atomarer Anlagen". Schily sprach sich heftig dagegen aus, der Industrie beim Abschalten von Kraftwerken Entschädigungen zu zahlen: "Der Zeitwert von atomaren Anlagen, deren Nutzung aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften nicht mehr möglich ist, wird kaum höher anzusetzen sein als der Schrottwert." Binnen 25 Jahren sind für Schily aus Schrottimmobilien industrielle Wunder- und Wertanlagen geworden.

Dem atomfreundlichen Otto Schily von heute antwortet freilich der atomkritische Schily Otto von gestern: "Das Gerede von vermeintlichen Sachzwängen, die dem Ausstieg aus der Atomenergie entgegenstehen, erweist sich als bloßes Unvermögen zum energiepolitischen Umdenken." So steht es nachzulesen nicht im "Energiepolitischer Appell" von 2010, sondern bei Schily, 1986.

Zeitungsanzeigen sind freilich vergleichsweise friedliche Mittel in der Auseinandersetzung. Fritz Berg, der erwähnte erste BdI-Chef, soll 1969 anlässlich von Streiks in der Stahlindustrie gesagt haben, man hätte "ruhig schießen sollen, dann herrscht wenigstens Ordnung".

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