Papst lockert Kondom-Verbot:Ein Riss in der Mauer des Vatikans

Mit seinen Äußerungen zum Gebrauch von Kondomen nähert sich Papst Benedikt dem 21. Jahrhundert. Langsam. Die Reaktionen zeigen, wie sehr sich die Menschen nach einer zeitgemäßen Kirche sehnen.

S. Hippler, Priester in Südafrika

Stefan Hippler, 50, ist katholischer Priester. Seit 1997 arbeitet er in Südafrika, wo er sich vor allem um Aidskranke kümmert. Für sein Engagement hat Hippler bereits mehrere Auszeichnungen erhalten.

Stefan Hippler

Stefan Hippler arbeitet in Südafrika, wo er sich vor allem um Aidskranke kümmert.

Hast du schon gehört? - so schallt es mir von meiner Facebook-Seite entgegen, auch die E-Mails haben alle nur ein Thema: Der Papst habe im Buch von Peter Seewald mit dem Titel "Licht der Welt" sensationelle Äußerungen zur Kondomfrage gemacht. Und damit ich es auch wirklich glaube, schickt mir jemand sogar den Link zum lateinischen Text auf der Webseite des Vatikans. "Ein Schritt in die richtige Richtung" wird die Neuigkeit genannt - oder auch ein "Wunder", auf das man lange gewartet habe.

Sollte ich wirklich eine Sensation verschlafen haben? Eines ist klar: Worte des Papstes über Kondome scheinen bei Jung und Alt, Gläubigen und Nichtgläubigen ungeahnte Resonanz zu provozieren. Viele Aussagen zeigen, wie sehr sich die Menschen nach einer vernünftigen und zeitgemäßen Morallehre der Kirche sehnen. Anders ist der Hype nicht mehr zu erklären. Aber was hat der Papst nun wirklich gesagt, und wie ist es zu deuten?

Zuerst einmal rechtfertigt er auf Nachfrage seine Äußerungen, die er im März 2009 auf dem Flug nach Afrika gemacht hat. Kondome seien nicht die alleinige Lösung, sagt Benedikt XVI. im Buch. Er habe dem Journalisten damals klarmachen wollen, was die Kirche alles in Sachen HIV/Aids an Gutem tue. Das ist richtig. Ich kenne auch keinen ernstzunehmenden Aktivisten, der alleine auf Kondome setzt oder die Rolle der Kirchen bei der Pflege Kranker nicht anerkennt. Was damals die Empörung auslöste, das war der zweite Satz des Papstes im Interview auf dem Weg nach Kamerun, wonach Kondome das Problem nur vergrößern. Aber darauf geht der Papst in seinem Gespräch mit Seewald nicht ein, sondern er fährt fort:

"Wir müssen nahe bei den Menschen sein, sie führen, ihnen helfen; und dies sowohl vor wie nach einer Erkrankung. Tatsächlich ist es ja so, dass, wo immer sie jemand haben will, Kondome auch zur Verfügung stehen. Aber dies allein löst eben die Frage nicht. Es muss mehr geschehen. Inzwischen hat sich gerade auch im säkularen Bereich die sogenannte ABC-Theorie entwickelt, die für ,Abstinence - Be faithful - Condom' steht (Enthaltsamkeit - Treue - Kondom), wobei das Kondom nur als Ausweichpunkt gemeint ist, wenn die beiden anderen Punkte nicht greifen." Es scheint mir, dass der Papst im Gespräch Gedanken entwickelt, die eher philosophisch-theologischer Natur sind, die aber weder eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral bedeuten noch eine wirkliche Wende hin zur Anerkennung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Sexualität.

Sein Gedankengang bringt ihn zu einem Ausnahmefall: "Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will. Aber es ist nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen."

Das Beispiel ist gewagt gewählt: Ein Prostituierter, ein aktiver Homosexueller muss als Ausnahme herhalten. Es wundert mich nicht, dass ich bereits mehrmals angefragt worden bin, ob hier wieder eine latente Homophobie vorhanden sei, die Aids, das Kondom und Homosexualität stringent und unterschwellig verbindet - wobei nicht deutlich wird, welches das größere Übel sei. Für mich aus Südafrika haben HIV und Aids eine klare heterosexuelle Konnotation.

Eine moralische Entscheidung von Wert

Immer wieder wird dabei das Kondom mit einer Herabwürdigung der Sexualität in Verbindung gebracht: "...die bloße Fixierung auf das Kondom bedeutet eine Banalisierung der Sexualität, und die ist ja gerade die gefährliche Quelle dafür, dass so viele Menschen in der Sexualität nicht mehr den Ausdruck ihrer Liebe finden, sondern nur noch eine Art von Droge, die sie sich selbst verabreichen."

Papst: Kondom in manchen Fällen gerechtfertigt

Papst Benedikt: Kondom in manchen Fällen gerechtfertigt.

(Foto: dpa)

Sexualität wird entweder in der Ehe oder aber als Droge gesehen. Ich frage mich, ob es zwischen den beiden Positionen nicht noch eine Menge gibt, gerade bei jungen Menschen, die ihre Sexualität vor der Ehe nicht als Droge verstanden wissen wollen, sondern als Ausdruck ihrer Emotionen, ihrer Liebe, ihres Versuches, diese Liebe körperlich auszudrücken. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Menschen ihre Sexualität sehr ernst und verantwortlich gestalten, wenn auch nicht unbedingt nach den Kriterien unserer Kirche. Und da ist noch ein anderer Punkt, der mich nachdenklich macht: Die Kirche sehe Kondome nicht als wirkliche und moralische Lösung an: "Frage: Heißt das nun, dass die katholische Kirche gar nicht grundsätzlich gegen die Verwendung von Kondomen ist? Antwort: Sie sieht sie natürlich nicht als wirkliche und moralische Lösung an. Im einen oder anderen Fall kann es in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, jedoch ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität."

Das sehe ich anders: Wenn ein Mensch ein Kondom benutzt, um seinen Partner, seine Partnerin nicht zu infizieren, dann ist das eine moralische Entscheidung von Wert. Der Papst macht im Verlauf des Buches klar, dass die Sexualmoral und auch Humanae Vitae weiterhin einen unverrückbaren Platz im Leben und Lehren der Kirche haben. Ich habe damit im Prinzip kein Problem, wenn diese Lehre und dieser Platz sich weiterentwickeln, gemäß dem Satz, wonach Traditionen nie statisch sind. So ist auch unsere Erkenntnis von Sexualität keine statische, sondern eine dynamische. Und wenn Benedikt XVI. die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft immer wieder in den Vordergrund rückt, so ist ihm nur zuzustimmen. Aber das bedeutet dann konsequenterweise auch eine gegenseitige Befruchtung: Was Sexualität bedeutet und im 21. Jahrhundert wissenschaftlich erarbeitet worden ist, muss in die Entwicklung der Moraltheologie einfließen.

Ich bin vorsichtig geworden mit enthusiastischen Reaktionen, aber ich bleibe grenzenloser Optimist. So sehe ich einen ersten feinen Haarriss in einer Mauer aus Beton. Wer ein wenig von Physik versteht, der weiß, dass solche feinen Risse größer werden.

Und es ist für mich ein Zeichen, dass sie sich doch bewegt, diese meine Kirche, die so manchem Christen das Leben oft schwermacht, ohne es zu wollen, aber nur eines zu sein hat: Licht für die Welt. Und um dieses Licht müssen wir immer wieder ringen, mit Ehrlichkeit und in gegenseitigem Respekt.

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