CDU-General Gröhe über Stuttgart 21:"Ein gefährlicher Weg in die Stimmungsdemokratie"

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe über die aufgeheizte Stimmung gegen Stuttgart 21, die Forderungen nach einem Volksentscheid und den Vorwurf der Lobbyisten-Hörigkeit.

Stefan Braun

Der Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist kein regionaler Konflikt mehr. Die Kanzlerin unterstützt mittlerweile das Projekt und geht damit ein hohes politisches Risiko ein. Ihr CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärt im Interview, warum.

CDU-Vorstandssitzung

"Protest ist oft zunächst die Ausdrucksform einer lauten Minderheit": CDU-Generalsekretär, Hermann Gröhe hät es auf jeden Fall für richtig, am Projekt Stuttgart 21 festzuhalten.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Gröhe, die Kanzlerin hat sich voll hinter das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 gestellt. Ist sie unter die politischen Hasardeure gegangen?

Gröhe: Angela Merkel zeigt Mut und Verantwortungsbewusstsein, indem sie sich mit Ministerpräsident Stefan Mappus klar zu einem wichtigen Zukunftsprojekt bekennt. Verantwortungsvolle Politik steht für das ein, was sie für richtig hält - auch bei Gegenwind.

SZ: Warum stürzt sich die Kanzlerin auf ein Projekt, bei dem der öffentliche Widerstand jeden Tag größer wird?

Gröhe: Stuttgart 21 hat große Bedeutung für Baden-Württemberg. Es sorgt dafür, dass der wirtschaftsstarke Südwesten besser an das Hochgeschwindigkeitsnetz Europas angebunden wird. Und es ist eine große Chance für eine neue vielversprechende Innenstadtentwicklung. Aber der Protest gegen das Projekt wirft grundsätzliche Fragen auf. Ist es angemessen, ein großes Infrastrukturprojekt fallen zu lassen, das in den Parlamenten große Mehrheiten fand und dessen Planung mehrfach gerichtlich geprüft wurde? Wir sagen: Nein!

SZ: Stuttgart 21 als Beispiel für mehr?

Gröhe: Stuttgart 21 steht für uns auch dafür, ob wir in unserem Land noch den Mut haben, Entscheidungen, die notwendig sind, auch durchzusetzen. Dies zeigt sich auch in anderen Bereichen. Nehmen Sie die Windenergie: Wir alle wollen Windanlagen an der Nordsee. Aber dass dieser offshore gewonnene Strom zu den Verbrauchern und zu den Fabriken in ganz Deutschland muss, dass dafür also große Stromleitungen nötig sind, die die Landschaft natürlich nicht veredeln, das wollen Grüne und Sozialdemokraten gerne verdrängen. Die CDU tut das nicht.

SZ: Die Proteste wachsen sich fast zum Volksaufstand aus. Haben Grüne und SPD nicht recht, wenn sie reagieren?

Gröhe: Weder die Position der Grünen noch die der SPD ist überzeugend. Die Grünen werben immer und überall für die Schiene. Kommt es aber zu einem dafür wichtigen Großprojekt, verweigern sie sich. Das ist unglaubwürdig. Und die SPD bekommt nach jahrelanger Unterstützung des Projekts jetzt, wo ein rauerer Wind weht, weiche Knie.

SZ: Ist Ihnen der Protest also egal?

Gröhe: Absolut nicht! Man muss Protest ernst nehmen. Aber Protest ist oft zunächst die Ausdrucksform einer lauten Minderheit. Unsere repräsentative Demokratie lebt davon, dass Menschen mit einem bestimmten Bekenntnis um Mehrheiten ringen und gewählt werden. Das Bekenntnis der Parteien zu Stuttgart 21 war vor der letzten Landtagswahl bekannt. Das Verhalten von Rot und Grün zeigt, wie unterschiedlich das Politikverständnis ist. Machen Sie bei Gegenwind den Rücken gerade? Das ist die Antwort der CDU. Oder ducken sie sich weg? Das ist die rot-grüne Botschaft.

SZ: In Stuttgart handelt es sich um ein Milliardenprojekt - und das in Zeiten, in denen die CDU allen Menschen erklärt, dass nicht mehr viel Geld da ist. Ist das Projekt nicht aus vergangenen Zeiten?

Gröhe: Wir müssen die Kraft besitzen, zu sparen und trotzdem in die Zukunft Deutschlands zu investieren. Das darf man nicht gegeneinander ausspielen. Wir stecken trotz der notwendigen Sparanstrengungen völlig zu Recht Milliarden zusätzlich in Bildung und Forschung. Stuttgart 21 ist für den Südwesten eine zentrale Zukunftsinvestition - für eine erfolgreiche Wirtschaftsregion, die immer stärker im Wettbewerb steht mit anderen Regionen in ganz Europa.

"Rot-Grün duckt sich weg"

SZ: Ist Stuttgart 21 ein Symbol zur Verteidigung Ihrer Überzeugungen?

Gröhe: Es zeigt, dass Prinzipientreue und Zukunftsverantwortung zusammen gehören. Unsere Mitglieder erwarten, dass wir bei einem solchen Zukunftsprojekt stehen und nicht aus Angst vor Gegenwind wankelmütig werden. Sie erwarten zu Recht Mut zur Verantwortung. Deutschland genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf - auch wegen seiner hervorragenden Ingenieurleistungen. Das verdanken wir auch solchen Projekten. Das aufs Spiel zu setzen, wäre verantwortungslos.

SZ: Stuttgart 21 als Exportschlager?

Gröhe: Ja. Aber es geht um mehr. Die Union steht, wenn es um die Rettung des Euros geht, die SPD spricht von einer Schicksalsfrage und enthält sich. Wir stehen bei der Rente mit 67, die SPD torkelt. Die CDU steht für die Schuldenbremse - die rot-grüne Regierung in NRW bricht ohne Rücksicht auf kommende Generationen Schuldenrekorde. Wir haben die Kraft, uns zu nötigen Schritten zu bekennen, Rot-Grün duckt sich weg.

SZ: Warum ist ein Volksentscheid in Stuttgart keine Alternative?

Gröhe: Ihre Frage macht schon deutlich, dass man sich dann auf den sehr gefährlichen Weg in eine Stimmungsdemokratie begibt. Wenn eine aufgeheizte Stimmung in der Lage ist, mit großer Mehrheit gefallene demokratische Entscheidungen, die zudem gerichtlich bestätigt wurden, zunichte zu machen, nimmt unser Land auf Dauer Schaden weit über dieses Projekt hinaus.

SZ: Beim Energiekonzept wirft man Ihnen vor, Lobbyisten-Interessen zu dienen, nicht dem Allgemeinwohl. Wie wollen Sie das bei Stuttgart 21 verhindern?

Gröhe: Das ist barer Unsinn! In der Energiepolitik wie bei der Infrastruktur geht es um viele tausend Arbeitsplätze. Wenn die SPD wieder mehr mit Gewerkschaftern reden würde, statt mit Grünen und Linken um Attac-Fans zu buhlen, wüsste auch sie, dass moderne Industriepolitik ein Gebot der Stunde ist - geleitet von den Interessen unserer Bevölkerung.

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