Afghanistan: Entwicklungshilfe:"Nähe ist entscheidend"

Lesezeit: 3 min

Im Nordosten Afghanistans sind zehn Entwicklungshelfer umgebracht worden. Expertin Citha Maaß erklärt, warum Missionieren tödlich ist und welchen Schaden internationale Hilfe anrichtet.

Barbara Vorsamer

Citha Maaß forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zum Thema Afghanistan. Sie beschäftigt sich seit Jahren aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Land, außerdem hat sie Afghanistan für ihre Recherchen mehrmals besucht. Erst im vergangenen Jahr verbrachte sie acht Monate dort.

Verwandte nehmen die Leichen eines der beiden Afghanen entgegen, der bei den Anschlägen auf die International Assistance Mission ums Leben kam. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Am Wochenende sind zehn Mitarbeiter einer Entwicklungshilfeorganisation getötet worden. Niemals zuvor in Afghanistan wurden so viele zivile Helfer auf einen Schlag ermordet. Wird das Land gefährlicher für internationale Helfer?

Citha Maaß: Die Lage wird unsicherer, weil die Aufständischen - und hier spreche ich nicht nur von den Taliban - zunehmend Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als "weiche Ziele" nutzen. Ist es denn inzwischen offiziell, dass es sich um Dr. Little handelt?

sueddeutsche.de: Ja. Die International Assistance Mission (IAM) hat bestätigt, dass es sich um zehn Ausländer und Afghanen gehandelt, die für die Hilfsorganisation im Nordosten des Landes unterwegs waren. Die getötete Deutsche ist angeblich eine Frau namens Daniela B. gewesen. Das Team ist von dem Amerikaner Tom Little geleitet worden.

Maaß: Tom Little gehört zu den erfahrensten Entwicklungshelfern, die es in Afghanistan gibt. Dass er unverantwortlich gehandelt hat, halte ich für ausgeschlossen. Das Gebiet, in dem er und sein Team sich aufhielten, gehört zwar zu den gefährlichsten Gegenden Afghanistans, doch Little wusste, wie man sich verhält. Ohne den Schutz der lokalen Machthaber wäre er dort nicht hingegangen.

sueddeutsche.de: Offensichtlich war dieser Schutz nicht ausreichend.

Maaß: Möglicherweise sind Aufständische durch das betreffende Gebiet gezogen, vielleicht kamen sie Schmugglern in die Quere, unter Umständen gab es Machtkämpfe. Es kann passieren, dass der eigentlich zugesagte Schutz von Machthaber A oder Stamm B nichts mehr wert ist, weil sich die Verhältnisse geändert haben.

sueddeutsche.de: Inzwischen haben sich zwei Gruppen zu den Anschlägen bekannt: Die Taliban und die Gruppe Hezbi-e-Islami, die Gruppe um Warlord Gulbuddin Hekmatyar. Wie glaubwürdig ist das?

Maaß: Der Distrikt im Grenzgebiet zur Provinz Nuristan ist Durchzugsgebiet der Gruppen, insofern könnten es beide gewesen sein. Es ist aber genauso möglich, dass andere Kriminelle die Täter waren. Taliban und Hezbi-e-Islami haben sich schon oft aus Propagandagründen mit Attentaten gebrüstet, die andere verübt haben.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von den Berichten, dass die Entwicklungshelfer der International Assistance Mission (IAM) angeblich Bibeln bei sich hatten?

Maaß: Die Augenklinik von Tom Little hat seit Jahrzehnten ein hohes Ansehen in Afghanistan. Aus meinen Recherchen von 2001 und 2002 sind mir allerdings Verbindungen zwischen der deutschen Missionsgesellschaft Shelter Now und IAM bekannt. Zwischen Tom Little und seiner Klinik auf der einen und IAM auf der anderen Seite muss man allerdings unterscheiden.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass die Aufständischen so genau differenzieren?

Maaß: Kaum. Nichts ist für einen Entwicklungshelfer in Afghanistan gefährlicher als der kleinste Verdacht auf missionarische Tätigkeit. Und dass es zumindest im Umfeld der Augenklinik Missionierungsbestrebungen gibt, kann ich für die Jahre 2001 und 2002 bestätigen. Wie es heute aussieht, weiß ich nicht.

Die Geschichte Afghanistans
:Im 30-jährigen Krieg

Fast zehn Jahre nach den Terroranschlägen in New York und dem Einmarsch der USA in Afghanistan fragt sich die internationale Gemeinschaft noch immer, wie es am Hindukusch weiter gehen soll. Seit Jahrzehnten muss das Land mit Krieg und Armut leben. Die Geschichte in Bildern.

sueddeutsche.de: Welche Regeln müssen ausländische Organisationen, die in Afghanistan helfen wollen, noch beachten?

Maaß: Die einzige Möglichkeit, Hilfsprojekte durchzusetzen ohne sich in Gefahr zu bringen, ist es, das Vertrauen der jeweiligen Dorfgemeinschaft zu gewinnen. Der Schutz der lokalen Machthaber im Dorf ist das A und O. Daher sollten NGOs auch vorsichtig abwägen, ob sie Unterstützung vom Militär in Anspruch nehmen oder ob sie sich nicht besser von den internationalen Truppen distanzieren.

sueddeutsche.de: Was bringt Entwicklungshilfe den Afghanen wirklich?

Maaß: Vorweg: Setzen Sie nicht Entwicklungshilfe mit NGOs gleich. Der Großteil der Aufbauarbeit läuft über Regierungsorganisationen wie zum Beispiel über die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder die amerikanischen USAid. Im Vergleich zu denen haben Nichtregierungsorganisationen ein marginales Budget. Außerdem müssen die Regierungsorganisationen mit den afghanischen Behörden zusammenarbeiten; Letztere gelten aber als wenig transparent und sehr korrupt.

sueddeutsche.de: Wie müssen wir uns das vorstellen?

Maaß: Nehmen sie als Beispiel Kundus: Der Provinzgouverneur ist korrupt und inkompetent, trotzdem laufen alle Programme über ihn. So sickert ein beträchtlicher Teil des Geldes in sein persönliches Patronage-System. Nähe zu ihm entscheidet darüber, wer Entwicklungshilfe bekommt und wer nicht - und damit meine ich nicht nur die geographische Entfernung. Dass das so ist, wissen alle - aber die Organisationen haben keine Alternative, solange Präsident Hamid Karsai diesen Gouverneur im Amt lässt. Ein anderes Problem ist, dass bei Entwicklungshilfe durch internationale Organisationen ein erheblicher Prozentsatz des Geldes in die Sicherheit der anwesenden Ausländer, deren Gehälter und die Heimatbüros gesteckt wird und deswegen gar nicht erst bei den Afghanen ankommt. Das kritisieren afghanische Politiker inzwischen massiv.

sueddeutsche.de: Doch gibt es überhaupt eine andere Möglichkeit?

Maaß: Der afghanische Präsident Karsai möchte, dass mehr von dem Geld für Entwicklungshilfe direkt an die Regierung in Kabul geht, die es dann weiterverteilt.

sueddeutsche.de: Eine gute Idee?

Maaß: Eine populistische Idee, die sich gegen die anhaltende Präsenz des internationalen Militärs sowie internationaler Berater und Entwicklungshelfer richtet. Die Verteilungsmethode ist aber intransparent und korrupt. Untersuchungen haben ergeben, dass auch von Mitteln, die von Kabul verteilt werden, nur 40 Prozent umgesetzt werden. Wir als diejenigen, die die gutgemeinte Hilfe für Afghanistan finanzieren, müssen uns über eines im Klaren sein: Wir tragen zur Korruption im Land wesentlich bei. Die Verdoppelung der deutschen Hilfsgelder für Afghanistan ist daher kontraproduktiv.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Die Geschichte Afghanistans
:Im 30-jährigen Krieg

Fast zehn Jahre nach den Terroranschlägen in New York und dem Einmarsch der USA in Afghanistan fragt sich die internationale Gemeinschaft noch immer, wie es am Hindukusch weiter gehen soll. Seit Jahrzehnten muss das Land mit Krieg und Armut leben. Die Geschichte in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: