Feldpost-Skandal bei der Bundeswehr:Das Rätsel der offenen Umschläge

Etliche Briefe von Soldaten aus Afghanistan kamen geöffnet oder sogar leer in Deutschland an. Stecken Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes dahinter? Oder kriminelle Machenschaften Einzelner?

Thorsten Denkler, Berlin

Der Wehrbeauftragte war sofort alarmiert, als ihm Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbatallions im afghanischen Masar-i-Scharif schier Unglaubliches berichteten. Briefe, die sie an ihre Familien in der fernen deutschen Heimat geschickt hatten, waren dort geöffnet und in Einzelfällen sogar leer angekommen.

Feldpost in Afghanistan

Ein Bundeswehrsoldat sortiert im afghanischen Faisabad in der Feldpoststelle im Feldlager des PRT (Provincial Reconstraction Team) Briefe ein. Etliche Umschläge aus dem Feldlager OP North kamen offenbar geöffnet oder leer in Deutschland an.

(Foto: dapd)

Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP) hatte bei seinem jüngsten Besuch in Afghanistan Soldaten darauf angesprochen, dass ihre Pakete regelmäßig vom Zoll geöffnet würden. Das aber war nicht deren Hauptsorge. Schlimmer sei, so erklärte ein Soldat, dass seine persönlichen Briefe geöffnet bei seinen Liebsten eintrafen.

Königshaus fragte daraufhin in die Runde, ob es anderen auch so ergangen sei. Mindesten 20 bis 30 Hände hätten sich gehoben, sagte er zu sueddeutsche.de. Der Wehrbeauftragte bohrte weiter. In einer Runde von Feldwebeln fragte er, ob auch sie von geöffneten Briefen gehört hätten. Hatten sie.

Die Vorfälle lassen sich örtlich ziemlich präzise eingrenzen. Nur die Feldwebel des Ausbildungs - und Schutzbatallions (ASB) berichteten von geöffneten Briefen. Dort konzentrieren sich die Vorfälle offenbar auf den Beobachtungspunkt OP North (Observation Point North), einer Außenstelle des ASB im Norden der Provinz Baghlan.

Da es außerdem ausschließlich um Briefe geht, die von Soldaten in die Heimat geschickt wurden, spricht einiges dafür, dass die Briefe noch im OP North geöffnet wurden.

Königshaus hat inzwischen in einem Brief an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg um Aufklärung gebeten. Am Mittwochmorgen informierte er den Verteidigungsausschuss.

In Berlin wird der Vorgang über alle Parteigrenzen hinweg als mittlerer Skandal empfunden. Karl-Theodor zu Guttenberg sagte der Süddeutschen Zeitung, er habe davon erst durch die Meldung des Wehrbeauftragten erfahren. Das sei ein "untragbarer Zustand", den er umgehend aufklären wolle.

Derzeit schießen die Spekulationen ins Kraut, wer welches Motiv haben könnte, Briefe aus dem OP North zu öffnen. Die einen glauben an kriminelles Verhalten Einzelner. Andere schließen nicht aus, dass möglicherweise offizielle Stellen bis hin zum Verteidigungsministerium oder dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) involviert sein könnten, um zu verhindern, dass sicherheitsrelevante Informationen nach außen dringen.

Der CDU-Verteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck sagte zu sueddeutsche.de, er halte die Vorgänge auf jeden Fall für einen "strafrechtlich relevanten Sachverhalt", weil dabei elementare Grundrechte verletzt worden seien. Er halte es aber für "ausgeschlossen" dass offizielle Stellen mit der Öffnung der Briefe etwas zu tun haben könnten.

Tom Königs, der für die Grünen im Verteidigungsausschuss sitzt und von 2006 bis 2007 Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) war, will sich an Spekulationen in dieser Richtung nicht beteiligen. "Ich halte die Wahrscheinlichkeit für am größten, dass Blödheit mit im Spiel war", sagt er zu sueddeutsche.de. Wenn sich aber herausstelle, dass die Soldatenpost "systematisch untersucht worden ist, dann wäre das skandalös".

Sein SPD-Kollege Hans-Peter Bartels will im Moment gar nichts ausschließen. "Dahinter kann ein falsches Führungsverhalten stecken oder lediglich kriminelle Energie Einzelner"´, sagte er zu sueddeutsche.de. Klar sei aber: "Das darf nicht sein. Und jetzt müssen wir sehen, woran es lag."

Für die FDP hatte am Morgen Fraktionschefin Birgit Homburger Vermutungen zurückgewiesen, höchste Stellen könnten Anweisung gegeben haben, die Post zu öffnen. Es sei "unvorstellbar, dass eine politische Direktive dahinterstehen könnte", sagt sie vor Journalisten.

Der Chef des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, fordert nun "wasserdichte Ermittlungen". Es sei kaum vorstellbar, dass die Briefe im öffentlichen Auftrag geöffnet worden seien, selbst wenn die Möglichkeit bestehe, dass unter bestimmten Umständen die Rechte eingeschränkt werden könnten.

Merkwürdig aber ist die Sache allemal. Gegen die These, dass der MAD eingebunden gewesen sein könnte, spricht, dass die Briefe erkennbar geöffnet und manche sogar leer bei den Empfängern angekommen sind. Das hätte ein Nachrichtendienst sicher eleganter hinbekommen. Dies stützt die These, dass Einzelne mit krimineller Energie am Werk waren. Doch mit welchem Ziel? Schließlich dürften sich in den Briefen kaum Gegenstände von größerem Wert befunden haben.

Nun liegt der OP North allerdings in der Gefechtszone. Es sind also durchaus Anlässe vorstellbar, bei denen Vorgesetzte lieber das Recht brechen, als sicherheitsrelevante Geheimnisse nach außen dringen zu lassen.

Wie dem auch sei - die Bundeswehr scheint ein grundsätzliches Problem damit zu haben, wie sie mit privaten Schreiben ihrer Soldaten umgeht. Aus anderen Truppenteilen wird berichtet, dass dort Zensur zur Tagesordnung gehört.

In dem unter Soldaten und Verteidigungsexperten anerkannten Blog "Augen geradeaus" des ehemaligen Focus-Journalisten Thomas Wiegold berichtet ein Soldat unter dem Pseudonym "Mariner" angesichts der geöffneten Briefe aus Afghanistan: "Wenn ihr wüsstet - oder vielleicht besser der Wehrbeauftragte - was an Bord unserer Schiffe abgeht ... da behalten sich die Kommandanten vor, jede private E-Mail lesen zu dürfen, um den Inhalt auf einsatzwichtige Details zu prüfen."

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