Grüne: Parteitag in Freiburg:Politik auf der Straße

Mit der Absage an die Olympiabewerbung und Parteichefin Roth kehren die Grünen zurück zu Aktionismus und außerparlamentarischem Protest. Doch damit verwischen sie die Grenzen zwischen Partizipation und Populismus.

Nico Fried

Der Münchner Stadtrat Florian Roth hat es auf dem Parteitag der Grünen mit einem ebenso interessanten wie verzweifelten Argument versucht: Die Delegierten der Bundespartei könnten doch nicht binnen 20 Minuten eine Entscheidung treffen, über die bayerische Grüne schon seit Jahren auf allen Ebenen diskutiert hätten. Nun, hier irrte Florian Roth. Die Grünen können das. Deshalb sind sie jetzt gegen Olympische Winterspiele in den bayerischen Alpen. Und überrascht haben dürfte das den Stadtrat kaum, denn so ähnlich läuft es ja bei Stuttgart 21 auch, wo die Grünen derzeit sogar versuchen, das Ergebnis eines demokratischen Prozesses von mehr als 15 Jahren aufzuhalten.

Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/Die Grünen

Hemmungslos außerparlamentarisch: Grüne Delegierte auf dem Parteitag in Freiburg.

(Foto: dpa)

Wenn auf Parteitagen der Grünen Mitternacht naht, dann wird es immer besonders interessant. Zu später Stunde beschlossen sie 1998, den Benzinpreis auf fünf Mark erhöhen zu wollen. Nächtens haben sie auch schon Ämter von Mandaten getrennt und ganze Parteiführungen gestürzt. In Freiburg sprachen sie sich nun am Samstag um 22.45 Uhr gegen Münchens Olympia-Bewerbung aus, weil sie unökologisch und unbezahlbar sei. Das war bedauerlich für Florian Roth, aber mehr noch für Claudia Roth, die Parteichefin aus Bayern, die für Olympia ist und bekommen hat, was man in ihrer Heimat eine "Watschn" nennt.

Die Unberechenbarkeit der Parteitage gilt schon immer als Ausdruck des besonderen Charmes der Grünen. Es ist der Restbestand an Basisdemokratie, den sie sich im Zuge ihrer sonstigen Professionalisierung bewahrt haben. Bei irgendeinem Thema gibt's immer eine Klatsche für die Spitze - in wenig anderem handeln die Grünen so zuverlässig wie in dieser Unzuverlässigkeit. Freilich muss man auch sagen, dass keine dieser Unbotmäßigkeiten die Partei jemals existentiell gefährdet hätte. Womöglich hilft es sogar auf dem Weg zur Volkspartei, dass es diesmal in Claudia Roth die Führungsfrau getroffen hat, die mit ihrer manchmal schrillen Art wohl am wenigsten für das Vorhaben Volkspartei einsetzbar ist.

Doch ganz so einfach sollten die Grünen die Sache nicht abhaken. Schwerer als Roths Niederlage und ihr damit erzwungener Rückzug aus dem Olympia-Kuratorium wiegt, dass die Grünen damit erstmals mit den Geistern in Konflikt geraten sind, die sie selbst gerufen haben. Das Signal von Berlin, Gorleben und Stuttgart hat nun auf dem Weg über Freiburg auch München und Garmisch-Partenkirchen erreicht: Die Grünen verzichten einstweilen zugunsten des Protestes draußen auf Einfluss drinnen. Ihre Politik kehrt zurück zu Aktionismus, zu Trauerkleidung wegen der Atomkraft und Treckerfahrten im Wendland. Die sichtbare Politik der Grünen verlagert sich immer stärker auf die Straße und bald womöglich auf die Wiesen und Felder vor der Zugspitze.

Die grüne Opposition geriert sich damit hemmungslos außerparlamentarisch. Sie zieht mit jedem Protest gegen Entscheidungen, die ihr nicht passen, die demokratischen Institutionen in Zweifel, die diese Entscheidungen getroffen haben. Bei aller berechtigten Kritik an Lobby-Einflüssen und intransparenten Verfahren schießen die Grünen damit allmählich übers Ziel hinaus. Sie stellen die Glaubwürdigkeit von Parlamenten und Gremien in Frage, in denen sie selbst irgendwann wieder Mehrheiten stellen wollen oder sogar - wie im Münchner Stadtrat - schon an Mehrheiten beteiligt sind. Hier verwischen die Grenzen zwischen Partizipation und Populismus.

Mithin hat der Parteitag in Freiburg insgesamt den Eindruck einer regierungsfähigen Partei nicht unbedingt gestärkt. An besonnenen Stimmen hat es zwar nicht gefehlt. Der baden-württembergische Spitzenkandidat Winfried Kretschmann gehörte dazu, forderte Pragmatismus - und erntete dafür "Kretsche"-Rufe, die eher wirkten, als wollten sich manche über so viel Seriosität ein wenig lustig machen. Auch die Stimme des Parteivorsitzenden Cem Özdemir zählte dazu, der partiell Realismus verlangte. Gehört aber wurde vor allem sein Plädoyer für staatliche Umverteilung, das den Realo auch für die Linken liebenswert machte - anders ist Özdemirs gutes Ergebnis nicht zu erklären.

Auch mit ihren Beschlüssen zur Steuerpolitik und der Bürgerversicherung frönten die Grünen lustvoll dem Prinzip, jetzt endlich "die Reichen" abzukassieren. Dabei wird erst beschlossen und irgendwann vielleicht noch durchgerechnet. Warnungen, damit gefährdeten die Grünen selbst die politische Durchsetzbarkeit vernünftiger Reformen, schlugen die Delegierten in den Wind. Es war ein symptomatisches Detail des Parteitags, dass im Streit um die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ein moderater Fritz Kuhn, der regierungserfahrene und realistischste Realo der Grünen, seinem jungen Gegenredner Gerhard Schick unterlag, der als Bundestagsabgeordneter seit 2005 noch nichts anderes erlebt hat als die Unbeschwertheit der Opposition.

Zweifellos bleiben die Grünen die innovativste Partei von allen - allerdings auch wenn es darum geht, sich selbst zu schaden. Nicht allein deshalb lautet die wichtigste Erkenntnis von Freiburg: Die grünen Umfragehelden brauchen endlich Wahlen, damit sie in die Verantwortung kommen, die sie verdient haben.

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