Kroatien:"Grauenerregende" Zeugenaussagen

Kroatien: Über die Grenze von Bosnien-Herzegowina ins EU-Land Kroatien gelangen - das versuchen Tausende Migranten. Viele müssen dabei offenbar mit brutalen Schikanen rechnen.

Über die Grenze von Bosnien-Herzegowina ins EU-Land Kroatien gelangen - das versuchen Tausende Migranten. Viele müssen dabei offenbar mit brutalen Schikanen rechnen.

(Foto: Manu Brabo/AP)

Berichte über brutale Misshandlungen von Migranten und illegale Zurückweisungen an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina häufen sich. Nun kündigt auch Brüssel an, sich um das Vorgehen der kroatischer Beamter zu kümmern.

Von Tobias Zick, München

"Wie viele von euch sind schwul?" Das habe der schwarz gekleidete, mit Sturmhaube maskierte kroatische Polizist die Gruppe von 23 Migranten gefragt, die er und seine Kollegen am Montag vergangener Woche nahe der Grenze zu Bosnien-Herzegowina aufgegriffen hatte. So jedenfalls berichtete es einer der Migranten, ein Mann aus Bangladesch, der Hilfsorganisation Danish Refugee Council (DRC). Die Beamten hätten die Festgenommenen mit Holzstöcken verprügelt, dann hätten sich alle nackt ausziehen und in einer Reihe aufstellen müssen, die Hände jeweils auf die Schultern des Vordermanns gelegt. "Bist du schwul?" habe der kroatische Beamte einen der Mann gefragt und ihn dann mit einem Ast "sexuell misshandelt".

Bereits in der Woche davor hatte dieselbe Organisation eine ungewöhnlich hohe Zahl von Fällen brutaler "Pushbacks" von Migranten aus Kroatien zurück über die Grenze nach Bosnien dokumentiert. Deren Zeugenaussagen seien "grauenerregend", sagte die Generalsekretärin des DRC, Charlotte Slente: "Mehr als 75 Personen haben binnen einer Woche unabhängig voneinander über unmenschliche Behandlung, grausame Schläge und auch sexuellen Missbrauch berichtet." Fotos, die Mitarbeiter des DRC gemacht haben, zeigen etwa einen Mann, dessen Rücken mit dunkelroten Striemen überzogen ist, ein anderer hat eine klaffende Platzwunde auf der Nase. Migranten berichteten, sie hätten sich ausziehen und stapelweise nackt aufeinander legen müssen. "Die kroatische Regierung und die Europäische Kommission müssen handeln und diesem systematischen Einsatz von Gewalt ein Ende setzen", sagte Slente. Die EU müsse dringend "unabhängige Mechanismen" zur Überwachung der Lage an den Grenzen schaffen, "um solche Misshandlungen zu verhindern."

Berichte über brutale Rückabschiebungen über die EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Bosnien hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Neu ist, dass sich jetzt die EU-Kommission in ungewohnter Deutlichkeit dazu äußert. Ylva Johansson, Kommissarin für Inneres, schrieb in einer Reihe von Twitter-Nachrichten, sie habe die Bericht des Danish Refugee Council erhalten und nehme diese "sehr ernst". Sie plane eine "tiefgehende Diskussion mit den kroatischen Behörden über diese andere Berichte von Grundrechtsverletzungen." Man werde die Grenzschutzmechanismen, für die das Land auch finanzielle Unterstützung aus Brüssel erhalte, auf den Prüfstand stellen, so Johansson. Die kroatischen Behörden hätten zugesagt, Berichten von Misshandlungen an ihren Grenzen nachzugehen und die EU-Kommission "über Fortschritte informiert halten". Effektiver Grenzschutz müsse "in vollem Respekt für Grundrechte" ausgeführt werden.

Die Regierung in Zagreb weist alle Vorwürfe zurück. Man erfülle nur seine Aufgaben

Kritiker hatten bislang den EU-Behörden vorgeworfen, den Menschenrechtsverletzungen an der Außengrenze ihres jüngsten Mitgliedslands - Kroatien ist am 1. Juli 2013 der Europäischen Union beigetreteten - stillschweigend zuzusehen. Erhärtet wurden die Vorwürfe von Berichten des britischen Guardian im Juni dieses Jahres unter Berufung auf interne Dokumente der EU-Kommission; diese zeigten demnach, dass Beamte in Brüssel gezögert hätten, auf Verstöße der kroatischen Behörden gegen Auflagen für den Einsatz von EU-Geldern für den Grenzschutz hinzuweisen - aus Sorge, dadurch einen "Skandal" auszulösen.

Die kroatische Regierung weist die Berichte des Danish Refugee Council zurück. Man bestreite "alle Vorwürfe inkorrekten Verhaltens von kroatischen Polizeibeamten an der Grenze", sagte Außenminister Gordan Grlić Radman am Samstag am Rande einer Konferenz. Die rund 17 500 kroatischen Beamten an der Grenze erfüllten eine wichtige Aufgabe, fügte er hinzu, sie schützten schließlich auch die EU-Außengrenze vor illegaler Migration. Zuvor hatte die kroatische Regierung angekündigt, sie werde Untersuchungen zu den Vorwürfen einleiten, um jegliche Zweifel am Verhalten ihrer Polizei auszuräumen - und eventuelles Fehlverhalten zu "bestrafen".

Auch das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) äußerte sich besorgt über die Berichte des DRC und anderer Hilfsorganisationen. Diese gäben "Anlass zur Beunruhigung", sagte ein Sprecher. Das UNHCR setze sich bei den kroatischen Behörden weiterhin dafür ein, dass die Vorwürfe von Misshandlungen an der Grenze von unabhängiger Stelle untersucht werden.

Im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina, kurz vor der kroatischen Grenze, kampieren Tausende von Migranten, teilweise an Straßenrändern, auf Feldern und in Fabrikruinen. Beobachter vermuten, Kroatien riegele seine Grenze auch deshalb so rigoros ab, um seine Chancen auf Aufnahme in den Schengen-Raum zu erhöhen, jene Gruppe europäischer Länder, die untereinander auf Grenzkontrollen verzichten.

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