Nordkorea beschießt den Süden:Das gefährliche Pokern des Diktators

Nach dem Angriff auf ein südkoreanisches Kriegsschiff provoziert Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il die Welt schon wieder mit Gewalt. So gefährlich die Aktionen des Diktators sind - sie sind nicht das Werk eines Irren, sondern folgen einer Logik.

Wolfgang Jaschensky

Die bislang letzte große Krise in Korea ist erst ein paar Monate alt. Am 26. März dieses Jahres sank ein südkoreanisches Patrouillenboot nahe der umstrittenen Seegrenze zu Nordkorea. 46 Marinesoldaten kamen dabei ums Leben. Der Untergang der Cheonan löste ein monatelanges diplomatisches Scharmützel aus, bei dem immer wieder das Wort "Krieg" fiel. Eine internationale Ermittlergruppe kam zu dem Ergebnis, dass das Kriegsschiff durch einen nordkoreanischen Torpedo versenkt worden war. Nordkorea bestritt eine Beteiligung, Diktator Kim Jong Il versetzte seine Truppen in Kampfbereitschaft.

Smoke rises from South Korean Yeonpyeong Island after being hit by dozens of artillery shells fired by North Korea

Rauch über Yeonpyeong: Offenbar hat Nordkorea die südkoreanische Insel mit Artilleriegranaten beschossen.

(Foto: REUTERS)

Das kleine, arme Land im Fernen Osten stand wieder einmal für Monate ganz oben auf der Agenda der Weltmächte. Die USA, Japan, die Vereinten Nationen und natürlich Südkorea protestierten, drohten - und am Ende passierte nichts. Wieder einmal war die Welt machtlos gegenüber den Provokationen des Diktators Kim Jong Il .

Nach dem Ende der Cheonan-Krise folgten weitere Zwischenfälle: Im August feuerte Pjöngjang mehr als hundert Artilleriegeschosse ins Gelbe Meer vor der Küste Südkoreas. Ende Oktober kam es zu einem Schusswechsel an der innerkoreanischen Grenze. Und erst am vergangenen Wochenende sorgte der Bericht eines US-Experten von einer neuen, hochmodernen Anlage zur Urananreicherung für Schlagzeilen.

Dringlichkeitssitzung im Bunker

Nun zeichnet sich wieder eine Provokation von größerem Ausmaß ab. Am Morgen feuerte Nordkorea offenbar mit Artilleriegranaten auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong. Seoul sprach von mehr als hundert solcher Geschosse, etwa 50 davon hätten die Insel getroffen.

Nach Militärangaben wurden zwei Soldaten getötet, 16 zum Teil schwer verletzt. Das Fernsehen zeigte Bilder von beschädigten Häusern. Auch Zivilisten seien verletzt worden. Das südkoreanische Militär habe das Feuer erwidert, Kampfjets nahmen Kurs auf die Insel im Gelben Meer, wie der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte mitteilte.

Südkoreas Präsident Lee Myung Bak traf mit seinen Sekretären in einem unterirdischen Bunker zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Nach Angaben eines Sprechers wies er in einer ersten Reaktion Maßnahmen an, die eine weitere Eskalation verhindern sollen. Eine andere Wahl hat der Präsident auch kaum. So willkürlich die Provokationen des Regimes in Pjönyang erscheinen: Bislang ist Kim Jong Il mit seiner Strategie erfolgreich gewesen.

Das Kalkül des Diktators

Der Diktator pokert mit Krisen und Beinahe-Kriegen, um das Zerfallen seines vom Bankrott bedrohten Staates zu verhindern. Das Land ist ökonomisch ruiniert - und hat doch von außen wenig zu befürchten. China hält noch immer die schützende Hand über den kleinen Nachbarn. Die USA wollen eine Atommacht Korea verhindern, gleichwohl einen bewaffneten Konflikt nicht riskieren. Japan hat wenig Interesse an einem wiedervereinten Korea. Und auch im Süden sind nicht alle von der Aussicht begeistert, das Erbe von mehr als 50 Jahren Steinzeitdiktatur aufgebürdet zu bekommen.

Zudem ist das Abschreckungspotential des nordkoreanischen Militärs erheblich - mehrere Millionenstädte, darunter Südkoreas Hauptstadt Seoul, befinden sich in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie. Und schließlich steckt das Land einen erheblichen Teil seiner bescheidenen Ressourcen in die Entwicklung einer Atombombe.

Probater Schutz

Die Sicherheit des Regimes spiegelt sich auch in der Rhetorik: Das Wort "Marionettengruppe" benützt Pjönyang üblicherweise, um die Regierung in Seoul zu beleidigen. Auch den Granaten vom Morgen folgten Worte : "Sollte die südkoreanische Marionettengruppe es wagen, auch nur 0,0001 Millimeter in Nordkoreas Hoheitsgewässer vorzudringen, wird die revolutionäre Streitmacht nicht zögern, weiter gnadenlose militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen", hieß es in einer Erklärung des Truppenkommandos, die von staatlichen nordkoreanischen Medien veröffentlicht wurde.

Da der Diktator - offenbar nicht mehr bei bester Gesundheit - gerade dabei ist, die Macht schrittweise an seinen Sohn zu übergeben, droht dem System Kim derzeit mehr Gefahr von Feinden im Inneren. Und um sich davor zu schützen, gelten außenpolitische Konflikte seit jeher als probater Schutz.

Und solange Kim damit rechnen kann, dass seine Provokationen nicht in einen Krieg gegen sein Regime münden, profitiert er von jeder neuen Krise.

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