Loveparade:Ups, OB Sauerland scheint nicht vorhanden zu sein

Duisburgs OB Sauerland ist die Lage über den Kopf gewachsen. Viele fordern seinen Rücktritt - er will aber bleiben. Der CDU-Politiker ist es gewohnt, dass die Stadt in der Krise steckt - bislang hat ihm das nie geschadet.

S. Pfauth

Er wurde ausgebuht, beschimpft, mit Müll beworfen. Leibwächter mussten Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland bei einem Besuch des Unglücksortes nach der Loveparade-Katastrophe vor wütenden Trauernden schützen. "Der wusste das!", rief eine Frau seinem Wagen hinterher.

Zukunft von Duisburgs Oberbuergermeister auf der Kippe

Begleitet von Buhrufen verlässt Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland die Unglücksstelle. 

(Foto: ddp)

Was der CDU-Politiker tatsächlich wusste von den Schwachstellen des Sicherheitskonzepts bei der Großveranstaltung, das vermag bislang keiner genau zu sagen. Fest steht aber jetzt schon: An Warnungen hat es nicht gemangelt. Polizei- und Feuerwehrexperten hatten offenbar Bedenken angemeldet, die Loveparade überhaupt in Duisburg zu veranstalten.

Sauerland sagte zwar, er habe mit dem Leiter der Feuerwehr vor der Veranstaltung nicht gesprochen - ob ihn dennoch Warnungen erreicht haben, ließ er aber offen. Gerüchten zufolge soll der Oberbürgermeister die Loveparade jedenfalls gegen die Widerstände in Politik und Verwaltung durchgesetzt haben.

Fest steht: Das Technofest war in der Stadt nicht unumstritten. Duisburgs Kulturdezernent Karl Janssen, ebenfalls CDU-Mitglied, sprach der Loveparade im Vorfeld jeglichen Mehrwert ab. Es gehe lediglich um "Saufen, Sex, Drogen", zitierte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Januar, und das dürfe die Stadt nicht auch noch finanzieren. Das Festival wurde schließlich aber doch nach Duisburg geholt - und das unzureichende Sicherheitskonzept wurde von der Sauerland unterstehenden Ordnungsbehörde genehmigt.

Ein internes Verwaltungsdokument aus der Stadt belegt nach Informationen von Spiegel online, dass es darin Sicherheitslücken gab. So habe der Veranstalter nicht die sonst vorgeschriebene Breite der Fluchtwege einhalten müssen. Zugleich sei das Gelände ausdrücklich nur für 250.000 Menschen zugelassen gewesen - zu der Großveranstaltung kamen aber nach Schätzungen bis zu 1,4 Millionen Besucher.

Marek Lieberberg, einer der führenden Konzertveranstalter in Deutschland, findet in der Süddeutschen Zeitung klare Worte: "Befruchtet haben sich die Geltungssucht der Lokalpolitik, die Profitsucht der Veranstalter, auf beiden Seiten gut gedüngt durch totalen Amateurismus. Das ist kein tragisches Unglück. Sondern ein Verbrechen."

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), hält es für wahrscheinlich, dass Stadt und Veranstalter auf Kosten der Sicherheit sparen wollten: "Darauf gibt es Hinweise", sagt er den ARD-Tagesthemen. "Dafür spricht zum Beispiel, dass es keine Videoüberwachung vor Ort gegeben hat, die eine schnelle Reaktion möglich gemacht hätte." Bochums früherer Polizeipräsident Thomas Wenner will Sauerland gar anzeigen, kündigte er an.

Ratlos und bestürzt

Die Vorwürfe gegen den 55-jährigen Duisburger OB wiegen also sehr schwer, und er selbst scheint ratlos, wie mit so einer Last umzugehen ist. Sauerland beteuerte am Montag noch einmal, er sei zutiefst betroffen und bestürzt und man liest in seinem aschfahlen Gesicht, dass ihm tatsächlich so zumute ist. "Die Trauer vermag ich nicht in Worte zu kleiden, dieses Unglück ist so entsetzlich, dass man es nicht in Worte fassen kann."

Wer seine Homepage adolf-sauerland.de ansteuert, wird mit einer schwarzen Seite konfrontiert. Und wer mehr wissen will zu Rubriken wie "Über mich" oder "Ich bin für Adolf Sauerland" erhält eine Mitteilung von Yahoo: "Ups, die Seite scheint nicht vorhanden zu sein."

In einem Interview am Samstag brüstete sich der Kommunalpolitiker offenbar noch damit, dass 1,4 Millionen zu der Veranstaltung kämen. Alles war in Rekord-Stimmung. Nun stehen 19 Tote und 511 Verletzte für den Größenrausch auf Duisburger Art.

Angesichts der scharfen öffentlichen Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen werde er der Frage nach persönlicher Verantwortung für das Unglück nicht ausweichen, versprach der Oberbürgermeister. "Ich werde mich dieser Frage stellen, das steht außer Frage. Wenn wir wissen, was da passiert ist, dann werden wir auch diese Frage beantworten. Das verspreche ich." Selbst die Angriffe auf seine Person schien Sauerland schlicht zu akzeptieren: "Das waren Menschen, die trauern, die ihren Emotionen freien Lauf gelassen haben und das verstehe ich."

Dass sich inzwischen die Hinweise darauf, dass die Stadt grobe Sicherheitsmängel durchgehen ließ, verdichten, scheint den OB aber noch nicht zu überzeugen: Am Montagabend veröffentlichte er eine Erklärung, in der er einen Rücktritt - zumindest vorerst - ablehnt. Er könne diese Forderung nachvollziehen, teilte das Stadtoberhaupt mit. "Doch heute und in den nächsten Tagen muss es darum gehen, die schrecklichen Ereignisse aufzuarbeiten und die vielen Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenzufügen", sagte der CDU-Politiker.

Trotz der schwerwiegenden Vorwürfe hatte Sauerland die Verantwortlichen der Stadt Duisburg außerdem am Montag noch verteidigt: "Wir haben alles darum gegeben, ein sicherer Austragungsort zu sein, dafür haben wir gearbeitet, dafür haben wir gekämpft." Und, so muss man wohl hinzufügen, kläglich versagt.

Populärer Amtsinhaber

Seit 2004 regiert Sauerland Duisburg - eine Stadt, die zuvor fest in SPD-Hand lag. Er ist hier geboren, er hat hier studiert, später arbeitete er als Lehrer an einem Berufskolleg, bis er in sein Amt gewählt wurde. Sogar die Grünen hatten ihn unterstützt. Ein Höhepunkt seiner politischen Karriere war 2007 die Einweihung einer großen Moschee, die ohne in anderen Städten verbreitete Bürgerproteste errichtet werden konnte. Sauerland wollte seine Stadt grün und umweltbewusst machen, ihr ein trendiges Image verpassen. Seine Konzepte fanden offenbar Zuspruch: Der Oberbürgermeister wurde bei den Kommunalwahlen 2009 im Amt bestätigt, obwohl es der Stadt wahrlich nicht gut geht.

Duisburg ist hochverschuldet und hat seit Jahrzehnten eine der höchsten Arbeitslosenquoten Westdeutschlands. 2005 lag sie bei mehr als 17 Prozent, inzwischen ist es etwas besser geworden, doch immer noch ist die Quote höher als im ostdeutschen Durchschnitt. Sauerland verkündete im Januar nun einen harten Sparkurs, der besonders die Bereiche Soziales, Jugend und Kultur betraf.

Das Techno-Event hätte Abwechslung in den grauen Sparalltag der verschuldeten Stadt bringen sollen. "Ich betrachte die Loveparade als eine gute Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie weltoffen, tolerant und spannend unsere Stadt ist", formulierte Sauerland vor Beginn der Veranstaltung seine Hoffnungen.

Nun geht es um die rechtlichen Folgen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung - und zwar zunächst gegen unbekannt. Zunächst müssen noch Fotos und Videos ausgewertet sowie Zeugen gehört werden. Bei fahrlässiger Tötung droht maximal eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Voraussetzung dafür ist eine Sorgfaltspflichtverletzung, die ursächlich für den Tod von Menschen geworden ist. Doch offenbar drohen den Duisburger Verantwortlichen allenfalls Bewährungsstrafen.

Verhöhnung der Opfer

Sein Rücktritt, das hätte ihm selbst wohl spätestens klar sein müssen, als er am Montag nach der Katastrophe die Zeitungen aufschlug, ist kaum mehr abzuwenden. Die WAZ schreibt von Sauerlands "erbärmlichem Auftritt" bei der Pressekonferenz am Sonntag, die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) fordert in deutlichen Worten: "Treten Sie zurück, Herr Sauerland!" "Unerträglich war die zynische Reaktion des Oberbürgermeisters, der dem Verhalten der Opfer eine Mitschuld gab", formuliert NRZ-Chefredakteur Rüdiger Oppers. "Sein empörendes Gerede war nichts weniger als die Verhöhnung von Toten."

Die bedauernden Worte des Oberbürgermeisters dringen da kaum noch durch - und sie lassen bislang die Antwort auf die Frage nach der Verantwortung offen. Noch am Montag soll in Duisburg ein Kondolenzbuch ausgelegt werden, außerdem plane die Stadt eine Trauerfeier für die 19 Todesopfer abzuhalten, kündigte Sauerland an.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der 55-Jährige zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr an der Spitze der Stadt steht - auch, wenn er einen Rücktritt bislang ablehnt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: