Politische Unruhen in Nordafrika:Die Ratlosigkeit des Revolutionsführers

Dass Tunesiens Diktator Ben Ali gestürzt wurde, kann dem Libyer Gaddafi nicht gefallen. Der Revolutionsführer wettert gegen die Aufständischen. In Tunis erlag ein deutsch-französischer Fotograf seinen Verletzungen.

Nach der Ernennung des neuen Übergangspräsidenten Foued Mbazaa hoffen die Menschen in Tunesien auf ein Ende von Chaos und Gewalt. Zwar hat sich die Lage nach den schweren Unruhen der vergangenen Tage etwas beruhigt. In der Hauptstadt Tunis waren allerdings auch in der Nacht zum Sonntag vereinzelt Schüsse zu hören. Auch die Plünderungen gingen nach Angaben von Augenzeugen weiter.

Protest in Tunis

Die Lage in der Hauptstadt Tunis bleibt angespannt. Es sind noch vereinzelte Schüsse zu hören, auch die Plünderungen gingen weiter. Die Beratungen über die Übergangsregierung sollen weitergehen.

(Foto: dpa)

Im Zentrum von Tunis waren am Vormittag weiter Panzer auf den Straßen. Ein Deutsch-Tunesier, der auf dem Weg zum Flughafen war, berichtete der Nachrichtenagentur dpa am Sonntagmorgen von einer äußert angespannten Lage. "Wir sind fünfmal von Soldaten angehalten worden", sagte der Mann.

Seit der Flucht von Ex-Machthaber Zine el Abidine Ben Ali ins saudi-arabische Exil am Freitag gilt in Tunesien der Ausnahmezustand. Ben Ali hatte das Land am Mittelmeer 23 Jahre in autoritärer Herrschaft regiert. Auslöser seines Sturzes waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich zu einem Volksaufstand ausgeweitet.

In Tunis geht die Armee weiter gegen Mitglieder der Leibgarde von Ben Ali vor. Die früher direkt dem Präsidenten unterstellten Sicherheitskräfte weigerten sich aufzugeben, hieß es am Vormittag in Tunis. Die Schießereien in der Nacht stünden vermutlich damit in Zusammenhang. Wie viele Verletzte oder sogar Tote es bei den Auseinandersetzungen gab, war zunächst unklar.

Wegen der Unruhen und den nächtlichen Ausgangssperre werden in Tunis die Lebensmittel knapp. "Wir haben seit drei Tagen kein Brot mehr bekommen", sagte eine ältere Frau mit Kopftuch, die am Sonntagmorgen in einer langen Schlange vor der Bäckerei des Zentralmarktes stand. Auf dem Markt waren nur etwa ein Viertel der Stände geöffnet, Händler klagten über ausbleibende Lieferungen.

Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi will die Gespräche mit der Opposition über eine Regierung der nationalen Einheit am Sonntag fortsetzen. Übergangspräsident Fouad Mebazza hatte ihm den Auftrag dazu erteilt. Nach der Verfassung müssen außerdem binnen 60 Tagen Präsidentenwahlen stattfinden.

Deutsche Botschaft in Tunis wird verstärkt

Das Auswärtige Amt in Berlin hat unterdessen beschlossen, die Botschaft in Tunis zu verstärken. Es müsse sicher gestellt werden, dass es eine 24-stündige Erreichbarkeit gebe. Alle deutschen Bürger, die Fragen hätten, müssten auf diese auch Antworten bekommen, teilte Außenminister Guido Westerwelle nach einer Sitzung des Krisenstabes in Berlin mit.

"Wir raten von Reisen nach Tunesien derzeit ab und empfehlen all denen, die vor Ort sind, sich besonnen zu verhalten und alle Ansammlungen zu vermeiden", so Westerwelle.

Die großen Reiseveranstalter haben fast alle Urlauber aus dem krisengeschüttelten Land ausgeflogen und für die nächste Woche alle weitere Flüge nach Tunesien abgesagt. Am Samstag brachten zahlreiche Sondermaschinen Reisende in ihre Heimat zurück.

Wie gefährlich die Lage in Tunesien ist, zeigt der Fall eines deutsch-französischen Fotografen: Er war am Freitag während der Ausschreitungen aus nächster Nähe von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden. Entgegen der Meldungen, er sei seinen Verletzungen erlegen, ist der Reporter jedoch noch am Leben. Sein Zustand sei "kritisch aber stabil", teilte das französische Konsulat am Sonntagabend telefonisch aus Tunis mit.

Gaddafi macht sich Sorgen

Die Unruhen in Tunesien und der Sturz des dortigen Regimes zeigen jetzt auch Wirkung in anderen arabischen Ländern. Offenbar fürchten autokratische Herrscher um ihre Macht.

Gaddafi

Er versteht die Welt nicht mehr: Der libysche Revolutionsführers Muammar el-Gaddafi klagt über die Geschehnisse in Tunesien.

(Foto: dpa)

Gaddafi und seine Sorgen

So hat der libysche Staatschef Muammar el-Gaddafi die Tunesier dafür kritisiert, ihren Präsidenten in die Flucht getrieben zu haben. "Es tut mir sehr weh, was in Tunesien geschieht", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Jana den Revolutionsführer des Nachbarlandes. Die Tunesier erlebten Blutvergießen und Gesetzlosigkeit, weil die Menschen in aller Eile versucht hätten, ihren Präsidenten loszuwerden. Gaddafi hatte am Wochenende noch mit Ben Ali telefoniert.

Gaddafi sagte in einer von den Medien übertragenen "Rede an das tunesische Volk", Ben Ali sei "nach wie vor rechtmäßiger Präsident" des nordafrikanischen Landes, es gebe keinen besseren als ihn. Gleichzeitig schlug Gaddafi dem Nachbarland vor, sein Modell einer "direkten Demokratie" zu übernehmen.

In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa haben unterdessen rund tausend Studenten zum Sturz der Regierung nach dem Vorbild von Tunesien aufgerufen. "Freies Tunis, Sanaa grüßt dich tausend Mal", rief die Menge, der sich am Sonntag auch Menschenrechtsaktivisten angeschlossen hatten.

Die Studenten riefen auch andere arabische Völker zur "Revolution gegen ihre lügenden und verängstigten Anführer" auf. "Geht, bevor Ihr abgesetzt werdet", stand auf einem der Plakate der Protestierenden, die sich damit an die jemenitische Regierung wandten.

Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh steht seit 32 Jahren an der Spitze des Landes. Derzeit wird eine Verfassungsänderung vorbereitet, die ihm den Weg für eine Präsidentschaft auf Lebenszeit ebnen könnte. Es sei denn, die Menschen im Jemen nehmen sich ein Beispiel an den Tunesiern.

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