Rechte Gewalt:Nicht alle Opfer sind erfasst

Seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland laut Medienberichten mindestens 137 Menschen bei rechtsextremen Angriffen ums Leben gekommen. Damit wäre die Zahl der Todesopfer fast dreimal so hoch wie von Bundesinnenministerium und Polizei gemeldet.

Der Rechtsradikalismus in Deutschland ist weiter auf dem Vormarsch - daran haben Journalisten der Zeit und des Berliner Tagesspiegels keine Zweifel. Sie haben eine Liste mit Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren zusammengestellt. Seitdem seien demnach in Deutschland mindestens 137 Menschen bei Angriffen von Neonazis und anderen rechtsextremen Gewalttätern ums Leben gekommen.

Demonstrationen gegen NPD-Aufmarsch in Wunsiedel

Mit Holzkreuzen, auf denen die Namen von Todesopfern rechter Gewalt stehen, wehrten sich die Bürger von Wunsiedel im vergangenen Jahr gegen einen NPD-Trauermarsch für den toten NPD-Vize Jürgen Rieger.

(Foto: ddp)

Damit wäre die Zahl der Todesopfer fast dreimal so hoch wie von Bundesinnenministerium und Polizei bislang gemeldet. Die Regierung spreche von lediglich 47 Toten. Für das Jahr 1994 und den Zeitraum von 2003 bis 2007 werde in Antworten auf Bundestagsanfragen kein einziges Todesopfer rechter Gewalt genannt. Die beiden Zeitungen kommen hingegen allein für diese Jahre auf insgesamt 21 Tote.

In den Statistiken der Polizei, die an die Bundesregierung weitergegeben und dann von ihr veröffentlicht würden, fehlten selbst spektakuläre Fälle rechtsextremistischer Gewaltkriminalität. So bleibe das Verbrechen eines Neonazis ungenannt, der im Oktober 2003 in Overath bei Köln einen Rechtsanwalt, dessen Frau und die Tochter erschossen habe.

Das Landgericht Köln habe den Mann im Dezember 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter hätten dem Mörder bescheinigt, aufgrund seiner nationalsozialistischen Gesinnung gehandelt zu haben. Dennoch habe die Polizei diesen Fall nicht als rechtsradikal motiviertes Tötungsverbrechen eingestuft.

Bei einem anderen Tötungsverbrechen sei nach einem rechtsgerichteten Motiv nicht weiter gefragt worden. Im April 2008 habe im bayerischen Memmingen ein Rechtsextremist seinen Nachbarn erstochen, weil der sich über laut abgespielte Rechtsextremistenmusik beschwert hatte. Das Landgericht Memmingen habe den Täter im Dezember 2008 wegen Totschlags zu acht Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Das Gericht habe im Nachhinein eingeräumt, dass ein rechtsextremer Hintergrund der Tat wahrscheinlich sei.

Beide Zeitungen hätten über mehrere Monate Urteile gesichtet, Staatsanwaltschaften, Gerichte, Sicherheitsbehörden sowie Opferberatungsstellen befragt und mit Hinterbliebenen getöteter Menschen gesprochen. Dabei habe sich gezeigt, dass in Teilen von Polizei und Justiz offenbar das ausführliche Erfassungssystem zur politisch motivierten Kriminalität (PMK), das die Innenminister im Jahr 2001 eingeführt hatten, kaum wahrgenommen werde.

Das Bundesinnenministerium hingegen erklärte den Angaben zufolge, das PMK-System sei deutschlandweit "angekommen". Es gebe allerdings in den Ländern bei der Erfassung rechter Kriminalität eine "systemimmanente Bewertungsbreite".

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