Sarkozy, Merkel und die EU:Europas Populisten

Einst Super-Sarko, jetzt Enfant terrible: Nicolas Sarkozy will die Roma in Frankreich als Sündenböcke missbrauchen. Damit steht er stellvertretend für Europas mutlose Politiker - zu denen auch Kanzlerin Merkel gehört.

Stefan Ulrich

Es ist keine zwei Jahre her, da galt Nicolas Sarkozy als Held in Europa. Er rettete als EU-Ratspräsident, mit deutscher Hilfe, den Reformvertrag von Lissabon. Er vermittelte im Konflikt zwischen Russland und Georgien. Er ließ die Europäische Union ungewohnt rasch in der Weltfinanzkrise reagieren. Seither hat der französische Präsident in den Augen der Öffentlichkeit eine schlimme Metamorphose durchgemacht. Super-Sarko ist zum Enfant terrible geworden und macht in dieser Rolle Silvio Berlusconi Konkurrenz. Der Streit zwischen Brüssel und Paris über den Umgang mit den Roma, der am Donnerstag das EU-Gipfeltreffen störte, illustriert grell den Ansehensverlust Sarkozys. Doch er demonstriert noch mehr: eine Schwindsucht des europäischen Geistes sowie das Erstarken von Populismus und Nationalismus.

Nicolas Sarkozy, Angela Merkel

Kein politischer Führer ist in Sicht, der mutig über die nationalen Interessen hinausblickt: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beim EU-Gipfel in Brüssel.

(Foto: AP)

Nun gerät die EU-Kommission öfters mit Mitgliedsstaaten aneinander. Dabei geht es meist um finanzielle oder technische Probleme, um Subventionen oder die Ausweisung von Naturschutzgebieten. Der Roma-Streit dagegen dreht sich ums Grundsätzliche - um Bürger- und Menschenrechte, die Wertebasis Europas. Damit wird er symbolisch aufgeladen: Die Kommission zieht als Hüterin der EU-Verträge gegen Frankreich, die Heimat der Menschenrechte, ins Feld.

Dies mag erklären, warum einige Akteure die Nerven verloren haben. Am Montag schwadronierte Pierre Lellouche, Frankreich sei "ein großes, souveränes Land", das sich von der Kommission nicht maßregeln lasse. Der Hüter der Verträge sei das französische Volk. Der Mann ist Europa-Staatssekretär. Er sollte wissen, dass es ureigene Aufgabe der Kommission ist, darüber zu wachen, ob das gemeinsame Recht in der Union eingehalten wird. Dazu gehört auch die Frage, ob Paris die Roma im Einklang mit den Regeln der Freizügigkeit behandelt.

Als Nächstes rastete am Dienstag die EU-Justizkommissarin Viviane Reding aus. Sie nannte den Umgang der französischen Behörden mit den Roma plakativ eine "Schande" und verstieg sich zu einem törichten Vergleich mit den Deportationen während des Zweiten Weltkriegs. Anstatt diesen Ausfall kühl zurückzuweisen, giftete am Mittwoch Sarkozy, Luxemburg solle doch die aus Frankreich ausgewiesenen Roma aufnehmen. Sein Motiv: Reding stammt aus Luxemburg. Prompt hielt der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn beleidigt dagegen: Er wisse ja, dass Sarkozy Probleme mit den Luxemburgern habe.

Europas Politiker sind dünnhäutig in diesen Zeiten. Statt Gelassenheit zu demonstrieren und Probleme sachlich zu lösen, bedienen sie nationale Gefühle. Das zeigte sich unlängst auch im Kern der Union, im deutsch-französischen Verhältnis, beim Streit über die Griechenland-Hilfe oder die Konjunkturpolitik.

Kein politischer Führer ist in Sicht, der mutig über die nationalen Interessen hinausblickt und zum Wohl Europas Risiken bei der Wählerschaft zu Hause eingeht. Angela Merkel ist, europapolitisch, leider kein Helmut Kohl. Sarkozy hat seinen Ehrgeiz, Europa positiv zu prägen, offenbar aufgegeben. Impulse geben die beiden der EU derzeit kaum. Stattdessen haben sie es zu verantworten, dass der schwache Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Amt bestätigt wurde.

Sarkozy braucht Europas Hilfe

Die Kommission wiederum versucht, von eigenen Mängeln abzulenken, indem sie Sarkozy unnötig eifernd attackiert. Dabei ist die Integration der Roma ein europäisches Problem. Etliche Staaten räumen genauso wie Frankreich illegale Lager und drängen die Roma, wo es geht, in ihre Herkunftsländer, wie Rumänien, zurück. Dort aber scheinen viele Roma derart zu leiden, dass sie rasch in trostlose Barackensiedlungen am Rand der westeuropäischen Städte zurückkehren.

Die Regierung Sarkozy hat recht, wenn sie fordert, Länder wie Rumänien müssten mehr für die Roma tun und die EU-Kommission habe strenger zu überwachen, wie ihre Hilfsgelder von der Regierung in Bukarest eingesetzt werden. Sarkozy ist auch kaum zu verdammen, wenn er gegen illegale Siedlungen in Frankreich vorgeht. Dennoch haben sich der innenpolitisch angeschlagene Präsident und seine Regierung völlig verrannt.

Sie taten aus populistischen Gründen so, als stellten die 15.000 ausländischen Roma eines der größten Probleme Frankreichs dar - eine absurde Vorstellung. Sie ließen die Räumung der Lager und die Abschiebungen als Medienspektakel inszenieren, um rechte Wähler zu beeindrucken. Und sie redeten und agierten so, dass der Verdacht entstehen musste, sie hätten es nicht auf einzelne Straftäter, sondern auf eine ganze Volksgruppe abgesehen. Dies aber wäre Rassismus.

Die EU-Kommission muss der französischen Regierung entgegentreten, wenn diese die Roma als Sündenböcke missbraucht. Sie sollte dabei aber nicht ihrerseits Sarkozy verteufeln, um sich mal so richtig mächtig zu fühlen. Europa darf sich nicht in gehässigem Streit und nationalen Empfindlichkeiten verlieren. Es braucht einen starken französischen Präsidenten, um vitale Zukunftsthemen anzugehen: die Rolle gegenüber den künftigen Supermächten China, Indien und Brasilien etwa, oder eine europäische Armee. Daher sollte Europa Sarkozy helfen, seinen selbst verschuldeten Ruf als Enfant terrible wieder loszuwerden.

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