Schweden nach der Wahl:Seiltanz in Stockholm

Ministerpräsident Reinfeldt wird Schweden künftig in einer Minderheitsregierung führen. Der Konservative weiß: Eine Kooperation mit den aus der Neonazi-Szene kommenden Schwedendemokraten wäre die schlechteste Option.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hat am Sonntag fast alles erreicht, was er sich gewünscht hat. Aber eben nur fast. Er darf weiterregieren - seit mehr als 90 Jahren wurde in Schweden kein bürgerlicher Ministerpräsident mehr wiedergewählt. Und seine Moderaten errangen mit 30 Prozent ihr bestes Ergebnis seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts.

Reinfeldt regiert Schweden nach Wahlsieg weiter

Der konservative Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt präsentiert sich seinen Anhängern in Stockholm als Sieger, aber seine zweite Amtszeit verspricht, knifflig zu werden.

(Foto: dpa)

Trotzdem war die Stimmung am Sonntagabend getrübt. Denn die Regierungskoalition verlor die absolute Mehrheit im Parlament - und künftig wird dort mit den Schwedendemokraten eine fremdenfeindliche Partei Platz nehmen. Auf Reinfeldt wartet nun eine schwierige zweite Amtszeit mit ungewissem Ausgang.

Die wahrscheinlichste Fortsetzung für das Drama vom Sonntag ist, dass Reinfeldt mit seinen alten Koalitionspartnern erst einmal eine Minderheitsregierung bildet. Das ist in Schweden nicht ungewöhnlich und hat Tradition. Erleichtert wird die Lösung durch eine Besonderheit: Das schwedische Parlament kann den Haushaltsvorschlag einer Regierung nur dann zu Fall bringen, wenn es mehrheitlich einem Gegenvorschlag zustimmt.

Da kaum anzunehmen ist, dass Rechtpopulisten und rot-grüne Opposition sich auf ein gemeinsames Budget einigen, wird Reinfeldt also wenigstens die wichtigen Haushaltsdebatten überstehen. Die nächste ist bereits für den Oktober geplant. Die Probleme beginnen danach.

Streitpunkt Afghanistan-Einsatz

Da steht zum Beispiel im November eine Abstimmung über den Einsatz in Afghanistan an. Die bürgerliche Koalition will weiter Truppen an den Hindukusch schicken. Sozialdemokraten, Linkspartei, Grüne und Rechtpopulisten wollen die Soldaten schnellstmöglich abziehen. Ähnlich Konstellationen gibt es auch in anderen Fragen. Reinfeldt braucht also neue Freunde, wenn er eine Serie von Niederlagen verhindern will.

Angeboten haben sich da bereits die Schwedendemokraten. Man würde mit jedem zusammenarbeiten, sagte Parteichef Jimmie Åkesson, wenn man etwas dafür bekomme. Vor allem fordert er eine Verschärfung der Ausländergesetze.

Zusammenarbeit mit Schwedendemokraten unwahrscheinlich

Für Reinfeldt ist dies die schlechteste aller Optionen. Anders als in Dänemark - wo die bürgerliche Regierung schon seit Jahren mit Hilfe von Rechtspopulisten im Amt bleibt - haben die liberalen und konservativen Parteien Schwedens betont einwanderungsfreundliche Programme.

Vor Wahlen in Schweden - Jimmie Akesson

Der Chef der Schwedendemokraten Jimmie Åkesson wird von Polizisten begleitet, als er in Stockholm seine Stimme abgibt.

(Foto: dpa)

Eine Zusammenarbeit mit Åkesson würde da eine Kehrtwende bedeuten. Zudem haben die Schwedendemokraten, anders als die Rechtspopulisten in anderen Ländern, ihre Wurzeln in der Neonazi-Szene. Bekämen sie Einfluss auf die Regierung - es würde viele jener Wähler verprellen, die Reinfeldt gerade erst mühsam für sich gewonnen hat.

Also bleibt dem Ministerpräsidenten, sich Freunde im linken Spektrum zu suchen. Schon am Wahlabend bot er den Grünen Gespräche an und schloss dabei selbst die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung nicht aus. Wie das gehen sollte, ist allerdings fraglich. Für die Grünen wäre es politischer Selbstmord, sich an einer Koalition zu beteiligen, die den Neubau von Kernkraftwerken zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht hat. Zudem wäre es für die kleineren Parteien in Reinfeldts bürgerlicher Allianz wohl schwer zu ertragen, die Macht plötzlich mit einem fünften Partner teilen zu müssen.

Noch dazu mit einem so starken: Die Grünen sind am Sonntag drittgrößte Fraktion geworden und könnten im Kabinett das Amt des Vizeregierungschefs für sich beanspruchen.

Bündnis mit Sozialdemokraten kaum denkbar

Aus ähnlichen Gründen ist auch eine Regierung mit den Sozialdemokraten kaum denkbar. Die alte Arbeiterpartei hat zwar ihr schlechtestes Ergebnis seit 1914 eingefahren, sie liegt mit 30,9 Prozent der Stimmen aber immer noch knapp vor Reinfeldts Moderaten. In einer großen Koalition würde also Parteichefin Mona Sahlin den Posten als Ministerpräsidentin für sich fordern.

Fredrik Reinfeldt bleibt darum nur übrig, sich die kommenden vier Jahre mit wechselnden Mehrheiten durchs politische Tagesgeschäft zu lavieren. Er wird dabei ständig aufpassen müssen, die linke Opposition nicht zu sehr zu verärgern. Gleichzeitig darf er aber auch sein konservatives Profil nicht zu sehr verwässern, wenn er noch eine weitere Amtsperiode anstrebt. Das hört sich nach einer kniffligen Aufgabe an - aber nicht nach einem Wahlsieg.

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