Shell-Jugendstudie 2010:Die lauernde Angst vor dem Absturz

Jugendliche als Jongleure verschiedener Anforderungen: In dieser Gesellschaft zu bestehen, ohne zu zerbrechen, ist für Heranwachsende zu einer eigenen Herausforderung geworden.

Tanjev Schultz

Unbekümmertheit ist das Vorrecht der Jugend. Glücklicherweise bewahren sich viele Jugendliche ihre Zuversicht auch in rauen Zeiten. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat sie offenbar kaum verunsichert. Die neue Shell-Studie zeigt sogar, dass der Optimismus der Zwölf- bis 25-Jährigen insgesamt gestiegen ist.

Klimawandel auf Grönland

Von "der" Jugend zu sprechen, war schon immer eine grobe Vereinfachung. Dennoch mag es früher eher das Gefühl gegeben haben, einer bestimmten Generation anzugehören, einer Gruppe, die sich von den Älteren und deren Lebensweise unterscheidet.

(Foto: dpa)

Allerdings hängen Zufriedenheit und Zuversicht zunehmend davon ab, welcher sozialen Schicht die Jugendlichen angehören. Von "der" Jugend zu sprechen, war schon immer eine grobe Vereinfachung. Dennoch mag es früher eher das Gefühl gegeben haben, einer bestimmten Generation anzugehören, einer Gruppe, die sich von den Älteren und deren Lebensweise unterscheidet. Heute verlaufen die Grenzen dagegen vor allem zwischen oben und unten, nicht mehr so sehr zwischen Jung und Alt.

Dieses Verschwinden der Jugend als einer eigenen Kraft hat auch etwas mit dem Erfolg früherer Jugendbewegungen zu tun. Die Erwachsenen sind jugendlicher geworden, und die Kinder werden früher erwachsen. Mutter und Tochter hören gemeinsam Lady Gaga, Vater und Sohn sitzen zusammen an der Spielkonsole.

Es gibt zwar viele verschiedene Lebensentwürfe, Subkulturen, Kleidungs- und Freizeitstile - aber wofür sich die Jugendlichen auch entscheiden und wohin sie sich auch bewegen: Fast immer und überall sind schon einige Erwachsene da und wollen mitmachen. Das kann man als Verlust an Freiräumen für die Jugend beklagen, muss man aber nicht. Denn es ist doch auch ein Gewinn, wenn die Jüngeren vieles mit den Älteren teilen können.

Die Shell-Studie hat bei den Jugendlichen einen ausgeprägten Familiensinn gefunden. Und die meisten sagen, sie hätten ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Konflikte und Unsicherheiten gibt es ja trotzdem genug - was soll schlecht daran sein, wenn die Familie den Jugendlichen Halt verspricht?

Grau gewordene Rebellen wittern schnell einen neuen Konservatismus: Die Jugend werde immer biedermeierlicher, immer lahmer und zahmer. Doch das ist nur ein Klischee. Die Jugendlichen müssen heute eben nicht mehr den Muff und den Staub der Erwachsenenwelt fortwischen. Das haben die Generationen vor ihnen schon gemacht. Die Jüngeren mögen heute weniger politisiert wirken als früher und weniger interessiert an weltanschaulichen Kämpfen - aber gilt das nicht auch für die Politik selbst, für die Parteien, die Medien und Politiker?

"Grenzenloser Selbstoptimierungsimperativ"

Die Bereitschaft, sich sozial zu engagieren, in Vereinen mitzuarbeiten und auf konkrete Verbesserungen der Gesellschaft hinzuwirken, ist bei den Jugendlichen jedenfalls noch immer hoch. Was den meisten fehlt, ist das Ungestüme und Umstürzlerische, das manche Ältere im Sinn haben, wenn sie an ihre wilden Jahre denken. So gesehen passt die Jugend ganz gut zu Angela Merkel und ihrer Kanzlerschaft. Merkel will konservativ sein, sozial und obendrein noch liberal. Irgendwie soll das alles dann pragmatisch und besonnen zusammengeführt werden.

Eröffnung Aussichtsplattform AlpspiX

Die Angst vor dem Absturz beschleicht viele Jugendliche, sie lauert im Hintergrund.

(Foto: dpa)

Die Jüngeren werden auch im eigenen Leben immer mehr zu Jongleuren verschiedener Anforderungen. Ihre Bildungs- und Berufswege sind oft verschlungen, die Mobilität wächst, Freunde, Partnerschaft und Karriere müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Wer eine gute Ausbildung und starke Eltern im Rücken hat, mag dabei insgesamt optimistisch bleiben. Die Angst vor dem Absturz beschleicht trotzdem viele, sie lauert im Hintergrund.

Das zeigt eine andere Studie zur Jugendkultur, die kurz vor der neuen Shell-Umfrage herauskam. Gerade die gut ausgebildeten Kinder aus der Mittelschicht fühlen sich oft unter Druck, immer weiter an ihrem Lebenslauf feilen und weitere Qualifikationen anhäufen zu müssen. Der Soziologe Ulrich Bröckling beklagt einen "grenzenlosen Selbstoptimierungsimperativ": Jeder soll bis in die letzten Winkel seiner Seele zum Unternehmer in eigener Sache werden. Die Ökonomie dringt immer tiefer in die Lebenswelt der Jüngeren ein.

In so einer Gesellschaft zu bestehen, ohne zu zerbrechen, ist für die Jüngeren zu einer eigenen Herausforderung geworden. Es tut ihnen gut, wenn sie dabei auf die Liebe und Förderung ihrer Eltern und auf kluge und weitsichtige Lehrer zählen können. Wem dieser Rückhalt jedoch fehlt, der kommt mit der Dynamik des Bildungsbetriebs und des Wirtschaftslebens kaum noch mit.

Entsprechend düster blicken die schlecht Qualifizierten, die Kinder der Armen und Arbeitslosen, in ihre Zukunft. Viele fühlen sich schon in jungen Jahren abgehängt. Sie sehen keinen Platz für sich in der Gesellschaft, ihnen fehlen Förderer und Mutmacher, die sie dem Kreislauf aus schwacher Motivation und fehlenden Fähigkeiten entreißen.

Solche Förderer muss die Gesellschaft den Jugendlichen an die Seite stellen, so früh und so viele wie möglich, in Kindergärten, Ganztagsschulen und Ferienprogrammen. Anerkennung und Zuwendung brauchen gerade jene, die (noch) nicht an sich und eine gute Zukunft glauben können. In alten Wirtschaftswunderzeiten hat Josef Neckermann gesagt: "Den jungen Menschen stehen so viel Türen offen, dass man Angst bekommt, ob sie auch die richtige Tür erwischen." Heute muss man froh sein, wenn es Türen gibt.

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